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#JetztMutMachen
#JetztMutMachen: "Die Apotheke ist mehr als eine Einkaufsstation"

Interview mit Tobias Brandl, Inhaber der Palmenapotheke in Ottobrunn
Tobias Brandl

Das Coronavirus bringt auch Apotheken in den Ausnahmezustand.  Wie man trotz der Sicherheitsmaßnahmen, seinen Kunden nah ist, wie sich der Alltag verändert hat und wie man es schafft trotz allem positiv zu bleiben, erzählt der Apotheker Tobias Brandl im Interview. 

 

Wie hat sich Ihr Arbeitsalltag verändert?

Ich habe in der letzten Woche 65 Stunden in meiner Apotheke verbracht. Ich denke für pharmazeutisches Personal ist es derzeit der falsche Zeitpunkt daheim auf der Couch zu sitzen und auf einen freien Tag zu bestehen, wenn man mal wirklich so akut helfen kann, wie das jetzt alle tun.

Wie hat sich das Einkaufserlebnis für Kunden verändert?

Das beginnt schon vor der Eingangstür. Da haben wir Plakate aufgestellt, die Leute mit Symptomen, von einer Reise zurückkommen, nachweislich Kontakt zu einem Corona erkranktem Menschen haben oder hatten, auffordern sich doch bitte an die Notdienstklappe zu bewegen. Natürlich sind wir weiterhin für die Leute da. Da wird niemand abgewiesen. Die werden einfach separat beraten, um die Gesunden von den potentiell Kranken oder Ansteckenden zu separieren. Die Leute, wenn sie am HV-Tisch stehen, sprechen auch nicht direkt mit uns, sondern durch einen nicht ganz so schicken Plexiglasspuckschutz. Ich denke es geht nicht um Optik oder Intimität in diesen Tage, sondern um den maximalen Schutz für die Kundschaft. Wir treffen auf großes Verständnis seitens der Kundschaft, wofür ich sehr, sehr dankbar bin.

Die Apotheke ist mehr als eine Einkaufsstation. Die Apotheke ist der Ort, wo gerade ältere Leute und chronisch Kranke den vertrauten Ansprechpartner finden und wo auch mal neben den Medikamenten noch zwei drei Worte gewechselt werden und das ist ganz wichtig, dafür ist auch weiterhin die Zeit da. Da tut die Corona-Krise  und auch das Plexiglas wenig zur Sache. Wir sind alle positiv gestimmt und versuchen das auch weiter zu transportieren.

Wie bleiben Sie und ihr Team positiv?

Es schwappt einem derzeit viel Dankbarkeit entgegen. Wir verzeichnen zahlreiche Danksagungen - sei es persönlich, vor Ort oder auch am Telefon. Da gibt es auch zahlreiche Kampagnen in den sozialen Medien. Das allein gibt schon Auftrieb. Neben all den monetären Aspekten ein herzliches Dankeschön, ein Lächeln – man glaubt gar nicht, was das für Energien frei setzt und ich kann wirklich nur von mir als Person an der Front sprechen: Das hält uns am Laufen. Das zum einen, zum anderen die zahlreichen positiven Geschichten nebenbei. Ich habe letzte Woche eine ganz große Brotzeit für alle meine Mitarbeiter ausgegeben. Auch das sorgt für gute Stimmung. Meine Kolleginnen sprechen sich da weniger gut ab. Deswegen haben wir seit heute früh nicht nur einen sondern zwei Kuchen zu verzehren. Also wir versuchen uns auch gegenseitig aufzubauen und bei Laune zu halten. Aber das größte sind da wirklich die Danksagungen. Zum zweiten Aspekt: Wie bleibt man positiv in all diesem Wahnsinn? Für mich ist es gerade der Wahnsinn, der mich positiv bleiben lässt. Ich bin gerade dank meines Alltags positiv. Denn mein Alltag bleibt in diesen Wochen alltäglich und das ist ja was Besonderes.

Welche weitere Aktionen gibt es derzeit noch?

Neben den Momenten mit Kunden, die ich beschrieben habe, gibt es eine Initiative des Bundesverbands der Pharmaziestudierenden. Denn die Pharmaziestudierenden in Deutschland haben gerade die gleiche Situation wie alle Studierenden. Sie sind von den Unis nach Hause geschickt worden, es gibt keine Vorlesungen mehr und  die Bibliotheken sind geschlossen. Studierende sind zum Nichtstun verdammt und deswegen hat der Bundesverband der Pharmaziestudierenden ein Stellenportal geschaffen für genau solche Studenten. Die Apotheken, die jetzt total am Rad drehen, können ein Stellengesuch aufgeben, wo sie Hilfe brauchen und die Studierenden können sich darauf melden. Ich habe in meiner Apotheke sechs Bewerbungen innerhalb eines Nachmittags bekommen von Leuten, die alle sagen: „Ich kann mein Studium nicht fortführen und ich möchte helfen!" Das hat mich total umgehauen und da möchte ich danke sagen an die Leute, als auch an den Verband. Und deswegen: es gibt soviel Positives derzeit und auch in der Krise so viele Akte der Menschlichkeit. Das kann uns alle positiv stimmen für die Zeit jetzt und für die Zeit danach.

Wie kann man auch außerhalb der Apotheke positiv bleiben?

In der Zeit können wir doch alle mal innehalten und uns bewusst machen, wie gut wir es eigentlich vor der Corona-Krise hatten, die uns alle kalt erwischt. Ich weiß, ich spreche da nicht für alle, aber ich spreche doch für sehr viele, wenn ich sage: "Wir hatten ein wahnsinnig privilegiertes Leben und einen wahnsinnig privilegierten Alltag." Ich denke in der Zeit ist es schon erlaubt davon zu träumen, wie sich das Ganze wohl anfühlen wird, nach überstandener Krise, wenn man einfach mal wieder zu dritt oder zu viert spazieren gehen kann. Da darf man im Videochat mit Freunden jetzt träumen und Pläne schmieden. Das ist erlaubt und das hält einen durchaus im Positiven.

 

Weltweit zeigen Menschen, dass sie in der Krise zusammenhalten und sich um den anderen kümmern. Wir wollen die nächsten Tage und Wochen nutzen, um Mut zu machen, Denkanstöße zu liefern und Diskussionen anzuregen. In dieser Reihe geben wir Einblick, wie gegenseitige Unterstützung ohne Fatalismus aussehen kann und geben der Freiheit eine Stimme – weil Freiheit ohne Zusammenhalt keine ist.

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