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Bangladesch
Blutige Studentenproteste in Bangladesch

Quotensystem in der Kritik
Die Studentenproteste in Bangladesch eskalieren.

Die Studentenproteste in Bangladesch eskalieren.

© picture alliance / Sipa USA | SOPA Images

Im Zentrum der Demonstrationen steht das kontroverse Quotensystem für den öffentlichen Dienst, das mehr als die Hälfte der Regierungsstellen für bestimmte Gruppen reserviert, darunter die Kinder von Veteranen des Unabhängigkeitskrieges von 1971. Auslöser war die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs von Anfang Juli, wonach das Quotensystem wiedereingeführt werden sollte, das 2018 aufgrund ähnlicher Proteste bereits abgeschafft worden war. Diese Entscheidung hat die Studentinnen und Studenten erneut empört, die argumentieren, dass das System diejenigen unverhältnismäßig bevorzuge, die mit der regierenden Awami-Liga von Premierministerin Sheikh Hasina verbunden seien.

Die Proteste erreichten ihren Höhepunkt in den letzten Tagen, als Sicherheitskräfte Tränengas, Gummigeschosse und Blendgranaten einsetzten, um die Massen in Dhaka und anderen großen Städten zu zerstreuen. Das harte Durchgreifen gegen Demonstranten, die Schließung von Bildungseinrichtungen zur „Sicherheit der Studierenden“ und die Abschaltung des Internets führten aber nicht zu einem Ende der Unruhen. Stattdessen haben sie die Studierenden weiter mobilisiert, sie marschierten mit leeren Särgen durch die Straßen, um ihre gefallenen Kommilitonen zu symbolisieren. Am dramatischsten war jedoch der Angriff auf den staatlichen Fernsehsender, der von wütenden Demonstranten in Brand gesteckt wurde. Das Feuer zerstörte Teile der Sendezentrale und unterbrach die Berichterstattung, was die Informationslage weiter erschwerte und die Spannungen zwischen der Regierung und den Demonstranten weiter verschärfte.

In einem drastischen Versuch, die Kontrolle zu behalten, mobilisierte die Regierung die Armee und verhängte eine Ausgangssperre. Diese Maßnahmen zielen darauf ab, weitere Proteste zu verhindern, haben aber auch das Risiko weiterer Gewalt erhöht und die Spannungen im Land verschärft. Internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen und Amnesty International fordern von der Regierung die Wiederherstellung des Internets, eine gewaltfreie Lösung und den Schutz der Rechte von friedlichen Demonstranten.

Das Auswärtige Amt hat aufgrund der anhaltenden Unruhen und der staatlichen Reaktionen eine Reisewarnung für Bangladesch ausgesprochen. Es wird Reisenden dringend geraten, Demonstrationen und Menschenansammlungen zu meiden, da es jederzeit zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommen könne.

Abschaltung des Internets in ganz Bangladesch

Der Versuch der Regierung, die Situation durch eine landesweite Internetabschaltung zu kontrollieren, hat schwerwiegende Konsequenzen. Während die Regierung argumentiert, dies sei notwendig, um die Koordination der Proteste zu verhindern und die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, sehen Kritiker dies als einen schweren Eingriff in die Grundrechte. Die tagelange Internetabschaltung beschränkt nicht nur die Demonstrationsfreiheit, sondern verhindert auch die Kommunikationsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger, den Zugang zu Informationen und die Möglichkeit für internationale Beobachter, die Situation objektiv zu bewerten. Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen verurteilte Internetabschaltungen bereits 2016 als Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht.

In Südasien nehmen diese Einschränkungen der Informations- und Meinungsfreiheit immer weiter zu. Sie werden vorwiegend mit Sicherheitsargumenten erlassen, ohne ökonomische und gesellschaftliche Kosten zu berücksichtigen. Die ursächlichen Konflikte werden hierdurch aber nicht bewältigt.

Quotensystem zugunsten von Regierungsanhängern, hohe Jugendarbeitslosigkeit

Die Wurzeln des Quotensystems reichen zurück in die Nachkriegszeit der Unabhängigkeit Bangladeschs und sollten ursprünglich marginalisierte Gemeinschaften fördern. Kritiker argumentieren jedoch, dass es sich zu einem Werkzeug politischer Patronage entwickelt hat, das die Meritokratie behindert und gesellschaftliche Spaltungen vertieft. Trotz des hohen Wirtschaftswachstums von über acht Prozent in den letzten zehn Jahren wuchs im Land die Jugendarbeitslosigkeit auf über 12%. Für junge Menschen ist es nicht einfach, einen Job in der freien Wirtschaft zu finden, während die sicheren und gut bezahlten Stellen im öffentlichen Sektor hart umkämpft sind.

Das jüngste Urteil des Obersten Gerichtshofs und die darauffolgende Berufung haben zu weiterer Unsicherheit beigetragen, während die Studenten eine klare und faire Lösung fordern. Premierministerin Hasina deutete an, eine Lösung sei in Sicht, woraufhin der Oberste Gerichtshof das Quotensystem erneut außer Kraft setzte.

Die politische Landschaft in Bangladesch ist notorisch konfliktreich und wird von der Awami-Liga von Sheikh Hasina seit ihrer Wiederwahl im Januar, die von Vorwürfen der Manipulation und fehlender glaubwürdiger Opposition überschattet wurde, dominiert. Die Wahlbeteiligung war außerordentlich niedrig, was das Vertrauen in die demokratischen Prozesse weiter untergräbt. Vor diesem Hintergrund sind die studentischen Proteste nicht nur als Herausforderung gegen spezifische Politiken zu sehen, sondern auch als umfassendere Anklage gegen die Regierungsführung und die demokratische Integrität des Landes.

Während Bangladesch diese turbulente Phase durchläuft, wird der Umgang der Regierung mit den Protesten und die Kontrolle der Kommunikationsmittel wahrscheinlich langfristige Auswirkungen haben. Nach der Rücknahme des Quotensystems fordern die Demonstranten nun die Freilassung aller inhaftierten Demonstranten und den Rücktritt der Verantwortlichen der Sicherheitskräfte. Die Forderung nach Reformen und das Streben nach Gerechtigkeit spiegeln tiefere gesellschaftliche Strömungen wider, die die politische Entwicklung des Landes in den kommenden Jahren prägen könnten. Derzeit bleiben die Straßen von Dhaka und anderen Städten Schlachtfelder, mit Studierenden an der Spitze eines Kampfes um das, was sie als ihre Zukunft betrachten.

 

Wolfgang Heinze ist Leiter der Büros für Sri Lanka der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Colombo.