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Publikation

Die Neuerfindung der Arbeitswelt

Ziel der Studie der Friedrich-Naumann-Stiftung über die Gig Economy ist es, ein umfassenderes Verständnis für die Art der mit der Gig Economy verknüpften Beschäftigungsverhältnisse, für die an ihr beteiligten Akteure und für ihre Möglichkeiten zur Förderung von Flexibilität bei gleichzeitiger Gewährleistung gerechter Arbeitsbedingungen zu schaffen. Sie stellt einen aktuellen Überblick über die Gig Economy, ihre aktuellen Trends sowie über die Vorteile und die Herausforderungen des Gig-Working bereit. Diese Betrachtungen erfolgen vor dem Hintergrund der vielen, durch die Pandemie verursachten Veränderungen und sie werden mit einer politischen Diskussion abgeschlossen, die Empfehlungen zur Veränderung der Arbeitsmärkte gibt, mit denen eine gerechtere Behandlung der Erwerbstätigen erzielt werden kann.

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Was verbirgt sich hinter dem Begriff Gig Economy?

Die Zahl der bei einem einzigen Arbeitgeber in herkömmlichen Arbeitsverhältnissen in Vollzeit beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist sowohl in den USA als auch in der EU rückläufig. An ihre Stelle treten zunehmend alternative Arbeitsformen wie Projektarbeit, Nebenjobs, selbstständige und freiberufliche Auftragsarbeit sowie Arbeit, die auf Abruf und über Plattformen vergeben wird. Diese Tätigkeiten werden zusammenfassend als Gig Economy bezeichnet.

Die Gig Economy basiert auf der Arbeit von Solo-Selbstständigen. Mit dem Wort „Solo“ wird ausgedrückt, dass es sich um unabhängige Auftragnehmerinnen und Auftragnehmer handelt, die keine Angestellten haben. Selbstständige, die Angestellte haben, sind Kleinunternehmen. Sie sind nicht Gegenstand dieser Betrachtungen. Zu den Solo-Selbstständigen gehören unabhängige Auftragnehmerinnen und Auftragnehmer, Freiberuflerinnen und Freiberufler, Gutachterinnen und Gutachter und Beraterinnen und Berater sowie Erwerbstätige, die auf Abruf arbeiten und ihre Aufträge über Plattformen erhalten. In dieser Publikation werden die Begriffe Selbstständige, Freiberuflerinnen und Freiberufler sowie Gig-Workerinnen und Gig-Worker synonym verwendet und sie alle beziehen sich auf Solo-Selbstständige.

Der Ist-Zustand der Gig Economy

Die Gig Economy ist im Verlauf des vergangenen halben Jahrzehnts stetig und schnell angewachsen und dieses Wachstum hat sich während der Pandemie noch weiter beschleunigt (WEF 2021). Das Global Institute von McKinsey schätzt, dass etwa ein Drittel der Arbeitskräfte auf Ganz- oder auf Teilzeitbasis selbstständig tätig ist.[1] In dem Bericht „State of Independence“ stellt der Personaldienstleister MBO fest, dass die Anzahl der Personen, die mehr als 15 Stunden pro Woche selbstständig arbeiten, in den USA im Jahr 2020 von 13,6 Millionen auf 17 Millionen um 25 % gestiegen ist. Eine noch größere Gruppe, die weniger als 15 Stunden pro Woche selbstständig arbeitet, wuchs von 24,6 Millionen auf 34,1 Millionen um 39 % an.[2] In den USA machen herkömmliche Mitarbeiter bei einigen Technologieunternehmen nur noch die Hälfte der Belegschaft aus. Bei Google sind sie bereits eine Minderheit.[3] [4]

Ein Bericht von McKinsey über die Zukunft der Arbeit in Europa hat ergeben, dass die Teilzeitarbeit in 22 der 29 europäischen Länder deutlich zugenommen hat und dass die Selbstständigen – einschließlich Freiberuflerinnen und Freiberuflern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Zeitarbeitsfirmen und Gig-Workerinnen und Gig-Workern – inzwischen schätzungsweise 20–30 % der Erwerbstätigen ausmachen.[5]

Ein wesentlicher Wachstumsfaktor der Gig Economy ist der Wunsch der Erwerbstätigen nach einer anderen Gestaltung des Arbeitslebens. Es ist offenkundig, dass die Arbeit als Angestellter für viele Amerikaner nicht gut funktioniert. Gallup berichtet, dass mehr als 70 % der Erwerbstätigen nicht an einem bestimmten Arbeitsplatz angestellt sind, und viele weitere Studien decken unter den Angestellten ein hohes Maß an Stress und Unzufriedenheit auf. Die Gig Economy bietet ein dringend benötigtes alternatives Arbeitsmodell an, das traditionelle Arbeitsplätze ergänzen beziehungsweise ersetzen kann.

Es gibt vereinzelte Belege dafür, dass während der Pandemie sowohl die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die von der Arbeit im Büro freigestellt wurden, als auch Pendlerinnen und Pendler und Geschäftsreisende sowie diejenigen, die ihren Arbeitsplatz vollständig verloren haben, sich in Rekordzahl der Gig Economy zuwandten. Dies geschah, um entweder ein Auftragsportfolio aufzubauen, mit dem man Vollzeit tätig ist, oder um schnell das fehlende Einkommen aus der vorherigen Vollzeitstelle zu ersetzen. Daher ist es anzunehmen, dass Gig-Working einen Beitrag zum Schutz vor wirtschaftlicher Volatilität leistet, indem es den Erwerbstätigen leicht zugängliche Möglichkeiten bietet, auf der Basis von individuellen Zeitplänen Einkommen zu erzielen.

 

[1] „Independent Work: Choice, Necessity, and the Gig Economy“, von James Manyika, Susan Lund, Jacques Bughin, Kelsey Robinson, Jan Mischke und Deepa Mahajan, McKinsey Global Institute, https://www.mckinsey.com/~/media/mckinsey/featured%20insights/employment%20and%20growth/independent%20work%20choice%20necessity%20and%20the%20gig%20economy/independent-work-choice-necessity-and-the-gig-economy-full-report.pdf (Oktober 2016), S. 1
[2] 11th Annual State of Independence: The Great Realization“, von MBO Partners, https://info.mbopartners.com/rs/mbo/images/MBO_2021_State_of_Independence_Research_Report.pdf (Dezember 2021), S. 7
[3] „Inside Google's Shadow Workforce“, von Mark Bergen und Josh Eidelson, Bloomberg, https://www.bloomberg.com/news/articles/2018-07-25/inside-google-s-shadow-workforce , (25.07.2018)
[4] „Google's Shadow Work Force: Temps Who Outnumber Full-Time Employees“, von Daisuke Wakabayashi, The New York Times, https://www.nytimes.com/2019/05/28/technology/google-temp-workers.html, (28.05.2019)
[5] „The Future of Work in Europe“, von Sven Smit, Tilman Tacke, Susan Lund, James Manyika und Lea Thiel, Mckinsey Global Institute, https://www.mckinsey.com/~/media/mckinsey/featured%20insights/future%20of%20organizations/the%20future%20of%20work%20in%20europe/mgi-the-future-of-work-in-europe-discussion-paper.pdf, (Juni 2020), S. 9