Polen
Koalitionen bilden ist schwer
Die nationalkonservative Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) zieht geeint und in einer Position der Stärke in den Wahlkampf für die nationalen Wahlen im Herbst. Die Opposition weiß, dass nur eine gemeinsame Strategie einen Sieg der PiS verhindern kann. Aber das ist leichter gesagt als getan. Die Unterschiede zwischen den Oppositionsparteien sind so groß, dass sich ein kohärentes Programm kaum mehr formulieren lässt.
Die gute Nachricht: Obwohl Polens Regierung der von Viktor Orbán in Sachen Abbau rechtsstaatlicher Strukturen emsig nacheifert, ist es ihr nicht gelungen, die Opposition so zu schwächen, wie es in Ungarn der Fall ist. Die Fragmentierung hält sich in Grenzen, Parteistrukturen sind weitgehend handlungsfähig, eine vitale Zivilgesellschaft existiert im Umfeld und man ist noch fähig, miteinander zu reden, um gemeinsame Wege in der Auseinandersetzung mit der PiS zu suchen.
Unerwartet gut war es den Oppositionsparteien gelungen, bei den Kommunal- und Regionalwahlen im November 2018 den Vormarsch der PiS durch gemeinsame Listen einzudämmen. Bei den Europawahlen im Mai sah die Sache schon weniger erfolgreich aus. Die gemeinsame Oppositionsliste Koalicja Europejska (KE) erreichte mit 38,5% einen durchaus beachtlichen Stimmenanteil, aber dank hoher Mobilisierung von Stammwählern war das Ergebnis der PiS mit 45,4% deutlich besser. Bei beiden Wahlen ging es jedoch nicht um eine handlungsfähige Regierung mit einem klaren Programm. Das ist bei der nationalen Parlamentswahl im Herbst anders. Und deshalb war vorherzusehen, dass die Bildung einer gemeinsamen Wahlkoalition sich erheblich schwieriger gestalten würde.
Streitigkeiten in Sicht
Was so hoffnungsvoll begonnen hat, scheint sich jetzt in Streitigkeiten zu verlieren. Die Versuche der Opposition, sich auf eine gemeinsame Liste für die nationalen Parlamentswahlen zu einigen, erweisen sich als eine harzige Angelegenheit, die immer schwieriger zu werden droht. Einigermaßen klar scheint es noch bei dem Kern der gemeinsamen Liste Koalicji Obywatelskiej (KO, Bürgerkoalition) zu sein, die aus der moderat konservativen früheren Regierungspartei Platforma Obywatelska (PO, Bürgerplattform) und der liberalen Nowoczesna (.N, Die Moderne) besteht. Beide Parteien verfügen über ein großes Potential an inhaltlichen Übereinstimmungen. Zudem befindet sich .N derzeit in den Umfragen in einer Schwächephase und nur in einer Listenverbindung kann sie ihren Beitrag zum Sieg der Opposition leisten. Mehr oder minder fest hinzugesellt hat sich inzwischen die eher linke Frauenrechtspartei Inicjatywa Polska (IP) der Frauenrechtlerin Barbara Nowacka. Frauen bilden zunehmend einen harten Kern der Anti-PiS-Opposition, nicht zuletzt wegen der radikalen Anti-Abtreibungspolitik und der rückwärtsgewandten Familienpolitik der Regierung. Aber schon diese Allianz muss im Ansatz damit kämpfen, dass ihr Programm als diffus erachtet wird. Und die Wahlarithmetik verlangt nun einmal, dass die Koalition noch einmal erweitert werden muss.
Als größte Partei wäre es an der PO, hier einen Kurs vorzugeben. Das scheint ihr schwerzufallen. Das hat unter anderem seinen Grund in der Person des Vorsitzenden Grzegorz Schetyna. Der verfügt weder über großes Charisma, noch ist er ein programmatischer Visionär. Bisweilen neigt er zum politischen Intrigenspiel, z.B. als er im Januar Abgeordnete der verbündeten .N zur PO-Fraktion abwarb, um die Partei durch die PO „aufzusaugen“, was aber am Ende nicht gelang. Derartiges dient nicht der Vertrauensbildung gegenüber strategischen Partnern.
Programmatisch diffus
Mit über 2000 Teilnehmern – ein Indiz, dass die Opposition durchaus Mobilisierungskraft besitzt – war die gemeinsame Programmkonferenz der KO am 12./13. Juli zwar gut besucht, das Ergebnis fiel aber ernüchternd aus. Schon das Motto „Polen gesund machen“ hätte von der PiS kommen können, die sich gerne Gesundheitsmetaphern bedient, wenn es um die „Heilung“ des angeblich „moralisch kranken“ Polens geht. Und die Inhalte? Da liefert die Regierung eigentlich Steilvorlagen. Die PiS fährt derzeit eine zweigleisige Strategie mit Peitsche (Gängelung staatlicher Medien, Gefährdung der Unabhängigkeit der Justiz) und Zuckerbrot, was sich in einer enormen Expansion von populistisch motivierten Sozialleistungen (insbesondere für Rentner) niederschlägt. Bisher war Polen eine Art Musterknabe in Sachen Wirtschaftspolitik unter den Ländern des ehemaligen Ostblocks. Doch unter der PiS haben Etatismus und Verantwortungslosigkeit gegenüber künftigen Generationen neue Dimensionen angenommen. Die PiS, so kommentierte kürzlich die Tageszeitung Gazeta Wyborcza, habe so viel Angst vor einem Sieg der Opposition, dass „sie den finanziellen Zusammenbruch des Staates riskiere“.
Hier wäre Platz für die Opposition, klare wirtschaftspolitische Kante zu zeigen. So sehen es auch die Liberalen in der KO: „Die Sozialtransfers treiben die Inflation an. Grundnahrungsmittel sind dramatisch teurer als vor einem Jahr, und die Einkommen der Polen steigen viel langsamer“, warnte vor einiger Zeit die Vorsitzende der liberalen .N, Katarzyna Lubnauer. Wirklich genutzt wurde diese Vorlage vor allem von der einst sehr wirtschaftsliberalen PO nicht. Eher im Gegenteil: das Programm, das ihre Handschrift trägt, fordert neben der Wiederherstellung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie (etwas, worauf sich alle Oppositionsparteien einigen können) ein Sammelsurium von Versprechungen nach mehr Gesundheitsausgaben, höheren Löhnen, mehr Klimaschutz oder Besserstellung der Alten. Man könne doch nicht die vielen Geldtransfers der Regierung kritisieren, meinte die einflussreiche Boulevardzeitung Fakt nach Schetynas Grundsatzrede auf der Konferenz, um dann noch mehr davon zu versprechen. Andere Kommentatoren sprachen von einer „Parodie“ des Programms der PiS.
Mit Bauern oder Sozialisten?
Aber die inhaltliche Positionierung ist ja auch keine leichte Aufgabe. Denn hinter allen diesen inhaltlichen Ungereimtheiten steht die Frage, wen die KO noch mit in das Boot ihrer Wahlliste holen soll. Bei der Europawahl war das noch einfach. Man zog noch zusammen mit dem sozialdemokratischen Bündnis der Demokratischen Linken (Sojusz Lewicy Demokratycznej, SLD) und der konservativen Polnischen Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe, PSL) in den Wahlkampf. Diese beiden Parteien bewerfen die PO jedoch seit einiger Zeit mit Ultimaten, nicht in das Bündnis einzutreten, wenn der jeweils andere dabei wäre. Die PSL als relativ kleine Partei gibt sich etwas wertkonservativer und trug damit bei den Regionalwahlen im letzten Jahr mit dazu bei, dass die Äste der PiS in ihren ländlichen Stammregionen nicht zu sehr in den Himmel wuchsen. Wenn es das Ziel ist, die vielen potentiell gemäßigten Wechselwähler zu gewinnen, wäre die Einbeziehung der PSL zwingend und das Liebäugeln mit einer linkeren Agenda schädlich. Aber das Verhältnis zwischen Schetyna und Władysław Kosiniak-Kamysz, dem Vorsitzenden der PSL, ist seit Langem angespannt, vor allem wegen Schetynas Hang zum Taktieren, aber auch, weil Kosiniak-Kamysz die PO auf einem Kurs nach links sieht. Inzwischen spielt er sogar mit dem Gedanken, ein eigenes Bündnis unter dem Namen Koalicja Polska zu gründen, in der sich Kandidaten der PSL und unzufriedene PO-Abgeordnete finden sollen. Das würde allerdings eine gefährliche Zersplitterung des Oppositionslagers bedeuten.
Umgekehrt würde die SLD, die sich als gesellschaftlich progressiv sieht, ein Bündnis mit der PSL nicht mitmachen. Außerhalb eines Bündnisses mit der KO stünde sie aber auf verlorenem Posten. Man erinnert sich in Polen noch genau, dass die Fragmentierung der Linken und die daraus resultierende Nichtvertretung dieses Wählersegments im Parlament erst die absolute Mehrheit der Sitze durch die PiS bei nur 37,6 Prozent der Stimmen möglich machte. Eine sinnvolle Arbeitsteilung wäre vielleicht, wenn sich jeweils die Parteien auf der linken und auf der bürgerlichen Seite zu separaten, aber noch parlamentsfähigen Listen zusammenfinden könnten. Das ist auch in der Diskussion. Aber das linke Spektrum ist immer noch hoffnungslos zersplittert. Die SLD hat insbesondere Schwierigkeiten, mit der linksradikalen Bürgerrechtspartei Wiosna einen gemeinsamen Nenner zu finden, die eine Zeit lang auf dem Wege war, stärkste Kraft im linken Spektrum zu werden, aber inzwischen in den Umfragen stark absinkt. Wieder steht die Linke im Lande vor der Selbstannihilierung.
Der PO und mit ihr auch der liberalen .N stehen am Ende vielleicht nur die zweit- oder drittbesten Optionen zur Verfügung: Ein eher bürgerliches Bündnis, das der PiS direkt in ihren Milieus Konkurrenz macht, aber wegen des Wegfalls der Linken am Ende nicht die Mehrheit erreicht, oder ein Bündnis mit der SLD, das wiederum bürgerliche (Wechsel-) Wähler mit diffuser Wirtschaftspolitik verschreckt. Möglicherweise wird Schetyna die letztere Option für die am wenigsten schädliche halten. Aber das wird sich erst in einigen Tagen zeigen, wenn die klaren Entscheidungen fallen müssen.
Schwierig, aber nicht hoffnungslos
Die Zeit drängt jedenfalls. Die PiS steht geeint da. Sie zögert die Verkündung des Wahltermins ungewiss hinaus, um es der – wie auch immer gearteten – Koalition etwas schwieriger zu machen, sich mit den nötigen 100.000 Unterschriften registrieren zu lassen. Parallel dazu versucht sie derweil das PO-geführte Bündnis vorweg anzuschwärzen. Daran erinnernd, dass die PO wegen etlicher Skandale, die durch Mitschnitte von Privatgesprächen von Kabinettsmitgliedern publik wurden, 2015 bei den Wählern abgestürzt war, verbreitet sie Gerüchte, dass auf der gemeinsamen Oppositionsliste Kandidaten erscheinen werden, gegen die Korruptionsvorwürfe bestehen. Nicht, dass das irgendwie beweisbar wäre, aber es stimmt schon einmal darauf ein, dass man vor dem Herbst mit einem Wahlkampf rechnen muss, in dem seitens der Regierung wenig Pardon gegeben und wenig demokratiewürdiger Stil gepflegt werden wird.
Wie wird das Ganze ausgehen? Hoffnungslos ist die Lage der Opposition nicht, obwohl die Regierung im Augenblick klar besser positioniert ist. Andererseits können schon kleine Unwägbarkeiten große Veränderungen bewirken. Zieht die PSL ins Parlament ein oder nicht? Schafft es die SLD? Nehmen die im Augenblick sich formierenden rechtsradikalen Parteien der PiS Stimmen weg und schaffen sie die Fünfprozenthürde? Das polnische Parteiensystem ist immer noch erstaunlich fluide.
Und schließlich gibt es ein großes Potenzial von Wählern, die sich mobilisieren lassen können, weil sie befürchten, dass die Demokratie im Lande durch eine weitere PiS-Regierung ernsthaft gefährdet würde. Deshalb werden die nächsten Tage und Wochen entscheidend sein. Nur wenn es den Oppositionsparteien gelingt, sich – ganz gleich in welcher Konstellation - als strategisch kompetente, glaubwürdige und perspektivisch ansprechende Alternative anzubieten, wird es gelingen, dieses Potenzial hinreichend zu nutzen. Möglich ist das. Und getan werden muss es. Sonst werden die Oppositionsabgeordneten im Sejm ab dem Herbst von ihren Oppositionsbänken machtlos anschauen müssen, was mit Polen geschieht. Und das kann man sich nicht wünschen.
Detmar Doering leitet das Projektbüro für Mitteleuropa und die baltischen Staaten der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit mit Sitz in Prag.