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Ein Russland ohne Putin?

Boris Nemtsov Forum 2017 in Berlin

„Man hat meinen Vater mit Zukunft assoziiert. Deswegen ist Zukunft das Thema des Forums.“ Mit diesen Worten eröffnete Zhanna Nemtsova am vergangenen Montagabend das Boris Nemtsov Forum 2017 in Berlin. Die ewigen Diskussionen über Putin und seine Politik seien zwar wichtig, bringen Russland aber kein Stück weiter. Oder wie Nemtsova es ausdrückte: „Über Putinismus zu diskutieren ist ungefähr das Gleiche, wie über Robert Mugabe zu diskutieren.“ Unter dem Titel „Politics without Vision? Future Lab on Russia and the EU“ trafen sich am 9. und 10. Oktober 2017 daher verschiedene zivilgesellschaftliche Akteure aus Kunst und Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft, um ihre Visionen für ein Russland in der Post-Putin-Ära zu debattieren. Das Forum wurde bereits zum zweiten Mal von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und der Boris-Nemtsov-Stiftung für die Freiheit organisiert und vom European Endowment for Democracy unterstützt.

Wolf-Dieter Zumpfort, Vorstandsmitglied der Stiftung für die Freiheit, betonte in seinem Grußwort die enge Verbundenheit der beiden veranstaltenden Stiftungen und ermunterte die anwesenden Referenten und Gäste zum regen Austausch. Der Draht zwischen Russland und der EU dürfe nicht abreißen; dies sei auch im Sinne Nemtsovs.

In seinen einführenden Worten plädierte auch der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum für eine Beziehung zu Russland, die von „Dialog und Offenheit“ geprägt ist. Aus seiner Zeit im Bundestag berichtete er lebhaft von den immer wieder auftauchenden Problemen in den europäisch-russischen Beziehungen, aber auch von den Lösungsansätzen und Visionen.

Gezielte Desinformation trägt Früchte, die Hoffnung bleibt

Wie schwierig diese Visionen jedoch in Russland zu vermitteln seien, stellte die junge Schriftstellerin Alisa Ganieva in ihrer Freiheitsrede deutlich dar. Die russische Gesellschaft sei taub und stumm geworden. Große Teile der Bevölkerung versuchen das Unrecht zu relativieren und nähren damit die Zweifler, die durch die Propaganda und Desinformation des Kremls bereits maßgeblich beeinflusst sind. Wer Ganievas Rede lauschte, bekam einen erschreckend düsteren Eindruck von der derzeitigen Lage in Russland; beeindruckend jedoch waren der Aktivismus und die persönliche Hoffnung, die die Schriftstellerin trotz aller Umstände versprühte.

Interaktive Zukunftswerkstatt

Dass Ganieva mit dieser Einstellung nicht allein war, merkte man in den verschiedenen „Open Space“-Arbeitsgruppen, die einen wesentlichen Bestandteil des zweiten Konferenztages ausmachten. Die gut 200 Teilnehmer diskutieren interaktiv Themen wie die neue Weltordnung, die Zukunft der Kommunikation, neue Formen des zivilen Widerstands und des künstlerischen Ausdrucks.

So unterschiedliche die Perspektiven und die Diskussionen auch waren, alle waren sich einig, dass Menschen sich aktiv engagieren müssen, um Dinge zu verändern. Die schweigende Mehrheit darf nicht den Diskurs bestimmen und den Austausch lähmen. Maria Snegovaya, Politikwissenschaftlerin an der Columbia University in New York, sieht das größte Problem darin, dass das russische Volk keinen Anspruch stellt, die Politik mitzubestimmen. Unter diesen Umständen sei es schwierig, die Situation nachhaltig zu verändern. Doch wie kann man den Status quo überwinden?

In den Arbeitsgruppen wurden viele Ansätze entwickelt: Stefan Melle vom Deutsch-Russischen Austausch plädierte beispielsweise für die Einführung der Visafreiheit, um den physischen Austausch und damit auch den Austausch von Ideen und Erfahrung zu erleichtern. Elena Panfilova, Vizepräsidentin von Transparency International , sprach von der Notwendigkeit, die Menschen auf einer emotionaleren Ebene anzusprechen, um sie zu erreichen. Dabei können neue Kommunikationswege wie die Sozialen Medien besonders hilfreich sein. Gerade in Russland sehen viele Aktivisten in Facebook, Twitter und Co. die Chance, unter dem Regierungsradar zu agieren.

Die Hoffnung auf bessere Zeiten

Nichtsdestotrotz konnten sich auch die größten Optimisten unter den Teilnehmern nicht vor der russischen Realität verschließen: „Eigentlich könne man nur auf bessere Zeiten hoffen“, war das nachdenklich stimmende Fazit der Arbeitsgruppe Kunst & Kultur, die von dem Maler Dmitry Vrubel und dem Schriftsteller Wladimir Kaminer geleitet wurde, die beide in Deutschland leben.

Es bleibt also dabei: Es gibt noch viel zu tun. Plattformen wie das Boris Nemtsov Forum sind daher umso wichtiger. Die Konferenz ist Anlaufpunkt für die engagierte russische Exilgesellschaft und europäische Experten gleichermaßen. Ihr Einsatz gibt Anlass zur Hoffnung. Vielleicht gibt es also wirklich bald ein anderes Russland. Ob es ein besseres ist, hängt auch davon ab, wie gut man auf die Zukunft vorbereitet ist.