Eine Pipeline ins Herz Europas
An der deutschen Ostseeküste haben Anfang Mai die Bauarbeiten für die geplante Pipeline „Nord Stream II“ begonnen. Die Rohre bohren sich nicht nur in den Grund der Ostsee, sondern auch ins politische Herz Europas.
In der Nähe von Greifswald werden die ersten Segmente der Pipeline „Nord Stream II“ verlegt. Durch die 1.200 Kilometer langen Rohre soll demnächst nochmal genauso viel russisches Gas fließen, wie bereits durch die bestehende Pipeline „Nord Stream I“ transportiert wird. Die privaten Betreiber – ein Zusammenschluss des russischen Staatskonzerns Gazprom und fünf europäischer Energieunternehmen – können auf den beiden Trassen dann etwa achtzig Prozent der russischen Gaslieferungen für Europa abwickeln.
Die geplanten Rohre bohren sich allerdings nicht nur in den Grund der Ostsee, sondern auch ins politische Herz Europas. In Brüssel sorgt die Verwirklichung der Pipeline-Pläne für Kritik an der Bundesregierung und Entsetzen ob ihres unsolidarischen Verhaltens gegenüber den europäischen Partnern. Bisher beziehen die Staaten Westeuropas einen Großteil ihrer russischen Gaslieferungen über Leitungen, die durch die Ukraine verlaufen. Diese würde mit Fertigstellung von Nord Stream II ihren Status als Transitland weitestgehend verlieren und müsste jährlich auf Durchleitgebühren in Milliardenhöhe verzichten – Geld, das nun statt in der kriegsgebeutelten Ukraine auf dem Grund der Ostsee angelegt wird.
Russland erhält durch die zusätzliche Leitung die Möglichkeit, einzelnen Ländern gezielt eine Verminderung oder Aussetzung der Lieferungen anzudrohen oder höhere Preise zu fordern. Moskau kann somit seine Position als Energielieferant Europas wortwörtlich zementieren und darf sich trotz der Sanktionen für die völkerrechtswidrige Annexion der Krim über ein lukratives Geschäft mit westeuropäischen Konzernen freuen – ein bitterer Nachweis mangelnder sicherheitspolitischer Solidarität gegenüber den baltischen Staaten, Polen und anderer mitteleuropäischen Partner, die sich von dem aggressiven Verhalten Russlands bedroht fühlen.
Die EU-Kommission sieht zudem das Projekt einer europäischen Energieunion in Frage gestellt. Wie die Kommission mehrfach angemerkt habe, trüge Nord Stream 2 nicht zu den Zielen der Energieunion bei, erklärte der Vizepräsident für die Energieunion, Maroš Šefčovič. „Wird die Pipeline dennoch gebaut, müssen wir wenigstens dafür sorgen, dass sie transparent und im Einklang mit den wichtigsten Bestimmungen des EU-Energiemarkts betrieben wird.“ Die Kritik aus Brüssel verwundert kaum. Nord Stream II konterkariert sowohl die milliardenschweren Darlehen der Europäischen Investitionsbank (EIB) zur Ausbesserung der ukrainischen Gasinfrastruktur als auch die Russland-Sanktionen der EU. Der litauische Europaabgeordnete und Vize-Präsident der liberalen ALDE-Fraktion im Europäischen Parlament Petras Auštrevičius bezeichnete Nord Stream 2 daher als ein „Killerprojekt, das zerstören wird, was die Energieunion hätte erreichen sollen“.
Deutschland und einige westeuropäische Partnerländer dürfen dank Nord Stream II auf niedrigere Preise und eine gesicherte Versorgung mit russischem Gas hoffen. Die Bundesregierung vertrat deshalb lange die Ansicht, dass es sich bei Nord Stream II um ein privatwirtschaftliches Projekt ohne politische Implikationen handele. Zwar räumte die Bundeskanzlerin beim Besuch des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko in Berlin jüngst ein, dass die Ukraine auch weiterhin Transitland für russisches Gas bleiben müsse; von einem Stopp oder einer Suspendierung des Bauvorhabens war aber keine Rede.
Sollte Deutschland nicht einlenken, könnten den neuen Rohren nur noch die Europäische Union und Dänemark Steine in den Weg legen. Die EU-Kommission möchte die Pipeline den Regeln des so genannten Dritten Energiepaketes unterwerfen. Demzufolge dürften die Leitungen dann nicht im Besitz des Lieferunternehmens Gazprom verbleiben. Laut eines internen Gutachtens verfügt die Kommission jedoch nicht über die Kompetenz, um ihre Regelungshoheit auf Pipelines außerhalb der Territorialgewässer der Mitgliedsstaaten auszudehnen.
Großen Unmut gibt es auch in Dänemark. Hier hat das Parlament im Winter eigens ein Gesetz erlassen, welches es der Regierung erlaubt, Pipeline-Bauvorhaben nicht nur aus Umweltschutz-, sondern auch aus politischen Gründen zu verbieten. Der geplante Trassenverlauf würde bei der Insel Bornholm durch dänische Hoheitsgewässer führen. Eine Entscheidung über die Genehmigung wird im Mai erwartet. Im Falle eines Neins aus Kopenhagen würde die Trasse wohl umgelegt, was für die dänische Offshore-Industrie substanzielle Verluste bedeuten würde.
Durch den Bau einer zweiten Pipeline durch die Ostsee, dem einzig möglichen Weg, um alle europäischen Partner geografisch zu umgehen, befindet sich Deutschland zwar auf dem Boden europäischen und internationalen Rechts. Politisch-moralisch bewegt es sich allerdings in einer Grauzone, in der das eigene Handeln zwar legal, aber fragwürdig ist. Tallinn und Warschau sollten Berlin im Zweifelsfall näher sein als Moskau.
„Nord Stream II steht im Widerspruch zu den Zielen der europäischen Energieunion“, sagen auch die FDP-Politiker Nadja Hirsch und Michael Link gemeinsam mit anderen Außenpolitikern in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen. Diese solle Europa energiepolitisch unabhängiger machen. „Europäische Energiepolitik und Solidarität mit unseren Nachbarn sprechen gegen Nord Stream II. Wer europäische Solidarität selbst nicht übt, wird es schwer haben, sie bei anderer Gelegenheit einzufordern.“
Europa fehlt es im Moment an vielen Stellen an Teamgeist. Gerade das größte und stärkste Mitglied der Gemeinschaft sollte deshalb möglichst oft mit gutem Beispiel voran gehen. Wer in anderen Politikfeldern regelmäßig gemeinschaftliches Handeln einfordert, sollte die Sorgen der mitteleuropäischen Partner mit Blick auf Russland zumindest ernst nehmen. Langfristig wird das europäische Einigungsprojekt überhaupt nur Erfolg haben, wenn die Mitgliedsstaaten bereit sind, eigene Vorteile hinter gemeinsame Ziele zurückzustellen.
Sebastian Vagt ist European Affairs Manager der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Brüssel.