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Marsch gegen Big Brother

Internetzensur in Russland mit unfreiwilliger deutscher Hilfe
Marsch gegen Big Brother

Marsch gegen Big Brother im Zentrum von Moskau

© FNF-Projektbüro Moskau

Am vergangenen Sonntag sind in Moskau mehrere hundert Aktivisten einem Aufruf liberaler Parteien gefolgt, für Meinungsfreiheit und gegen Zensur im Internet zu demonstrieren. Hintergrund ist der Versuch russischer Behörden, das Internet immer stärker unter Kontrolle zu bringen. Vorbild für das von der russischen Staatsduma am vergangenen Freitag in erster Lesung verabschiedete Gesetz ist das neue deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz.

 

Marsch gegen Big Brother

An der Spitze der Demonstration werden die Flaggen der liberalen Partei PARNAS geschwenkt...

© FNF-Projektbüro Moskau

Zwei Tage nach der ersten Lesung in der Staatsduma sind am vergangenen Sonntag einige hundert Aktivisten dem Aufruf der „Partei der Volksfreiheit“ (PARNAS), die Mitglied der Europäischen liberalen ALDE-Partei ist, und einer Reihe anderer kleinerer – zum Großteil liberaler – Oppositionsparteien gefolgt, um im Zentrum von Moskau gegen Zensur im Internet zu demonstrieren. Die Demonstranten konnten weitestgehend ungestört – abgesehen von den massiven Sicherheitsmaßnahmen und der allgegenwärtigen Präsenz der neuen Nationalgarde – von der Metrostation Puschkinskaja durch das Zentrum von Moskau ziehen. Anlass für die Demonstration war neben einer Reihe von administrativen Handlungen und Gesetzesentwürfen zur Kontrolle des Internets und dem Internetkontrollgesetz auch das vor einem Jahr verabschiedete „Anti-Terror“-Paket, das die Überwachungsbefugnisse der Geheimdienste weiter ausweitete.

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Nationalgarde und Demonstranten an einer Absperrung bei der Metrostation Puschkinskaja im Zenttrum von Moskau

© FNF-Projektbüro Moskau

Russisches Gesetz nach deutschem Vorbild

Oft fällt die Freiheit Maßnahmen zum Opfer, die vorgeblich der Sicherheit dienen. Das vor weniger als einem Monat im deutschen Bundestag verabschiedete Netzwerkdurchsetzungsgesetz zwingt soziale Netzwerkbetreiber von Facebook bis Twitter dazu, Hasskommentare 24 Stunden nach einer Beschwerde zu löschen. In Deutschland steht Bundesjustizminister Heiko Maas massiv in der Kritik, durch das Gesetz Sozialnetzwerke zur Zensur zu zwingen und damit die Meinungsfreiheit zu beschränken. Dass das Gesetz aber als Vorbild eines neuen Gesetzentwurfes zur Kontrolle des Internets in Russland taugen würde, hatte vermutlich niemand erwartet.

Die beiden Abgeordneten der Kreml-Partei „Gerechtes Russland“, Sergej Bojarski und Andrej Alschewskich, die das Gesetz vor einer Woche in die russische Staatsduma eingebracht hatten, bezogen sich in einem Begleitdokument explizit auf das deutsche Vorbild.

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Junge Demonstrantin hält ein Transparent: "In Russland gab es 2016 über 1 Millionen unaufgeklärte Verurteilungen - kein Wunder, wenn man für "Reposting" eingesperrt wird"

© FNF-Projektbüro Moskau

Der russische Text ist aber weitgehender als das deutsche Original und bezieht sich nicht nur auf Hasskommentare, sondern auch auf Kommentare, die als Kriegspropaganda interpretiert werden können, zum nationalen oder religiösen Hass anstacheln, die Würde einer Person verletzen oder einfach „unwahr“ sind. Dass, wie beim deutschen Vorbild, die Netzbetreiber dafür haftbar gemacht werden, entsprechende Inhalte zu löschen, trägt zu einer schnelleren Zensur unliebsamer politischer Kommentare bei. Unter dem Vorwand des Kampfes gegen Extremismus wurde in Russland in den vergangenen fünf Jahren bereits eine Vielzahl unliebsamer politischer Blogs und Webseiten gesperrt. Besonders besorgniserregend ist in diesem Zusammenhang, „Unwahres“ löschen zu müssen. Wahrheit als politische Kategorie erinnert an das „Wahrheitsministerium“ im dystopischen Roman „1984“ von George Orwell. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Vorstand der Stiftung für die Freiheit, warnte vor kurzem auch die deutsche Bundesregierung davor, entsprechende Ideen im Umgang mit dem Phänomen von „Fakenews“ zu bemühen.

Bei Unklarheiten ermöglicht das deutsche Gesetz immerhin zunächst die „regulierte Selbstregulierung“, während die Kontrollgewalt in Russland ganz der staatlichen Internet-Aufsichtsbehörde Roskomnadsor übergeben werden soll. Anders als in Deutschland beschränkt sich das russische Gesetz nicht allein auf die größeren Sozialnetzwerke. Sollte Roskomnadsor – entsprechend der Erfahrung der letzten Jahre – die Auslegungsmöglichkeiten des neuen Gesetzes auszukosten versuchen, könnte sich die Behörde tatsächlich zu einem russischen „Wahrheitsministerium“ für das Netz entwickeln. 

Datenschutz als Opfer des „Krieges gegen den Terror“

Das Fundament für das neue russische Gesetz legte eine Reihe von Gesetzen der letzten fünf Jahre, die darauf abzielen, in einer vermeintlich instabilen Sicherheitslage für mehr Sicherheit im Netz zu garantieren. Besonders wichtig ist dabei, das am 24. Juni 2016 von der Duma verabschiedete „Anti-Terror“-Paket, welches von den Duma-Abgeordneten Jarova und Senator Oserov eingereicht worden war. Neben dem erheblich verschärften Straftatbestand des Terrorismus legt das Gesetz auch eine breitere Form der Vorratsdatenspeicherung fest, die die Aufnahme und Speicherung aller mobilen sowie online stattfindenden Kommunikation durch Netz- und Netzwerkanbieter beinhaltet. Dies steht im Widerspruch zu einer EU-Regulierung, die die Speicherung personenbezogener Daten europäischer Bürger ohne konkreten Verdacht von Sicherheitsbehörden verbietet. Grund zur Sorge stellt auch ein Absatz dar, der von den Internetanbietern Assistenz bei der Entschlüsselung verschlüsselter Kommunikation einfordert.

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Die Demonstration zieht am Sretenskikloster im Zentrum von Moskau vorbei

© FNF-Projektbüro Moskau

Alle Kontrollgesetze sind drei

An Jarovas „Anti-Terror“-Paket und das Internetkontrollgesetz schließt sich noch ein „Messenger- Gesetz“ an, welches über die Entschlüsselung hinaus die Weitergabe aller Nachrichten an Roskomnadsor verlangt und damit die Kommunikation aller Teilnehmer – eindeutig über ihre Telefonnummern identifizierbar – kontrollierbar macht. So war es nicht überraschend, dass die Demonstranten am Sonntag auch den Rücktritt des Vorsitzenden von Roskomnadsor forderten, der symbolisch für die wachsende Kontrolle seitens der Behörden steht. Die Anmeldung der Demonstration war von der Moskauer Stadtverwaltung zuvor zweimal aufgrund von Sicherheitsvorkehrungen sowie der möglichen Störung der allgegenwärtigen Bauarbeiten im Zentrum abgelehnt worden. Dass die massive Kontrolle vor allem nicht der vorgeblichen Sicherheit im Internet dient, brachte Bernd Schlömer, Mitglied des Berliner Abgeordneten Hauses (FDP) und ehemaliger Vorsitzender der Piratenpartei, vor Kurzem auf den Punkt: „Das Internet ist am sichersten, wenn es durch Offenheit und Selbstorganisation geprägt ist“.