Rede zur Freiheit
Die 19. Berliner Rede zur Freiheit

S.E. Oleksii Makeiev, Botschafter der Ukraine in Deutschland, hält die 19. Rede zur Freiheit
© (C) Frank NürnbergerEs gilt das gesprochene Wort.
Klicken Sie hier, um die Rede und das anschließende Gespräch mit Dr. Claudia Major im Video zu sehen.
Lieber Herr Professor Paqué, Verehrte Damen und Herren,
Was ist Freiheit?
Fragt man in Bonn, hört man wahrscheinlich die Geschichte von Konrad Adenauer und der Schicksalsfrage Deutschlands. Also von der Wahl zwischen Sklaverei und Freiheit nach dem Zweiten Weltkrieg.
Fragt man in Leipzig, hört man wahrscheinlich eine ganz andere Geschichte. Eine Geschichte der Friedlichen Revolution und wie der Fall der Mauer in Leipzig begann.
Fragt man einen Franzosen nach der Freiheit, erfährt man wahrscheinlich, dass die Freiheit eine französische Erfindung ist. Wie alle guten Dinge auf der Welt.
Wenn man diese Frage einem Russen stellt, wird er die Frage nicht verstehen, aber versuchen, Sie zu befreien. Was russische Befreiung ist, haben wir in Bucha oder Mariupol gesehen.
Sie haben einen Ukrainer gefragt. Und so dankbar ich dafür bin, so verdammt schwer haben Sie es mir gemacht, meine Damen und Herren.
Was also ist Freiheit?
Die Antwort hängt davon ab, wer sie gibt. Aber auch wo und wann. Noch vor vier Jahren hätte man dieselbe Antwort in der Nacht von Samstag auf Sonntag im Berliner Berghain und in einem der Clubs von Kyjiw hören können. Heute würde man in Kyjiw nachts kaum jemanden fragen. Es herrscht Ausgangssperre. Und statt Techno hört man Luftalarm und Kamikaze-Drohnen.
Manche, die man vor vier Jahren noch auf einem Dancefloor in Kyjiw gefunden hätte, stehen heute an vorderster Front. Früher die ganze Nacht Rave. Jetzt die ganze Nacht Wache. Diese Wache steht dafür, dass im Berghain getanzt werden kann. Diese Wache steht für Freiheit. Diese Wache steht bis zum Ende. Und für manche ist dieses Ende bereits gekommen. Der Totentanz des russischen Vernichtungskrieges ist ihr letzter Tanz geworden. Sie gaben ihr Leben für die Freiheit. Für eine Freiheit, die sie nicht mehr genießen können.
Aber was ist Freiheit?
Ich erinnere mich an ein großes Transparent im Zentrum von Kyjiw. Es zeigte eine zerbrochene Kette. Daneben standen die Worte “Freedom is our Religion”. Mit diesem Transparent wurde das ausgebrannte Gebäude auf dem Maidan Nesaleschnosti verhüllt. Der Brand ereignete sich Ende Februar 2014, als das Gebäude von Spezialeinheiten des Machthabers Janukowytsch gestürmt wurde. Den ganzen Winter über diente dieses Gebäude, das Haus der Gewerkschaften, als Hauptquartier der Revolution. Der Revolution, die als Antwort auf staatliche Gewalt und Willkür begann.
Ende November 2013 protestierten Studierende gegen die Entscheidung der Regierung, die EU Assoziierungsabkommen nicht zu unterzeichnen. Janukowytsch setzte seine Spezialeinheiten gegen die Demonstranten ein. Etwa 300 voll ausgerüstete Polizisten zogen etwa 100 Studentinnen und Studenten aus und schlugen sie im Schutz der Nacht brutal zusammen.
Als Grund wurde das Aufstellen eines Weihnachtsbaumes angegeben.
Diese 100 jungen Menschen standen auf dem Maidan für die Zukunft. In den nächsten Tagen kamen eine Million Menschen jeden Alters für die Würde. Ich war auch mit meiner Frau dabei.
Nicht viele aus dieser Million haben das Grundgesetz Deutschlands einmal gelesen. Aber alle kamen aus der tiefen Überzeugung, dass die Würde des Menschen unantastbar ist.
Die Revolution hat gewonnen. Und damit hat auch die Freiheit gesiegt. Diese Revolution ist als Revolution der Würde in die Geschichte eingegangen.
Wenn man die Missachtung der Würde duldet, ist die Freiheit bald am Ende. Wer die Würde des Menschen angreift, überschreitet die Grenze der Menschlichkeit.
Freiheit beginnt mit der Anerkennung von Grenzen. Freiheit ist der Schutz der Würde.
Den Slogan “Freiheit ist unsere Religion” kann ich mir gut in Berlin vorstellen. Irgendwo an der East Side Gallery. Ein weiteres Graffiti an der Berliner Mauer. Im Namen derer, die “diese tödliche Liebe” überlebt haben. Und zur Erinnerung an die, die nicht überlebten.
Eine Mauer gibt es jetzt auch in Kyjiw, direkt neben unserem Außenministerium. Gedenkmauer zu Ehren der Gefallenen für die Ukraine. Eine Mauer, an der ausländische Delegationen Blumen niederlegen. Eine Mauer, die immer länger wird. Eine Mauer, auf der immer mehr Fotos zu sehen sind.
Dass wir in Kyjiw 35 Jahre nach dem Mauerfall an einer neuen Mauer unserer Gefallenen gedenken, bedeutet nur eines. Die Freiheit hat noch lange nicht gesiegt. Die Geschichte ist nie zu Ende gegangen. Der Kampf für die Freiheit geht weiter.
Für die Freiheit, die man nicht teilen kann. Denn Spaltung macht uns schwach. Weil Einheit uns stark macht. Denn Freiheit ist unteilbar. Und echte Freiheit ist eine gerechte Freiheit. Einheit und Recht und Freiheit darf nicht nur für das deutsche Vaterland gelten, sondern für uns alle.
Aber was ist diese Freiheit genau?
Timothy Snyder beginnt sein Buch “On Freedom” mit der Geschichte der alten Ukrainerin Marija aus dem Dorf Possad-Pokrowske. Ihr Dorf wurde erst von Russen besetzt und dann von Ukrainern befreit. Snyder behauptet jedoch, dass die wirkliche Freiheit für Marija nicht allein durch die Befreiung erreicht wurde: Die wirkliche Freiheit, schreibt Snyder, wurde für Marija durch die guten Taten anderer Menschen erreicht. Von denen, die ihr halfen, ihr Haus wieder aufzubauen. Von denen, dank derer die 84-jährige Marija wieder in Würde leben kann.
Nicht nur die Abwesenheit des Bösen, so Snyder weiter, sondern auch die Anwesenheit des Guten macht Freiheit aus.
Ich habe das Buch letzte Woche am Hauptbahnhof in Kyjiw gekauft. Ich war auf dem Rückweg von einer Dienstreise, auf der ich Außenministerin Baerbock begleiten durfte. Wie immer war der ukrainische Nachtzug auf die Minute pünktlich. Wie immer musste ich an die Deutsche Bahn denken.
Zuerst wollte ich an dieser Stelle scherzen, dass sich kaum jemand auf der Welt so frei fühlt, wie die Deutsche Bahn mit ihrem eigenen Fahrplan. Aber dann dachte ich wieder an Snyders Buch und kam auf die Idee, dass Freiheit manchmal die Erscheinung des Guten trotz der Anwesenheit des Bösen ist. Denn die Mitarbeiter der ukrainischen Eisenbahn Ukrsalisnytsia sind in der Tat frei. Sie behaupten ihre Freiheit tagtäglich, indem sie inmitten des andauernden Angriffskrieges Russlands immer wieder pünktlich abfahren und ankommen.
Sie schaffen das, weil sie es schaffen wollen. Denn statt zu fragen “Können wir das?”, stellen sie sich eine Aufgabe. “Wir müssen das tun.”
Die Freiheit ist also der Wille.
Aber jetzt muss ich mich outen. Obwohl ich nicht nur Botschafter der Ukraine, sondern auch selbsternannter Ambassador von Ukrsalisnytsia, Ukrainischer Bahn bin, mag ich Nachtzüge nicht besonders. Ich habe einfach nicht das Talent, im Zug einzuschlafen.
Am liebsten fliege ich. Am liebsten sogar am Steuer des Flugzeugs. Und wenn man mich persönlich nach der Freiheit fragen würde, wäre meine Antwort wahrscheinlich mit dem Himmel verbunden. Mit dem ukrainischen Himmel, wo heute die zivile Luftfahrt verboten ist. Und mit dem Glauben, dass ich eines Tages wieder mit meinem guten Freund Nika in diesem Himmel fliegen werde. Sein Flugzeug wurde in Odesa in der Angare von einer russischen Kamikaze-Drohne zerstört. Und das, nachdem er schon nicht mehr fliegen durfte.
Ich glaube, viele von euch wissen, dass wir Ukrainer das größte Flugzeug der Welt gebaut haben. Es hieß “Mrija”. Also “Traum”. Und dieser “Traum” war eines der ersten Ziele der Russen. Leider auch eines der Treffer.
Die Russen haben viele Flugzeuge. Die Russen waren sogar im Weltraum. Aber ich glaube, die Russen können weder fliegen noch träumen. Weil sie keine Flügel haben. Weil sie nicht frei sein können.
Auf Adenauers Schicksalsfrage antworten die Russen immer wieder mit der bewussten Wahl der Sklaverei statt der Freiheit.
Zwar fälscht Putin immer wieder Wahlergebnisse, aber er tut das, weil er ein Diktator ist. Denn eigentlich braucht er das nicht, um Wahlen zu gewinnen.
Was die Russen gut können, ist hassen. Der Vernichtungswille ist ihre zentrale Motivation.
Befreite ukrainische Kriegsgefangene erzählen, dass die Russen ihre Folter “Attraktionen” nennen. Wie die Attraktionen in einem Vergnügungspark.
Die Russen nehmen alte Telefonapparate mit hoher Amperezahl. Mit Strom durch die Telefonkabel foltern sie. Sie hängen Leute mit den Füßen an Turngeräten auf. Das nennen sie “Fahrrad”. Sie ziehen Menschen Müllpakete mit Chlorkalk über den Kopf. Denn der Mensch soll nicht frei atmen.
Man braucht den Russen nicht zu sagen "Don't look up". Sie wissen sowieso nicht, dass es oben einen Himmel gibt. Für sie gibt es oben nur ihren lokalen Kommandanten. Und irgendwo ganz oben ist Putin.
Die Russen träumen nicht. Deshalb konnten sie unseren Traum nicht zerstören. Deshalb können sie unseren Himmel nicht besetzen.
Mit meinem Freund Nika werde ich wieder als Co-Pilot in den freien ukrainischen Himmel fliegen.
Es wäre natürlich symbolisch, wenn auch künftiger Bundeskanzler Friedrich Merz als Flugkapitän einen der ersten Flüge im friedlichen Himmel der Ukraine unternehme. Als Co-Pilot wäre ich bereit, Funk zu übernehmen. Als Diplomat mache ich es sowieso.
Freiheit ist nicht nur die Fähigkeit zu träumen. Freiheit ist vor allem der Wille, die eigenen Träume zu verwirklichen.
Aber kann es sein, dass man Freiheit gar nicht mit Worten beschreiben kann?
Ich liebe zum Beispiel die Musik. Musik ist in der Tat eine Kraft, die die Persönlichkeit befreit.
Im Herbst 2022 wurde ich zum Botschafter in Deutschland ernannt. Meine erste Aufgabe war es also, nach Deutschland zu kommen. Flugzeuge fliegen nicht. Meine Liebe zu Nachtzügen habe ich bereits erwähnt. Die Wahl war klar und zu zweit mit meiner Frau Olena saßen wir im Auto.
Zuerst wollte ich etwas Philosophisches über die Freiheit sagen, die nicht das Ziel, sondern der Weg sein soll. Dann erinnerte ich mich daran, wie es im Leben ist. Nach ein paar Stunden am Steuer philosophiert man kaum noch. Nach ein paar weiteren Stunden ist jeder Halt wie eine Befreiung. Und das sage ich, obwohl ich das Fahren liebe.
Wie gesagt, ich mag auch Musik. Und die Wahl der Musik ist eine der wenigen Freiheiten, die man als Fahrer hat. Botschafter wird man nicht jeden Tag, bei mir zum Beispiel ist das bis heute erst einmal passiert. Deshalb brauchte ich für diese besondere Reise auch eine besondere Playlist – zusammengestellt nach den Empfehlungen meiner damals noch weniger als heute deutschen Follower bei damals noch Twitter.
Unter den Empfehlungen war auch ein Lied, das ich zwar schon kannte, aber jetzt neu entdeckt habe.
“Freiheit ist das einzige was zählt” sangen wir mit Marius Müller-Westernhagen im Auto auf dem Weg nach Berlin. Meiner Frau zuliebe überließ ich Westernhagen allerdings die Vorbühne.
"Das Einzige, was zählt." Was für schöne Worte, oder? Google sagte mir, dass Westernhagen dieses Lied im Frühjahr 2022 bei einem der Ukraine gewidmeten Konzert gespielt hat. Ich war gerührt. Ich war inspiriert.
Einige Monate später traf ich Westernhagen zufällig in Düsseldorf. Ich erzählte ihm von meiner Begeisterung und dankte ihm für das Lied.
Ein paar Monate später sah ich Westernhagen wieder. Diesmal im Fernsehen. Bei Maischberger. Was ist hörte: Langfristige Ursachen des Krieges, deutsche Politik als “Wunschkonzert”, "Sieg der Ukraine ist richtig, aber wir leben nicht in einer perfekten Welt", also nur Zugeständnisse – aber natürlich vor allem von Seiten der Ukraine.
Und was “Freiheit” angeht, war der Song nicht ernst gemeint. Eher satirisch.
Ist Freiheit also Satire? Ist der Freiheitskampf ein Aprilscherz? Ist Freiheit ein Witz?
Als ich an diesem Wochenende über diese Rede nachdachte, standen mir neun Namen vor Augen.
Tymofij. Radyslaw. Arina. Herman. Danylo. Mykyta. Alina. Kostiantyn. Nikita.
Das sind die Namen der neun Kinder. Sie alle wurden am Freitagabend von einer russischen Rakete getötet. Tymofij war der Jüngste. Er war 3 Jahre und 9 Monate alt. Das heißt, mehr als drei Viertel seines Lebens waren schon nach dem 24. Februar 2022. Am meisten wünschte sich Tymofij, dass sein Vater lebend aus dem Krieg zurückkehren würde.
Am Samstagabend bin ich zufällig über das Zitat eines deutschen Influencers gestolpert. „Ich lebe lieber in Unfreiheit, als für Freiheit zu sterben.“ Zitatende.
Tymofij hatte keine Wahl. Aber sein Vater? Hätte sein Vater die Waffe niedergelegt, hätten alle ukrainischen Väter und Mütter die Waffe niedergelegt, würden ihre Kinder leben? In Unfreiheit, unter russischer Besatzung, aber sie würden leben. Aus Tymofij müsste Timofej werden. Aber er könnte zur Schule gehen. Russische Schule, aber macht das einen Unterschied?
Ist die Freiheit vielleicht eine Täuschung? Niemand wird es wagen zu sagen, dass Freiheit wichtiger ist als das Leben eines Kindes.
Am nächsten Tag war ich beim 80. Jahrestag der Befreiung von Buchenwald. Nach dem Festakt in Weimar fuhr ich zum ehemaligen Konzentrationslager. Vor dem Gelände der Gedenkstätte sprach mich ein Mann an. “Ich bin Ihr Follower auf X. Mein Name ist Holger Obbarius, ich leite die Bildungsabteilung”.
Er bot mir eine Führung an. Als wir uns dem Krematorium näherten, zeigte er auf eine Stelle jenseits des Zaunes. Dort war auf Befehl des Kommandanten ein kleiner
Zoo eingerichtet worden. Als Naherholungsgebiet für die SS, wo sie mit ihren Familien die Mittagspause verbringen konnten. Später mussten sie es - der Kommandant hatte es befohlen.
Familienzeit. Etwa 20 Meter von einem Krematorium entfernt, wo man die Menschen, die gerade getötet wurden, hinbrachte und stapelte. Aus der Sicht der Nazis waren das keine Menschen. Ressourcen. Diese Mittagspause in einem Zoo gleich nebenan sollte denen im KZ noch einmal deutlich ihren Platz in der Welt zeigen. Ganz im Sinne der Inschrift auf dem Tor. “Jedem das Seine”.
Ich erinnerte mich an einen Keller in der Schule des Dorfes Jahidne in der Ukraine. Etwa einen Monat lang war Jahidne im Frühjahr 2022 von den Russen besetzt. Die ganze Bevölkerung wurde für diese Zeit von den Russen in den Keller gesperrt.
Die Männer mussten sich dort bis auf die Haut ausziehen. Die Russen suchten Tätowierungen mit ukrainischer Symbolik. Es gab weniger als einen Quadratmeter für einen Menschen in diesem Keller.
Die Russen haben verboten, die toten Geiseln zu beerdigen.
Ich war mit Außenministerin Annalena Baerbock dort. Wir wurden mit den Worten “Willkommen im KZ Jahidne” begrüßt.
Stanislaw Asejew berichtet in seinem Buch “Heller Weg” über das Geheimgefängnis “Isoljatsija” in Donezk. Im besetzten Donezk schrieb Asejew nach 2014 unter einem Pseudonym für Radio Liberty. 2017 wurde er von den Besatzungstruppen verhaftet. Sie brachten ihn in "Isoljatsija" unter.
In seinem Buch nennt er den Ort “Donezker Dachau”. Sein Buch ist auch in deutscher Übersetzung erschienen. Natürlich wurde Asejew gefragt, ob er übertreibe. “Das ist keine Todesfabrik. Aber man kann es durchaus mit den deutschen Konzentrationslagern Anfang der 30er Jahre vergleichen. Im Sinne von Menschenkonzentration und dem Fehlen jeglicher Legalität.”
In “Isoljatsija” wurde auch mit Strom gefoltert. Die Gefangenen wurden auch zum Singen gezwungen. Zum Beispiel die sowjetische Hymne. Das Buch wurde “Heller Weg” genannt, nach der Straße, in der “Isolyatsija” lag.
Ein Vertreter der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf hat einmal gesagt, niemand versuche, die Singularität der Shoah in Frage zu stellen. Aber man muss auch die Singularität des heutigen völkermörderischen Angriffskrieges Russlands anerkennen. Die Russen sprechen uns Ukrainern das Existenzrecht ab. Sie sagen nicht, dass sie uns alle vernichten sollen. Sie sagen nur, dass es uns nicht gibt.
Wenn wir von russischen Konzentrationslagern in der Ukraine sprechen, versuchen wir nicht, Auschwitz, Buchenwald oder Dachau zu relativieren. Und wenn man übertreibt, ist es besser, als später ohne Übertreibung mit 100-prozentiger Sicherheit zu sagen.
„So hat es damals angefangen“, zitierte Altbundespräsident Christian Wulff bei der Gedenkveranstaltung in Weimar die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer.
Wenn Friedländer heute so etwas sage, dann müsse uns das antreiben, sagte Wulff. Weiter griff er die "Alternative für Deutschland" direkt an.
Der russische Faschist Alexander Dugin, den der Altbundespräsident in seiner Rede erwähnte, habe 2014 gesagt, man müsse die Ukrainer “töten, töten und nochmals töten”. Es gibt mindestens zwei bekannte Politiker, die Alexander Dugin für einen salonfähigen Filosof halten und ihn schätzen. Der eine ist Wladimir Putin. Der andere ist Björn Höcke.
So hat es damals angefangen. Mahnung ist keine Relativierung. Freiheit muss sich wehren können. Und vor allem wollen.
In Buchenwald kennt jeder den Namen des Ukrainers Borys Romantschenko. Er war hier Häftling und hat überlebt. Im März 2022 wurde er in seiner Wohnung im Schlafstadtteil von Charkiw von einer russischen Rakete getötet.
“Für uns, die wir hier arbeiten, ist die Unterstützung der Ukraine eine Selbstverständlichkeit. Denn das hängt zusammen”, sagt mir Holger Obbarius.
Er hat mich beeindruckt mit seiner profunden Kenntnis der Geschichte, aber auch mit seiner Menschlichkeit und Empathie. Er wählt jedes Wort mit Bedacht. Er weiß, wenn man über Buchenwald redet, dann muss man es tun.
Aber er weiß auch, dass man über Buchenwald reden muss. Und dass man sich gegen die “Alternative für Deutschland” engagieren muss.
Holger Obbarius hat keinen Freiheitshit geschrieben. Aber er hat vielleicht den wichtigsten Job der Welt. Er bringt den Menschen bei, was Freiheit ist und warum man sie bewahren muss.
In Buchenwald versteht man das vielleicht am besten.
Ich habe mich gefragt, ob der junge Deutsche, der “lieber in Unfreiheit lebt, als für die Freiheit zu sterben”, einmal in seinem Leben hier war.
Die Kinder wurden in Buchenwald sofort umgebracht, wenn sie gefunden wurden. Kinder arbeiten nicht, aber sie essen. Kinder sind in der Nazi-Logik wohl die nutzlosesten aller Untermenschen.
Im Keller von Jahidne waren 80 Kinder. Das jüngste Baby weniger als anderthalb Monate alt.
Nein, Besatzung ist nicht besser und rettet keine Kinder. Unfreiheit ist alles andere als Lebensrettung.
Der Preis der Unfreiheit wird immer höher sein als der Preis der Freiheit.
Freiheit ist das Fundament, auf dem die gesamte Architektur Europas ruht. Freiheit ist die Voraussetzung für alle menschlichen Werte.
In der Ukraine begehen wir am 25. November den Tag der Würde und der Freiheit. Diese beiden Begriffe ergänzen einander.
Weil die Würde des Menschen immer unantastbar ist. Weil die Freiheit des Menschen immer einen Kampf wert ist.
Der Begriff der Freiheit wird häufig instrumentalisiert. Autokraten und Rechtsextreme lieben ihn am meisten. Die Feinde der Demokratie verstehen es meisterhaft, demokratische Mittel für ihre Interessen zu missbrauchen.
“Berliner Zeitung” und “Junge Welt” werden sich immer als die größten Verteidiger der Meinungsfreiheit darstellen. Gemeint ist aber die Freiheit von Fakten und die Verbreitung russischer Propaganda.
Am lautesten wird diese Freiheit natürlich von Russia Today verteidigt. Unter dem Namen “NachDenkSeiten” spricht Russia Today von der Doppelmoral des Westens. Und folgt damit eindeutig dem amoralischen Kompass Moskaus.
Es tut mir wirklich leid, dass die Freie Demokratische Partei den Einzug in den 21. Deutschen Bundestag nicht geschafft hat. Es tut mir leid, weil heute jede demokratische Partei gebraucht wird. Weil sich die Fraktion der Alternativen Freiheitspartei Deutschlands verdoppelt hat.
Und weil es die verdammte Pflicht aller Demokraten ist, die Freiheit täglich zu verteidigen.
Freiheit muss kriegstüchtig sein, und Demokratie muss wehrhaft sein.
Die Abschreckung des russischen Aggressors beginnt mit dem Sieg über die russische Vertretung im Deutschen Bundestag.
Denn Freiheit ist kein Witz.
Freiheit ist etwas sehr Persönliches, das nur gemeinsam bewahrt werden kann. Wir leben nicht in einer perfekten Welt.
Aber Freiheit bedeutet, von einer perfekten Welt zu träumen. Und diese Träume verwirklichen zu wollen.
Vielleicht versteht man erst dann, was Freiheit ist, wenn man wirklich weiß, was Unfreiheit ist.
Der Ukrainer Serhij Grytsiw hat Mariupol verteidigt. Dort geriet er in russische Gefangenschaft. Im Herbst 2024 kam er im Rahmen eines Gefangenenaustausches frei.
Ich zitiere aus seinem kürzlich veröffentlichten Interview:
“Wenn die Russen den Vorschlag machen würden, alle Gefangenen gegen die gesamte ukrainische Region Zaporizhzhya einzutauschen, würde ich eher sagen, dass ich im Gefängnis bleiben würde. Die Interessen des Staates, der Gemeinschaft, der Nation sind viel größer als meine persönlichen Interessen. Wozu sonst diese ganze Gefangenschaft?"
Ende des Zitats.
Als ich im Oktober 2022 mit dem Auto nach Berlin fuhr, lag auf meinem Weg die Autobahn der Freiheit. Diese Autobahn verbindet jetzt Warschau und Berlin.
Eines Tages werde ich auf dieser Autobahn in die Ukraine zurückkehren. Wichtig ist, dass diese Autobahn eines Tages verlängert wird.
Nicht nur bis nach Kyjiw, sondern bis Luhansk und dann weiter nach Süden. Durch Donezk, durch Mariupol und bis nach Jalta.
Diese Städte werden die Freiheit wieder spüren. Wie unser Himmel. Wie unser See.
Und dann werden keine neuen Fotos mehr an der Gedenkmauer in Kyjiw erscheinen.
Europa lebt, weil Europa immer für die Freiheit kämpft. Ob Freiheit oder Europa, sie leben trotz allem.
Der Kampf für die Freiheit geht weiter. Und wir werden ihn gewinnen.
Weil Freiheit bedeutet, Träume in Ziele zu verwandeln. Weil Freiheit mehr ist als wir alle. Weil Freiheit immer einen Kampf wert ist.
Freiheit ist eine Herausforderung. Und Schwäche ist dieser Herausforderung nicht gewachsen. Freiheit erfordert Stärke.
Unsere Welt ist imperfekt. Aber die Zukunft dieser Welt bestimmen wir. Es lebe Europa. Es lebe die Freiheit. Slawa Ukrajini.