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Digitalwirtschaft

Indien als Vorbild um Europas Digitalwirtschaft zu entfesseln

Indien hat hunderte chinesische Apps wie TikTok und UC Browser verboten

Indien hat hunderte chinesische Apps wie TikTok und UC Browser verboten.

© picture alliance / ZUMAPRESS.com | Abhijeet Gurjar

Indien hat in den letzten Jahren einen mutigen Kurs eingeschlagen, um seine Abhängigkeit von chinesischen Technologien und Investitionen zu durchbrechen. Die Grenzkonflikte mit China im Jahr 2020 und langjährige, tief verwurzelte Sicherheitsbedenken haben diese drastischen Maßnahmen befeuert. Indien hat hunderte chinesische Apps wie TikTok und UC Browser verboten, Importe aus China reduziert, Investitionen chinesischer Unternehmen in Indien eingeschränkt und verfügt, dass Telekommunikationsinfrastruktur nur aus „vertrauenswürdigen Quellen“ stammen darf. Diese Schritte wurden begleitet von einer entschlossenen Förderung einheimischer Unternehmen und Innovationen, der Unterstützung der heimischen Produktion sowie dem Aufbau globaler Allianzen, um Chinas technologische Dominanz einzuhegen. Von dieser entschlossenen Entkopplung muss Europa lernen und dabei nicht nur Abhängigkeiten von China reduzieren, sondern auch neue wirtschaftliche Chancen ergreifen.

Chinesische Chips von Huawei und ZTE wurden von der EU-Kommission als ernsthafte Sicherheitsrisiken eingestuft. Jedoch sind sie tief verwurzelt in kritischen Infrastrukturen, wie dem 5G-Netz. Die Kommission fordert ein Verbot dieser Geräte in europäischen Telekommunikationsnetzen, denn die Sicherheitsbedenken sind nicht neu: Huawei, wie alle chinesischen Firmen, unterliegt dem nationalen Sicherheitsgesetz, das sie zur Zusammenarbeit mit Behörden und Geheimdiensten verpflichtet. Eine enge Verzahnung von Unternehmen, Partei und Militär unterstreichen zudem Bedenken zur Einflussnahme und Spionage im Namen des chinesischen Staates.

Deutschland setzt weiter auf chinesische Komponenten in 5G-Netzen trotz Sicherheitsbedenken

Trotz dieser alarmierenden Erkenntnisse wurden in Deutschland weiterhin die preiswerteren Technologien aus China verbaut. Laut einer Studie von Strand Consult nutzten im letzten Jahr noch 59 % aller deutschen 5G-Netze Komponenten von Huawei. Die deutsche Regierung hat kürzlich mit den Telekommunikationsanbietern eine Vereinbarung getroffen. Bis Ende 2026 müssen die Komponenten aus dem Kernnetz entfernt werden, wo sie bereits eine sehr begrenzte Rolle spielen. Bis 2029 müssen in einem zweiten Schritt chinesische Bauteile auch im dem Managementsystem des sogenannten Zugangs- und Transportnetzes ersetzt werden. Ein vollständiges Verbot chinesischer Komponenten ist nicht vorgesehen.

Weiterhin hat die EU-Kommission im April  ein Verfahren gegen TiKTok unter dem Gesetz über digitale Dienstleistungen gestartet. In diesem wird einerseits die mangelnde Transparenz der Plattform, aber auch insbesondere die Anlockung von Minderjährigen durch TikTok Lite angeprangert. Bei letzterer App kann man durch die Erledigung von kleineren Aufgaben Punkte sammeln, welche gegen geldwerte Güter eingetauscht werden können. Auch gegen den chinesischen Online-Shop AliExpress wurde ein Verfahren eingeleitet, da er als „sehr große online-Plattform“ dazu verpflichtet ist, den Verkauf und die Bewerbung von illegalen Waren zu unterbinden. Als Teil der neuen „geopolitischen“ Strategie der EU müssen solche Sicherheitsbedenken ernstgenommen werden. Es braucht mehr europäische Digital und Technologieunternehmen. Ein großes Problem bleibt das mangelnde Wagniskapital und Investitionen, der viele neue Tech-Start-Ups dazu bewegt nach der Gründungsphase ausländische Investoren an Bord zu holen. Befeuert durch eine echte Industriepolitik und einen harmonisierten Finanzmarkt kann technologische Souveränität als Motor für die Wirtschaft der Zukunft dienen.

In dem kürzlich veröffentlichten Policy Paper der Friedrich Naumann Stiftung „Indiens Weg aus Chinas technologischem Schatten“  zeigt der Autor Nikhil Pahwa auf, welche Schritte Indien unternommen hat, um sich von Chinas Technologie unabhängiger zu machen. Dabei wird jedoch auch klar, dass Indien weiter mit eigenen Herausforderungen kämpft. Das Handelsdefizit mit China bleibt bestehen, chinesische Technologie wird weiterhin in indischen Telekommunikationsnetzen verwendet und indische Alternativen zu chinesischen Apps konnten TikTok nicht ersetzen. Dennoch hat Indien gezeigt, dass es geopolitische Entwicklungen geschickt zu seinen Gunsten nutzen kann.

Indiens Balanceakt: Zwischen wirtschaftlichem Nutzen und strategischer Unabhängigkeit

Das Land verfolgt einen klaren Kurs, der eine ausgewogene Balance zwischen wirtschaftlichem Nutzen und strategischen Interessen wahrt. Die Anti-China-Maßnahmen haben Indien bisher nicht tiefgehend geschadet und kamen vor allem amerikanischen Unternehmen zugute. Die Handelsauswirkungen sind bislang gering, doch es ist noch zu früh, um die volle Tragweite dieser Maßnahmen zu erkennen, da sie Teil eines langfristigen Plans sind.

Schlussendlich stehen sowohl Indien als auch Europa an einem Scheideweg. Indien hat den Weg der technologischen Unabhängigkeit eingeschlagen und beweist, dass es trotz erster Rückschläge fest entschlossen ist, seine strategischen Ziele zu verfolgen. Europa, insbesondere Deutschland, muss entscheiden, ob es weiterhin die kurzfristigen Vorteile kostengünstiger Technologie aus China in Kauf nehmen will oder ob es bereit ist, die sicherheitsrelevanten Risiken ernst zu nehmen und entschlossene Schritte in Richtung technologischer Souveränität zu unternehmen. Dazu muss jedoch bereits jetzt angefangen werden die europäische Digitalindustrie gezielt zu stärken und Kapazitäten nicht nur Kapazitäten aufzubauen, sondern auch Anreize zu schaffen sie hier zu behalten.