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Moldau
Moldaus Mafia-Demokratie

Weinkeller in Cricova

Weinkeller in Cricova

© (c) dpa

Hier lagern sie angeblich ihre privaten Weinvorräte: In weißgekalkten nummerierten Nischen im moldauischen Cricova, in einem der größten Weinkeller der Welt, verstauben die Flaschen. Messingtäfelchen weisen Russlands Präsidenten Wladimir Putin aus, Bundeskanzlerin Angela Merkel, den ehemaligen EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy.

Wein aus Moldau, das war in der Sowjetunion der Hit. Damals wurde das riesige Weinlager unter der Stadt Cricova angelegt, 15 Kilometer von Chișinău entfernt, der Hauptstadt der heutigen Republik Moldau. Und Wein ist immer noch reichlich identitätsstiftend in Moldau, dem kleinen Land mit den guten Böden zwischen Rumänien und der Ukraine, Wein und Früchte und Nüsse. Ein lebensfrohes Land, suggeriert die unterirdische Weinstadt, in der für Gelage vom halbgeheimen Kaminzimmer bis zum Riesensaal alles zu mieten ist. Schön wäre es.

Aber in Moldau ist kaum etwas, wie es suggeriert wird. Offiziell ist Wahlkampf, am 24. Februar wird ein neues Parlament gewählt. Wichtig, schicksalhaft, heißt es, womöglich wird der Streit entscheiden, ob das Land eher zu Russland oder zu Europa neigt. Die Sozialistische Partei, der Präsident Igor Dodon angehört, gilt als russlandfreundlich und liegt in Umfragen vorn. Dann kommt das Oppositionsbündnis Acum und an dritter Stelle die regierende Demokratische Partei. Mit der EU gibt es seit 2014 ein Assoziierungsabkommen, die Demokraten gelten als europafreundlich. Aber das scheint nur so.

Eine kriminelle Gruppe, die das Land regiert

Andrei Năstase
Andrei Năstase

Wer in Moldau eine Wahl gewinnt, kommt nämlich nicht unbedingt in ein Amt. Das hat Oppositionspolitiker Andrei Năstase, der jetzt für Acum antritt, vergangenen Sommer erlebt. Er gewann die Bürgermeisterwahl in der Hauptstadt mit mehr als 52 Prozent, aber ein Gericht erklärte die Wahl im Nachhinein für ungültig. Inakzeptabel, sagt Năstase, der Grund sei, dass die Regierungspartei die Justiz unter ihre Kontrolle gebracht habe. "Eine kriminelle Gruppe, die das Land regiert und sich Demokratische Partei nennt", so formuliert er es. Diese Gruppe vertrete in allem allein die Interessen ihres Vorsitzenden, des Oligarchen Vladimir Plahotniuc.

"Ganz Moldau", sagt Năstase, "hat Plahotniuc zu seinem Unternehmen gemacht." Er und seine Entourage kontrollierten nicht nur die Politik, sondern auch den Energiesektor, die Wirtschaft, die Unternehmen, die Justiz und die Medien. Sein Land bezeichnet Năstase als captured state, einen gekaperten Staat. Eine gängige Formulierung, auch das Europaparlament verwandte sie in einer moldaukritischen Resolution Ende 2018, um die Zustände im Land zu beschreiben. Zynischere Beobachter sprechen von mafia state. Als Năstase die Wahl zum Bürgermeister gestohlen wurde, wie er sagt, protestierte die EU und stoppte ein Hilfspaket von 100 Millionen Euro für Moldau. 

Rabatt im Supermarkt des Oligarchen

Plahotniuc ist derzeit in der Tat der wirtschaftlich und politisch einflussreichste Oligarch in Moldau. Aber er ist nicht der einzige. Sein größter Konkurrent und Gegenspieler – andere sagen, sie seien eher Partner – ist ausgerechnet Präsident Dodon. Auch er hat seine eigenen Unternehmen, seine Fernsehsender. Der Dritte im Oligarchentableau im aktuellen Wahlkampf ist Ilan Șor, ein Geschäftsmann und Politiker, der Bürgermeister in der Stadt Orhei ist, obwohl er eigentlich wegen Korruptionsvorwürfen unter Hausarrest steht. Er tritt derzeit mit der Șor-Partei an, wirbt in seinen Șor-Supermärkten im ganzen Land um ärmere Wählerinnen und Wähler, denen er Rabatte gewährt, und gibt außer seinem eigenen Namen keine politische Orientierung zu erkennen. Auch wenn die Kombination aus Politiker und Geschäftsmann in Moldau ganz gewöhnlich ist, auch wenn die Bezeichnung Oligarch nicht notwendigerweise negativ klingt, verbunden mit den Oligarchen sind fast immer Korruptionsvorwürfe und Verwicklungen in Skandale. Und auch dem Oppositionspolitiker Năstase wird – von ehemaligen politischen Verbündeten – zweifelhafte Nähe zu Oligarchen nachgesagt, in seinem Fall Victor und Viorel Țopa.

Năstase sagt, die Machthabenden hätten die Verbindung von Geschäft und Politik viel zu weit getrieben. Sie gäben vor, politische Meinungsverschiedenheiten zu haben, arbeiteten aber hintenrum zusammen – zugunsten ihrer jeweiligen wirtschaftlichen Interessen. Die EU habe leider sehr spät gemerkt, dass sie mit "Dieben" kooperiert habe.

Nicht mehr zu übersehen war das bereits 2014, als über drei moldauische Banken rund eine Milliarde Dollar aus dem Land verschwand. Wo das Geld geblieben ist, ist bis heute nicht vollständig aufgeklärt. Medien sprachen damals von einem Jahrhundertraub, Banken wurden geschlossen, einige Beteiligte kamen ins Gefängnis.

Der schlimmste Wahlkampf bisher

Maia Sandu
Maia Sandu

Der aktuelle Wahlkampf ist denn auch nur scheinbar ein Streit der Ideen, eigentlich ist er eine Schlammschlacht. Gegen die Oppositionellen von Acum wurde Klage wegen Hochverrat eingereicht. "Es ist der schlimmste Wahlkampf bisher", sagt Maia Sandu, die zweite bekannte Politikerin bei Acum neben Năstase.

Sandu war früher Erziehungsministerin in Moldau und kandidierte einmal für das Präsidentenamt. Gegen die Macht der von Oligarchen kontrollierten Medien habe die Opposition kaum eine Chance, sagt sie. "Sie haben die TV-Sender – wir haben nur Facebook." Und die TV-Sender attackieren mit Vorliebe sie. Als Sandu 2016 Präsidentin werden wollte, verbreiteten sie das Gerücht, sie wolle in geheimer Absprache mit Bundeskanzlerin Angela Merkel 30.000 syrische Flüchtlinge in Moldau aufnehmen. Über diese Absurdität lacht Sandu heute. Aber aktuell ist ihr Privatleben Thema. Weil sie keine Kinder hat und nicht verheiratet ist, sei sie sicher lesbisch, lautet der Vorwurf. "Die Attacken gegen meine Person kommen ausgerechnet von den Frauen in der Demokratischen Partei", sagt Sandu gequält. "Das ist nicht schön."

Wovon im Wahlkampf hingegen auffallend niemand spricht, ist Transnistrien. Moldau ist nämlich auch nur scheinbar ein Land. Transnistrien, das Gebiet zwischen dem Fluss Dnister und der Ukraine im Osten, hat sich vor 25 Jahren für unabhängig erklärt. Kein anerkanntes Land hat Transnistrien anerkannt, auch Russland nicht, das allerdings sogenannte friedensschaffende Soldaten dort stationiert hat. Ein eingefrorener Territorialkonflikt, der denen in anderen postsowjetischen Staaten wie Georgien oder Aserbaidschan ähnelt. Und dessen Existenz verhindert, dass Moldau ernsthafte Chancen hätte, je in die Nato oder auch die EU aufgenommen zu werden. Befürchtungen, nach der Krim-Annexion könnte Russland in Transnistrien den Konflikt auftauen, haben sich bislang nicht bestätigt.

Wer kann, wandert aus

Und so haben sich "beide Seiten des Dnister", wie es diplomatisch heißt, mit dem Status quo arrangiert. Die sogenannte Grenze zwischen beiden ist zwar bewacht, aber für Bewohner beider Seiten relativ problemlos passierbar. In Transnistrien gibt es dann die sogenannte Hauptstadt Tiraspol, einen sogenannten Präsidenten, eine sogenannte Regierung, ein sogenanntes Parlament, das in alter Tradition Sowjet heißt, und eine nie gestürzte überdimensionale Lenin-Statue. Ein sozialistisches Freilichtmuseum, eine Attraktion für Touristen aus Asien und Europa: Alles ist gut gefegt und dann heißt die Währung auch noch Rubel!

Für die Bewohner östlich des Dnister ist das Leben allerdings anstrengend. "Die beiden Seiten haben viel gemeinsam", sagt Grigori Wolowoj, Chef des transnistrischen Internetfernsehsenders Dnestr TV, der als nichtstaatlicher Sender in einer Privatwohnung im obersten Stock eines Plattenbaus arbeiten muss. "Beide Gebiete sind von Oligarchen okkupiert worden." Die transnistrischen Oligarchen heißen Wiktor Guschan und Ilja Kasmaly, ihnen gehört die Scherif-Gruppe, und Scherif gehört quasi das ganze Gebiet: Supermärkte, Fernsehsender, Tankstellen und ein riesiges Stadion inklusive Fußballclubs. Natürlich, sagt Wolowoj, hätten sie maßgeblichen Einfluss auf die Politik. Und die normalen Leute würden immer ärmer.

Er sieht keine Zukunft für den abtrünnigen Landesteil allein, glaubt aber auch nicht an eine Wiedervereinigung der beiden Seiten. In Chișinău habe man Angst vor den Transnistriern, sagt er, denn sie ziehe es eben mehr nach Osten, während man sich auf der anderen Seite in den Westen sehne. Transnistrien orientiere sich an Moskau, Chișinău an Bukarest. "Die jungen Leute, die können nicht mehr miteinander", sagt Wolowoj.

In einem sind sich die jungen Leute in beiden Landesteilen allerdings sehr einig: Wer irgendwie kann, wandert aus. Wolowoj sieht das an den Zugriffen auf das Angebot des Senders, sie kommen jetzt auch aus Deutschland und Polen, vor allem aber aus den großen russischen Städten Moskau, Sankt Petersburg, Jekaterinburg. Viele Menschen in Transnistrien besitzen auch einen russischen Pass und können problemlos in Russland arbeiten. Viele Moldauer der Chișinăuer Seite hingegen besitzen einen rumänischen Zweitpass und können damit EU-weit arbeiten. Ein Drittel der gesamten Bevölkerung, so schätzt Năstase, ist schon weg.  

Anträge ausfüllen und früh aufstehen, das ist Europa

Zurück auf der Chișinăuer Seite des Flusses zeigt der Bürgermeister des Dorfes Cobusca Veche, Laurentiu Perju, stolz den renovierten Kindergarten an der Dorfstraße. Er tut das Seine, um junge Menschen im Dorf – und im Land – zu halten. Perju ist für knapp 2.600 Menschen zuständig und hat die Segnungen der EU für sich entdeckt. Der Kindergarten: renoviert mit rumänischen Mitteln. Das Bürgermeisteramt: renoviert mithilfe Deutschlands. Und gerade wird Straßenbeleuchtung an der Dorfstraße angebracht: LED-Leuchten, zusammengebaut in Polen. Gegenüber vom Kindergarten vergammelt ein sowjetisches Denkmal für die gefallenen Soldaten im Zweiten Weltkrieg. "Im Moment ist anderes wichtiger", sagt Perju nebenbei.

Er sei liberal und natürlich proeuropäisch, aber in keiner Partei. Und er habe jetzt raus, wie es mit der EU funktioniere: Anträge ordentlich ausfüllen und dann früh aufstehen. 106 Kommunen hätten einen Antrag auf Straßenbeleuchtung gestellt, sagt er, davon hätten aber nur 18 die Voraussetzung erfüllt, einen Eigenanteil leisten zu können. "Am entscheidenden Tag war ich dann um fünf Uhr mit allen Papieren da und habe den Zuschlag bekommen. Die Bürgermeisterin der Nachbargemeinde kam später." Vor jedem mit ausländischer Hilfe finanzierten Projekt steht eine Tafel, die auf die Geldgeber hinweist. In seinem Dorf, sagt Perju, könne jeder sehen, dass kein Geld verschwinde.

Es gibt wohl noch mehr zu klauen

Werden die sogenannten Wahlen in Moldau etwas daran ändern, dass es überall und immer nur ums Geschäft geht? "Wir müssen gewinnen", sagen die Oppositionspolitiker Năstase und Sandu, "wir müssen das Land der Mafia entreißen." Und wenn das nicht klappt? Dann will die Opposition die Leute wieder zum Demonstrieren aufrufen. Ob es dafür angesichts der Ausgewanderten noch eine kritische Masse gibt, da ist sich Sandu nicht sicher.

Unabhängige Journalisten sehen die Lage sehr viel dramatischer: "Acum – das sind ja ganz nette Leute, aber sie sind schwach und desillusioniert", sagt Petru Macovei, Vorsitzender des Vereins unabhängiger Presse. Die Bevölkerung habe kein Vertrauen mehr in irgendeinen Wandel. "Egal wer gewinnt, die Oligarchen werden die Kontrolle behalten." Auch den Status quo mit Transnistrien werde niemand verändern wollen. "Wir sind ein kleines, aber offenbar sehr reiches Land – da gibt es wohl noch mehr zu klauen." Außerdem sei Moldau für viel zu viele Leute attraktiv, um Geld zu waschen. "Wir haben den Stempel der Demokratie einer Gruppe organisierter Verbrecher gegeben." Das werde sich gewiss nicht durch demokratische Wahlen ändern lassen.

Ein Imagefilm der Weinkellerei Crikova suggeriert da etwas ganz anderes. "The homeland is not for sale", heißt es dort im Abspann. Die Heimat sei nicht zu verkaufen.

Die Reise der Autorin nach Moldau und Transnistrien wurde von der Friedrich-Naumann-Stiftung im Rahmen einer Journalistenreise organisiert und mit Mitteln des BMZ finanziert.

Der Artikel erschien zuerst am 16/02/2019 auf zeit.de.