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Bolivien
Jubel und Gewalt in Bolivien

Zur Situation nach dem Rücktritt von Präsident Evo Morales
Bolivien Proteste
Die zahlreichen Proteste gegen die Regierung zwangen Präsident Evo Morales zum Rücktritt. © picture alliance / NurPhoto

Am 09.11. abends nach dem vernichtenden Bericht der OAS Beobachterdelegation kündigte Präsident Evo Morales baldige Neuwahlen an. Nur wenige Stunden später am 10.11. verkündete Morales seinen Rücktritt als Präsident zum Wohle Boliviens und des sozialen Friedens wegen, aber nicht ohne der politischen Opposition, Polizei und Militär sowie ausländischen Akteuren vorzuwerfen, einen Staatsstreich vollzogen zu haben. Die Unterstützung und Solidaritätsbekundungen von Seiten der lateinamerikanischen Linken kamen postwendend im Minutentakt. Venezuelas Machthaber Maduro und auch der Ex-Präsident Paraguays, Fernando Lugo, bliesen ins gleiche Horn und erinnerten an ihre eigenen „Schicksale“. Zur Erinnerung: derselbe Maduro, dessen Wahl bzw. Wiederwahl und damit seine Präsidentschaft von der EU, den USA und anderen Staaten wegen Unregelmäßigkeiten nicht anerkannt werden. Derselbe Fernando Lugo, der mit 39:4 Stimmen im Senat, unter anderem mit großer Unterstützung seiner eigenen Partei, in einem verfassungskonformen Verfahren des Amtes enthoben wurde. 

Nahezu gleichzeitig zu den erwähnten Solidaritätsbekundungen bot Mexiko Evo Morales Asyl in Mexiko an. Auch der am 27.10. zum argentinischen Präsidenten gewählte Peronist Alberto Fernandez intervenierte bei Amtsinhaber Mauricio Macri, um Morales Asyl zu gewähren, was dieser jedoch umgehend ablehnte. 

Betrachtet man die Entwicklungen und Fakten, so ergibt sich ein etwas differenzierteres, wenn nicht gegensätzliches Bild über die Ereignisse in Bolivien. Die Kandidatur Morales war von Beginn an höchst strittig. Die bolivianische Verfassung sah keine Wiederwahlmöglichkeit vor. Daraufhin wollte Morales das Volk entscheiden lassen und initiierte ein Referendum, das eine Wiederwahl erlauben sollte. Das wurde aber vom Volk mit großer Mehrheit abgelehnt. Daraufhin nutzte Morales seine Amtsgewalt bei der Bestimmung bzw. Ersetzung einzelner Mitglieder des Verfassungsgerichtes und ernannte ihm loyale Richter. Schließlich erklärte das dann so zusammengesetzte Oberste Gericht entgegen den verfassungsrechtlichen Bestimmungen und entgegen dem erklärten Volkswillen, dass es sein legitimes Menschenrecht sei, zur Wiederwahl anzutreten.

Sicherheitsbehörden sympathisieren mit Demonstranten

In Bolivien benötigt ein Kandidat entweder 50% der Stimmen oder einen Vorsprung von 10% auf den Zweitplatzierten, um im ersten Wahlgang gewählt zu werden; ansonsten gibt es eine Stichwahl der beiden bestplatzierten Kandidaten. Bei der Auszählung der Stimmen am Wahlabend zeichnete sich ab, dass Morales zwar vorne lag, aber mit zuwenig Vorsprung, so dass ihm eine Stichwahl drohte. Daraufhin wurde die Bekanntgabe der Wahlergebnisse für 24 Stunden ausgesetzt. Als sie wiederaufgenommen wurde, kam laut Wahlkommission das Ergebnis zustande, dass Morales im ersten Wahlgang gewählt worden sei. Dagegen prangerte die Wahlbeobachterkommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) noch am gleichen Abend gravierende  Unregelmäßigkeiten an. Erst nach massiven Protesten und einige Tage später erklärte sich Morales bereit, einer unabhängige OAS-Delegation zu erlauben, eine Wahluntersuchung und -prüfung durchzuführen. Diese gab dann am 08.11. offiziell bekannt, dass es sich um Wahlbetrug handelte, was die eingangs beschriebene Entwicklung auslöste. Zuvor hatten Militär und Polizeiführung, erklärt, dass sie sich nicht gegen die Mehrheit des Volkes stellen würden. Ähnlich hatten Teile der philippinischen Armee 1986 angesichts der friedlichen Revolution gegen den Diktator Marcos und die Armee Bangladeschs 1988 angesichts des gewaltfreien Aufstands gegen den Diktator Ershad gehandelt, was in beiden Fällen Blutvergießen vermied und einen friedlichen Machtwechsel ermöglichte.  

Wie man im Laufe des 09. und 10.11 aus Medienberichten erfuhr, sympathisierten in einzelnen Provinzen (La Paz, Cochabamba, Oruro, Sucre und Santa Cruz) Angehörige der Polizei offen mit den Demonstranten. Kurze Zeit später riefen Polizei und Militärführung Morales auf, im Interesse des öffentlichen und sozialen Friedens zurückzutreten. An dieser Stelle ist es wichtig anzumerken, dass es auch innerhalb der indigenen Bevölkerung, die Morales bisher mit großer Mehrheit unterstützte, im Laufe der Ermittlungen und Informationen über das Wahlgeschehen zu wachsendem Widerstand gegen Morales kam. Parallel dazu verlor Morales auch an Unterstützung innerhalb seiner eigenen Partei. Landesweit reichten Bürgermeister, Senatoren und Abgeordnete ihren Rücktritt ein. Wahrscheinlich sah Morales die Ausweglosigkeit seiner Position ein und verkündet kurze Zeit später seinen eigenen Rücktritt. Im Nachgang legten dann nacheinander auch der Vizepräsident und die Präsidenten von Senat und Abgeordnetenhaus haben ihre Ämter nieder, was nicht nur das Chaos vollständig macht, sondern auch ein gefährliches Machtvakuum hinterlässt. 

Der Generalstaatswalt kündigte zudem Ermittlungen gegen führende Mitglieder der Wahlkommission an. Am späten Nachmittag wurde die Lage noch unübersichtlicher, es gab in den sozialen Medien vereinzelt Meldungen, Morales sei in der Präsidentenmaschine mit unbekanntem Ziel unterwegs, kurz darauf erfolgte die Zusage durch den mexikanischen Außenminister, dem zurückgetretenen Präsidenten Asyl zu gewähren. Mehreren Berichten zufolge hatten bis zu dem späten Abendstunden 20 enge Mitarbeiter Morales und Mitglieder der Wahlkommission in der Mexikanischen Botschaft um Asyl gebeten.

Jubelstürme und Gewaltaktionen

Nach dem Rücktritt Morales und seiner wichtigsten politischen Verbündeten kam es zunächst in den Strassen zu Jubelstürmen. Mit Anbruch der Dunkelheit kam es allerdings auch zu Gewaltaktionen und Vandalismus in La Paz, Cochabamba, El Alto und Santa Cruz, bei denen auch ein Krankenhaus angegriffen und angezündet wurde. Da die Opposition und die Demonstranten mit dem Rücktritt Morales ihr wichtigstes Ziel erreicht haben, ist wohl schwerlich anzunehmen, dass diese Ausschreitungen von ihnen zu verantworten sind. Die Organisation RIBE (Red Internacional de Bolivianos en el Exterior) sehen die Initiatoren in frustrierten Elementen der Sozialismus-Bewegung (MAS) von Evo Morales.

Es bleibt nun abzuwarten, wie sich die Dinge entwickeln. Zu hoffen ist, dass die Gewalt bald ein Ende hat und sich alle Akteure darauf besinnen, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im Lande wiederherzustellen und zu stabilisieren.