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Brexit
Flaute beim Brexit aber Rückenwind für die Liberalen

Das Vereinigte Königreich zwischen Kommunal- und Europawahlen

Die britische Premierministerin Theresa May hatte von ihren 27 europäischen Amtskollegen gerade einen weiteren Aufschub erhalten, da schickte ihr der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk eine Warnung hinterher: „Bitte verschwendet diese Zeit nicht“. 

Als neues Austrittsdatum ist der 31. Oktober vereinbart worden. Das bedeutet sechs Monate Zeit für die britische Regierung, einen Austrittsplan zu entwerfen, den auch eine Mehrheit der Mitglieder des House of Commons unterstützt. Tusks Warnung ist mittlerweile mehr als 20 Tage alt. Passiert ist in diesen 20 Tagen nichts.  

Erstmals seit Monaten taucht das Wort „Brexit“ kaum noch auf den Titelseiten der großen britischen Zeitungen auf. Tom Brake, der europapolitische Sprecher der Liberal Democrats im Unterhaus bezeichnet diese Situation als „Sitzkrieg“. Die beiden großen Parteien, Conservatives und Labour belauern sich gegenseitig ohne sich über ihre weitere Strategie zu äußern. Grund dafür waren vor allem die Kommunalwahlen vom Donnerstag, 2. Mai. In 248 englischen und nordirischen Stadt- und Gemeinderäten wurden insgesamt rund 8.000 neue Abgeordnete gewählt. 

Liberal Democrats sind Gewinner

In Abwesenheit einer mit den deutschen Bundesländern vergleichbaren Ebene, kommt den lokalen Wahlen im Vereinigten Königreich traditionell eine große Bedeutung zu. Einfluss in den Kommunen hilft den Parteien außerdem unmittelbar, ihr Profil in den Wahlkreisen zu stärken und somit auch bei nationalen Parlamentswahlen mehr Mandate zu erringen. Um ein Wahlereignis von ähnlicher Bedeutung zu erreichen, müssten in Deutschland wahrscheinlich mehrere Landtage gleichzeitig gewählt werden.

Nachdem die Hälfte der Wahlkreise ihre Ergebnisse veröffentlicht haben, stehen die Sieger und Verlierer des Abends weitgehend fest. Die großen Verlierer sind die beiden großen Parteien, die jeweils herbe Verluste hinnehmen mussten und ihre Mehrheiten in zahlreichen Kommunalparlamenten verloren haben. Die klaren Gewinner des Abends sind die Liberal Democrats, die nach aktuellen Schätzungen die Anzahl ihrer lokalen Abgeordneten mehr als verdoppeln und zukünftig die Mehrheit in mindestens elf (statt bisher zwei) lokalen Parlamenten stellen werden. 

Abstrafung nach Brexit-Politik

Die Liberal Democrats erreichen damit ihr bestes kommunales Wahlergebnis seit mehr als 15 Jahren und dürfen sich erstmals seit dem Brexit-Referendum über echten Rückenwind freuen. Wie so oft bei regionalen und kommunalen Wahlen stellt sich natürlich die Frage, welchen Anteil die Lokalpolitiker und welchen die generelle politische Situation im Land am Ergebnis hatte. 

Die Vertreter der Parteien sind sich jedoch weitestgehend darüber einig, dass der Brexit und das andauernde politische Chaos spürbaren Einfluss auf die Ergebnisse hatte. So beklagt die Labour-Abgeordnete Ruth Smeeth mit Blick auf ihren Wahlkreis: „Ich habe 10 Mandatsträger verloren wegen der Brexit-Situation“. Die Wähler scheinen die beiden großen Parteien für ihre internen Flügelkämpfe und die daraus resultierende Brexit-Politik abgestraft zu haben. Die Liberal Democrats konnten erstmals von ihrer klaren Haltung gegen den Austritt des Vereinigten Königreichs profitieren. 

In den nächsten Tagen wird wieder öffentlich über den Brexit diskutiert werden. Labour und Conservatives werden ihre Verhandlungen auf der Suche nach einem überparteilichen Kompromiss fortsetzen. Unabhängig vom Erfolg dieser Verhandlungen wird Premierministerin May das Unterhaus noch im Mai erneut über das Austrittsabkommen abstimmen lassen und so versuchen, die Teilnahme des Vereinigten Königreichs an den Europawahlen doch noch abzuwenden. Dies wird ihr vermutlich nicht gelingen. Und so schlingern Großbritannien und Nordirland auf eine Europawahl zu, deren Bedeutung höchst ungewiss bleibt. Werden die neuen Abgeordneten ihre Mandate jemals antreten? Und wenn ja, für wie lange? 

„Leave“ oder „Remain“?

Der ab sofort beginnende Wahlkampf wird sich daher kaum um die Inhalte europäischer Politik, sondern hauptsächlich um die Frage „Leave“ oder „Remain“ drehen. Es wird weniger um die Entsendung von Abgeordneten als vielmehr um die Interpretation der Ergebnisse gehen. Manche sprechen daher schon von einem „Preferendum“, einer Vorrunde auf dem Weg zu einem zweiten Referendum.

Die Liberal Democrats haben seit der Kommunalwahl am Donnerstag, 2. Mai, Rückenwind. Bei den Europawahlen bekommen sie es allerdings mit neuen Gegnern zu tun, die auf lokaler Ebene nicht angetreten sind. Dazu zählt vor allem die Brexit-Partei der britischen Anti-EU-Ikone Nigel Farage, die im Moment die Umfragen mit 30 Prozent anführt. Dahinter folgen Labour mit 21 Prozent und Conservatives mit 13 Prozent. Zu den neuen Gegnern zählt aber auch die Konkurrenz aus dem Remain-Lager. Die von unabhängigen Abgeordneten gegründete Partei Change UK kommt ebenso auf 10 Prozent wie die Liberal Democrats selbst.