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Bürokratieabbau
Bürokratieabbau: Wie versprochen, so gebrochen?

die Bundesregierung Bürokratieabbau an. Gleichzeitig drohen Unternehmen mit dem Regierungsentwurf zur Nachhaltigkeitsberichtserstattung allerdings neue, hohe Bürokratiekosten.

Die Bundesregierung strebt Bürokratieabbau an - gleichzeitig drohen Unternehmen mit dem Regierungsentwurf zur Nachhaltigkeitsberichtserstattung  neue, hohe Bürokratiekosten.

© picture alliance/dpa | Bernd Weißbrod

Gerade erst versprach die Bundesregierung mit dem Entwurf des Vierten Bürokratieentlastungsgesetzes Bürokratieabbau. Jetzt aber legt sie den Entwurf eines Gesetzes zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen vor, das für die Wirtschaft neue, hohe Bürokratiekosten bedeutet. Wie passt das zusammen? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir nach Brüssel blicken, nicht nach Berlin.

Bürokratie „Made in Brussels“

Die Bundesregierung kommt lediglich ihrer Pflicht zur Umsetzung der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) nach. Diese Richtlinie verlangt eine umfassende Neuregelung und Erweiterung der Berichterstattung über Nachhaltigkeitsaspekte. Viele Unternehmen müssen nun – oft erstmalig – standardisiert über diese Aspekte öffentlich berichten und ihre Berichte extern prüfen lassen. Der Aufwand, der den Unternehmen durch die Befolgung dieser Vorschriften entsteht (Erfüllungsaufwand), geht in die Milliarden. Selbst bei der von der Bundesregierung vorgeschlagenen 1:1-Umsetzung entsteht ihnen ein einmaliger Aufwand von 846 Millionen Euro und später ein weiterer jährlicher Erfüllungsaufwand von 1,58 Milliarden Euro.

Die CSRD ist jedoch kein Einzelfall. Durchschnittlich stammen 57 Prozent des jährlichen Erfüllungsaufwandes von Unternehmen aus der Umsetzung von EU-Richtlinien. Die Regelungsdichte und Bürokratiebelastung ist enorm gestiegen, was Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger deutlich zu spüren bekommen. Laut dem IHK-Unternehmensbarometer zu EU Wahl 2024 halten 95 % der Unternehmen den Bürokratieabbau für ein wirtschaftspolitisches Thema von höchster Priorität und für die mit Abstand dringlichste wirtschaftspolitische Aufgabe der EU. Noch schockierender ist, dass laut einem Eurobarometer für die große Mehrheit der EU-Bürgerinnen und -Bürger der Begriff „bürokratisch“ die EU am besten beschreibt.

Bürokratie als strukturelles Problem...

Doch, warum ist die EU so bürokratisch? Kritiker argumentieren, dass die EU zu weit von der Realität ihrer Bürgerinnen und Bürger entfernt ist und deren Bedürfnisse nicht wahrnimmt. Die Ausgestaltung der EU als Mehrebenensystem und die komplexe Verflechtung ihrer Ebenen tragen dazu bei. Trifft die EU regelnd ein, damit anstelle von 27 unterschiedlichen Regelungen eine Regelung gilt, werden die Bürokratiekosten fortan der EU zugeschrieben. Die EU-Regelungen fallen dabei oftmals bürokratischer aus als die einzelnen nationalen Regelungen, die sie ersetzen. Denn die EU hat 27 Partikularinteressen sowie unterschiedliche politische Kulturen und Rechtstraditionen zu berücksichtigen. Deshalb ist der Preis für eine einheitliche und rechtssichere Regelung manchmal eine umfassendere Regelung. Der EU wird oft auch die Mehrbelastung zugeschrieben, die erst dadurch entsteht, dass die Mitgliedstaaten Richtlinien nicht 1:1 umsetzen, sondern über diese hinausgehen.

… oder als Strategie?

Doch die EU ist nicht nur Opfer ihrer Umstände. Die Europäische Kommission setzt Bürokratie auch ganz bewusst ein, um ihre Ziele zu verfolgen. Die Kommission setzt auf die Macht ihres Marktes. Wenn die EU strenge Standards für den Binnenmarkt normiert, setzt sie de facto die Standards für den außereuropäischen Handel mit. Unternehmen adoptieren diese aus Gründen der Praktikabilität oft als globale Standards und geben diese an ihre internationalen Geschäftspartner weiter. So kann die Kommission Unternehmen und deren transnationalen Strukturen auszunutzen, um Ziele wie Klimaschutz und Menschenrechte weltweit voranzutreiben. Lesen Sie mehr dazu in unserem Policy Paper „Green-Tape: Die EU-Handelspolitik – nachhaltige Globalisierung oder Abschottung?“.

Das soll auch durch die CSRD geschehen. Die Kommission will mit dem „European Green Deal“ Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent machen und dafür eine nachhaltige Transformation des Binnenmarktes anstoßen. Die Finanzierung soll durch die Lenkung von Kapitalströmen in nachhaltige Investitionen und die Stärkung nachhaltiger Finanzierung erfolgen. Die Kommission setzt darauf, dass sich das Verhalten der Marktakteure ändern wird, wenn sie über Nachhaltigkeitsaspekte informiert werden bzw. informieren müssen. Sie hofft auf nachhaltigkeitsbewusste Investoren, Geschäftspartner und Akteure der Zivilgesellschaft, „die Unternehmen im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf Mensch und Umwelt stärker in die Verantwortung nehmen wollen“. Zudem will die Kommission, dass die Berichtspflichten Unternehmen helfen, ihre „eigenen Risiken und Chancen im Zusammenhang mit Nachhaltigkeitsaspekten zu ermitteln und zu steuern“ und ihnen zu einem „besseren Ruf [zu] verhelfen“. Damit hofft sie auch auf unternehmerische Selbstregulierung. (vgl. Erwägungsgründe Nr. 9, 12)

Es ist also nur bedingt mangelndes Verständnis für Unternehmen und Wirtschaft, das hinter den bürokratischen Regeln steckt. Vielmehr geht es darum, Unternehmen und Wirtschaft zu lenken und für die Ziele der EU zu instrumentalisieren.

Bürokratieabbau auch auf europäischer Ebene?

Der Ausgangsfrage – Wie passt das zusammen? – kann sich aber auch die Kommission nicht entziehen. Im Oktober 2023 stellte die Kommission ihr Arbeitsprogramm für 2024 vor und kündigte an, die Belastung der Unternehmen durch Berichterstattungspflichten um ein Viertel reduzieren zu wollen. Dass die erhebliche Ausweitung der Berichtspflichten durch die CSRD dazu im Widerspruch steht, musste die Kommission nun eingestehen. Deshalb, und weil mit einer fristgerechten Umsetzung der CSRD bis zum 6. Juli 2024 nicht mehr zu rechnen war, wurde die Umsetzungsfrist im Januar 2024 um zwei Jahre verlängert. Probleme dürfen jedoch nicht bloß vertagt werden, sondern müssen gelöst werden.

Europäische Probleme erfordern dabei europäische Lösungen. Die Bundesregierung setzt sich daher für ein prinzipielles Umdenken ein und koordiniert gemeinsam mit Frankreich eine Europäische Bürokratieentlastungsinitiative. Diese wird von Dänemark, Finnland, Lettland und Estland ausdrücklich unterstützt.

Der wahre Preis überbordender Bürokratie

Der Bürokratieabbau auf europäische Ebene muss weiter vorangetrieben werden. Das Vorgehen der Kommission ist nicht nur aus praktischen Gründen zu kritisieren. Letztlich geht es um Grundsatzfragen. Überbordende Bürokratie kostet mehr als Milliarden von Euro. Sie frisst nicht nur finanzielle und personelle Ressourcen, sondern gefährdet auch unternehmerische Initiative und Innovation. Die Bürokratie prägt das Bild der EU negativ und macht sie politisch angreifbar. Der wahre Preis ist daher das Verlorengehen des Glaubens an die europäische Idee. Und diesen Preis können wir uns in Zeiten globaler Demokratie-, Kriegs- und Umweltbedrohungen nicht leisten.