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Kulturkampf in Polen: PiS kämpft für „LGBT+-freie Zonen“

In Polen arbeiten Kirche und Staat daran, ein feindliches Umfeld für die LGBT+-Gemeinde zu schaffen.
Polen

In Polen haben viele Menschen für Gleichberechtigung demonstriert.

© picture alliance/Wiktor Dabkowski

Wer sich in Polen im Jahr 2019 offen als schwul, lesbisch, bi-oder transsexuell bekennt oder sexuelle oder geschlechtliche Normen aus anderen Gründen ablehnt (LGBT+), braucht geistige und manchmal sogar körperliche Stärke. Sowohl die katholische Kirche als auch der polnische Staat arbeiten daran, ein feindseliges Umfeld für die Gemeinschaft zu schaffen. Die politische Kampagne gegen die LGBT+ erinnert an die Propaganda gegen Migranten und könnte rechtsradikalen Kräften in anderen Ländern Europas als Inspiration dienen. 

Die nationalkonservative Regierungspartei PiS hat in den letzten Jahren ihre Wahlkampagnen vor allem auf die Darstellung Polens als Opfer ausgerichtet. In diesem Bild sind Brüsseler Bürokraten, Migranten oder der liberale US-Milliardär und Philanthrop, George Soros, die Täter (die Idee für letztere Kampagne wurde von der ungarischen Regierungspartei Fidesz übernommen). Für PiS haben sich Botschaften, die vermeintliche Unterschiede zwischen „uns“ und „denen“ betonen, als effektivste Methode erwiesen, um die Anhänger der Partei an die Wahlurne zu bringen.

Dass die Rechte von LGBT+ auf der politischen Tagesordnung in Polen stehen, liegt zum einen an der Gründung der neuen linksprogressiven Partei Wiosna (Frühling) sowie an der Verschiebung der größten Oppositionspartei Bürgerliche Plattform (PO) in Richtung des politischen Zentrums. PiS beschäftigte sich mit dem Thema und setzte eine Kampagne gezielter, explosiver Botschaften gegen die Gemeinschaft in Gang. Um die eigene konservative Basis zu stärken, präsentiert sich PiS als Bollwerk gegen LGBT+-Gruppen, die sie als Bedrohung für die katholischen Familienwerte darstellt.

Auch die katholische Kirche sieht Homosexuelle als Bedrohung. Der Erzbischof von Krakau bezeichnete die LGBT+-Bewegung als "Regenbogenpest" – und das nur wenige Tage nachdem in der Stadt Bialystok im Osten Polens Hooligans und Ultrarechte die Teilnehmer der ersten LGBT+-Parade verfolgt, geschlagen und mit Steinen und Flaschen beworfen hatten.

Eskalierende Rhetorik 

Die Stimmung gegen LGBT+ war wochenlang von rechten Politikern und Medien angeheizt worden. Auch die katholische Kirche initiierte Gebete im Freien und der Erzbischof von Bialystok, Tadeusz Wojda, forderte die Gemeindemitglieder auf, "die christlichen Werte zu verteidigen". Die LGBT+-Parade sei "eine Initiative, die der polnischen Gesellschaft fremd und gegenüber den Katholiken diskriminierend ist“.

Neben dem Ausbruch der Gewalt in Białystok hat diese eskalierende Rhetorik viele Menschen in der polnischen LGBT+-Gemeinschaft zutiefst verunsichert. Der Vorsitzende der regierenden PiS-Partei, Jarosław Kaczyński, kritisierte die LGBT+-Community öffentlich als "Bedrohung der polnischen Identität". Die Bekämpfung der sogenannten westlichen „LGBT+-Ideologie“ hat inzwischen die Kampagne gegen Migranten ersetzt.

Regionale PiS-Funktionäre drängen seit einiger Zeit darauf, Städte und sogar ganze Provinzen im konservativen Südosten des Landes für „LGBT+-frei“ zu erklären. LGBT+-Aktivisten haben bisher rund dreißig solcher Erklärungen gezählt. Außerdem legte die konservative Zeitschrift „Gazeta Polska"ihrer Ausgabe einen Sticker mit der Aufschrift "LGBT+-freie Zone" bei.

Viele liberale Kommentatoren haben Parallelen zwischen dem Aufkleber und der Diskriminierungspropaganda des Dritten Reiches gezogen. So auch der stellvertretende Bürgermeister Warschaus, Paweł Rabiej, von der liberalen Partei Nowoczesna: "Wir sehen, dass diese alten Denkmuster heute in Polen viele Anhänger finden", sagte er und fügte hinzu, dass dies "unter dem schützenden Dach" der Regierungspartei und der Bischöfe geschieht.

Hooligans fühlen sich ermutigt

Die politische Atmosphäre im Land spaltet sich zunehmend. Hooligans fühlen sich durch die Untätigkeit der Regierung ermutigt. Eine Woche nach dem Białystok-Aufmarsch wurde in Wrocław ein Hochschullehrer verprügelt, weil er sich öffentlich gegen ein rechtsextremes Graffiti positionierte. Einige Tage später wurde eine Frau von einem Türsteher geschlagen, weil sie einen Regenbogenpullover trug.

LGBT+-Organisationen, verschiedene NGOs und Oppositionsparteien haben im ganzen Land gegen den zunehmenden Hass gegenüber Homosexuellen demonstriert. Es wurden "Hassfreie Zone"-Aufkleber verteilt. Der Hashtag #JestemLGBT („Ich bin LGBT“) wurde zum Online-Trend, als tausende Polen ihren Familienmitgliedern, Nachbarn und Mitarbeitern auf Facebook und Twitter mitteilten, dass LGBT+-Menschen überall willkommen seien.

Die Gesellschaft in Polen, in der sich mehr als 80 Prozent der Bevölkerung als katholisch bekennen, ist seit langem von einer konservativen Haltung gegenüber LGBT+-Themen geprägt. Eine kürzlich durchgeführte Meinungsumfrage ließ jedoch Rückschlüsse auf eine zunehmende Akzeptanz der LGBT+-Gemeinschaft zu. So unterstützen beispielsweise 41 Prozent der Befragten gleichgeschlechtliche Ehen; vor neun Jahren waren es nur 20 Prozent.

In letzter Zeit hat sich die polnische Regierung in ihren Wahlkampagnen zunehmend auf die sogenannte „LGBT+-Ideologie“ konzentriert und diese als heimtückische Bedrohung für die Nation dargestellt. Andere Parteien beobachten, wie effektiv diese Wahlstrategie ist.

Ungarische Regierung testet die Wähler

So mündete in Ungarn eine Coca-Cola-Plakatkampagne, die für mehr Akzeptanz gegenüber Homosexuellen werben wollte, in einem Boykottaufruf der rechtsradikalen ungarischen Bewegung Mi Hazank (Unsere Heimat) und des Parlamentsabgeordneten István Boldog aus den Reihen der konservativen Regierungspartei Fidesz.

Der derzeitige Sprecher der ungarischen Nationalversammlung, László Kövér, löste Empörung aus, als er gleichgeschlechtliche Paare, die Kinder adoptieren wollten, mit Pädophilen verglich. 

Im Unterschied zu der polnischen Regierung ist sich die ungarische Regierung der wachsenden Akzeptanz der Homosexuellen in der Gesellschaft bewusst und testet eher die Stimmung ihrer Wähler. 

Auch die Wahlkampagnen der regierenden Partei Fidesz basierten bisher immer auf Feindbildern. Nach der EU, Migranten, Nichtregierungsorganisationen und Obdachlosen kommen dafür nun auch LGBT+-Personen in Frage. Die politischen Kampagnen in Ungarn und Polen weisen bemerkenswerte Ähnlichkeiten mit der Regierungspropaganda gegen Migranten auf.

Best-Practice-Beispiel aus Polen

Genau zum Zeitpunkt der Ausschreitungen in Białystok unternahm eine Gruppe polnischer Liberaler sowie Vertreter der Zivilgesellschaft mit Unterstützung der Friedrich-Naumann-Stiftung für Freiheit eine Informationsreise nach Lettland und Estland, um die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet des Schutzes von Minderheiten und LGBT+-Rechten zu untersuchen.

Miłosz Hodun vom polnischen Thinktank Projekt: Polska hat die Ergebnisse der Informationsreise so zusammengefasst: „In Estland, Lettland und Polen wächst die Akzeptanz für LGBT+-Personen sowie die Unterstützung für gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Leider kämpfen alle drei Länder mit Rechtspopulismus, der Hass gegen Minderheiten als eines seiner Hauptinstrumente einsetzt. Nach Abschluss unserer Studienreise bin ich überzeugt, dass dieser Rückschritt nur vorübergehend ist, da es bedeutende fortschrittliche Kräfte und lebhafte Bewegungen in der Zivilgesellschaft gibt, die keine Angst haben, für die Gleichberechtigung zu kämpfen. Die politische Landschaft und die populistischen Herausforderungen dieser drei Länder sind sehr ähnlich, und es ist entscheidend, dass die Liberalen in Kontakt bleiben und voneinander lernen.“

Mehr Informationen zum Projekt gibt es hier.

 

Toni Skorić ist Projektmanager für Mitteleuropa und die baltischen Staaten im Stiftungsbüro in Prag.