Gaidar Forum
Modernisierungwille ohne Strukturreformen - russische Regierung im Widerspruch
Zum Jahresauftakt beim Gaidar Forum in Moskau hat die russische Regierung widersprüchliche Pläne zur Modernisierung präsentiert. Mittlerweile misstrauen nicht nur liberale Ökonomen den wirtschaftlichen Prognosen der Regierung, sondern - wie Umfragen zeigen – auch der Großteil der Bevölkerung.
Mit dem Gaidar-Forum in Moskau beginnt seit zehn Jahren das politische Jahr nach den russischen Weihnachtsferien. Gemeinsam mit Premierminister Dimitri Medwedew war in diesem Jahr die Hälfte der Minister angetreten, um das Regierungshandeln zu erklären. Es soll dargelegt werden, welche Handlungen zu den positiven Entwicklungen führen, die die Regierung im Rahmen der nationalen Entwicklungsziele für Russland bis 2024 erreichen möchte. Eine glaubwürdige und nachvollziehbare Erklärung ist zuletzt immer wichtiger geworden, denn nach einer neuen Umfrage von Mitte Januar 2019, sind über 54 % der Befragten aus insgesamt 53 russischen Regionen unzufrieden mit der Regierung. Seit der Ankündigung im Sommer 2018, das Renteneintrittsalter zu senken, sind die Umfragewerte der Regierung und des Präsidenten kontinuierlich gefallen.
Viel Bedeutung wurde im Vorlauf des Forums auch den Worten von Rechnungshofpräsident Alexej Kudrin beigemessen, der von 2016 bis 2018 im Auftrag des russischen Präsidenten ein liberales Strukturreformprogramm entworfen hat. Nach seinem Rücktritt als Finanzminister im Jahr 2011 war er zu einem Kritiker der Regierung geworden und hatte 2013 das wichtigste unabhängige zivile Gesellschaftsforum gegründet. Nach seinen bekannten Forderungen, die „Vertikale der Macht“ aufzubrechen und politische Konkurrenz sowie eine unabhängige Justiz zu garantieren, sprach er auf dem Gaidar Forum ein wenig verklausuliert: “Die Hauptprobleme liegen in Russland selbst, und diese Hauptprobleme sind die institutionellen und strukturellen Probleme, die sich heute akkumuliert haben.“
Tief greifende Reformen in näherer Zukunft unwahrscheinlich
Von seinen vorgeschlagenen Strukturreformen war im Regierungsprogramm 2018, wie vermutet, kaum noch etwas zu erkennen. Das zerbrechliche Gleichgewicht der Kräfte unter Präsident Wladimir Putin sowie die Angst vor weiteren Verlusten in den Umfragewerten, machen tief greifende Reformen auch in der näheren Zukunft unwahrscheinlich. Ohne diese Reformen hinkt die wirtschaftliche Entwicklung Russlands jedoch hinterher: Erst vor wenigen Wochen hatte die Weltbank ihre Prognose für das russische Wirtschaftswachstum für 2019 von ursprünglich 1,8% auf 1,5% korrigiert.
Anfang Januar 2019 hatte Kudrin über Twitter darauf aufmerksam gemacht, dass sich die Konjunkturindikatoren im vergangenen Jahr schlechter entwickelt hatten, als diese von der Regierung vorhergesagt und kommuniziert wurden. „Die Inflation ist höher als prognostiziert, das BIP-Wachstum niedriger, und wenn die Realeinkommen der Russen gewachsen sind, dann maximal um Zehntelprozente.“
Die Rede des russischen Premierministers Dimitri Medwedew auf dem diesjährigen Gaidar Forum machte deutlich, welch widersprüchliche Ziele die Regierung verfolgt: "Es ist von entscheidender Bedeutung, fruchtbare wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen".
Zwar forderte Medwedew Bürokratieabbau, um die Bedingungen für unternehmerisches Handeln zu verbessern, legte aber gleichzeitig straffe direktive Führung mit Planzielen für die wirtschaftliche Entwicklung vor. Er sagte wortgleich: „Russlands mittelfristige Strategie wird in der Exekutivanordnung vom 7. Mai 2018 dargelegt, während die taktischen Schritte in den wichtigsten Leitlinien für die Regierung bis 2024 und in den bereits gestarteten nationalen und föderalen Projekten enthalten sind. Zu unseren Plänen gehören zunächst ehrgeizige, aber praktische Ziele. Zweitens sehen sie die Bereitstellung geeigneter Mittel und Personal vor. Und drittens haben sie einen Ansatz festgelegt, der es uns ermöglicht, nicht nur die Umsetzung unserer Pläne zu überwachen, sondern auch zu sehen, welche Anpassungen wir vornehmen müssen.“
Der kremlkritische liberale Ökonom Wladislaw Inosenzew vermutet trotz des niedrigen Wirtschaftswachstums und der wenig überzeugenden und widersprüchlichen Antworten, also sowohl mehr Freiheit als auch mehr Planung für die Wirtschaft zu fordern, mangelnde Motivation seitens der Regierung zu tief greifenden Reformen. Die russische Elite sähe keine Krise, da finanziell ein Haushaltsüberschuss und Reserven wichtiger seien als Ölpreisschwankungen oder Wachstum. Gleichzeitig seien politische Verluste bei den Regionalwahlen 2018 verschmerzbar, weil die Proteste gegen die Regierung langsam verebben würden.
Die Kommentare der russischen Regierungsvertreter auf dem Gaidar Forum lassen Anlass zu vorsichtiger Hoffnung auf eine wirtschaftliche Normalisierung in den Beziehungen mit der EU. Nach einem scharfen Angriff des russischen Premierministers gegen den wirtschaftlichen Druck aus den USA, sprach er vom wachsenden Zukauf von Eurobonds zur Absicherung der eigenen Währung sowie der zentralen Bedeutung der Kooperation mit der EU. In der Abwesenheit von Strukturreformen und anderen signifikanten ausländischen Direktinvestitionen steigt die Bedeutung der ausländischen Investoren, allen voran von Deutschland. Während die russische Wirtschaftspolitik also rational eine stärkere Zusammenarbeit mit dem Westen fordert, bleibt der außenpolitische Ton deutlich aggressiver. So kündigte der russische Außenminister Sergey Lawrow auf seiner jährlichen Pressekonferenz „Erwiderungen“ auf die „Stationierung militärischer Infrastruktur näher an der russischen Grenze“ und der „gewachsenen militärischen Aktivitäten“ der NATO, an.
Julius von Freytag-Loringhoven leitet seit 2012 das Moskauer Büro und die Arbeit der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit in Russland und Zentralasien.