Orbán ist nicht unbesiegbar
Die ungarische Regierungspartei Fidesz schien noch eben unaufhaltbar. Die Opposition stand auf verlorenem Posten, was die Parlamentswahl am 8. April dieses Jahres anging. Die Wähler schienen sich am autoritären Kurs – „illiberale Demokratie“ genannt - und der grassierenden Korruption in Regierungskreisen nicht so zu reiben, wie man es erwarten müsste. Jetzt kam allerdings ein Dämpfer. In der südostungarischen Stadt Hódmezővásárhely, die seit den frühen 90er Jahren eine Fidesz-Hochburg war, erzielte der Oppositionskandidat bei einer Bürgermeisternachwahl einen wahren Erdrutschsieg. Nach dieser Überraschungswahl stellt sich die Frage: Ist das schon die Trendwende im Lande?
Die Wahlbeteiligung war mit 63 Prozent so hoch wie noch nie. Und die Niederlage von Fidesz so deutlich wie noch nie. Trotz intensiver Unterstützung seitens der Regierung kam Zoltán Hegedűs, der als Übergangsvertreter seines verstorbenen Vorgängers seit einiger Zeit die Geschäfte der Stadt führte, auf schlappe 41,83% der Stimmen. Weder Amtsbonus noch die professionell eingespielte Regierungsmaschinerie konnten es verhindern: Der Sieger des Wahlabends hieß Péter Márki-Zay. Mit 57,35% der Stimmen deklassierte er Hegedűs deutlicher als es die größten Optimisten erwartet hatten. Márki-Zay hatte als Parteiunabhängiger kandidiert, wurde aber ausnahmslos von allen Oppositionsparteien unterstützt. Diese Einigkeit der Opposition vor Ort machte sich bezahlt.
Der Wahlkampf, den Fidesz gegen ihn führte, war extrem unschön. Parteinahe Medien unterstellten Márki-Zay, er wolle nur die Stadtkasse für persönliche Zwecke plündern. Nur wenige Tage nachdem er seine Kandidatur verkündet hatte, feuerte sein Arbeitgeber den Vater von sieben Kindern, was vielen Bürger mehr als verdächtig vorkam. Aber trotzdem – oder vielleicht deswegen – fanden die Bürger, dass er der geeignete Kandidat für die Stadt sei. Als bodenständiger und gemäßigt-konservativer Kandidat bot Márki-Zay auch nicht so recht eine Angriffsfläche für die Fidesz-Propaganda, die gerne ihre Gegner als internationale linke Großstädter diffamiert.
„Es gibt wieder eine Chance zum Sieg im April. Das liegt geradezu in der Luft. Die Leute wollen den Wandel.“
Fidesz hatte schon vor Ort eine große Wahlparty angekündigt, die kurzfristig abgesagt wurde. Die Niederlage hat gesessen. Die Opposition, die in letzter Zeit eher demoralisiert zu sein schien, atmete hingegen auf. Der liberale Parlamentsabgeordnete Zoltán Kész wertete gegenüber freiheit.org den Sieg Márki-Zays als Beginn einer Trendwende: „Es gibt wieder eine Chance zum Sieg im April. Das liegt geradezu in der Luft. Die Leute wollen den Wandel.“
In der Tat könnte die Niederlage von Fidesz eine „stimmungskippende“ Wirkung entfalten. Mehr noch: Sie hat der Opposition einen strategischen Weg aufgezeigt. Wenn sich die Opposition einig ist, so die Lehre, dann kann sie Fidesz schlagen und das Land wieder von seinem national-autoritären Kurs abbringen. Das hatte auch Kész 2015 schon vorgeführt, als es ihm gelang, bei einer Nachwahl in Veszprém Fidesz in einer Hochburg den entscheidenden Sitz für die verfassungsändernde Mehrheit abzunehmen. Auch damals hatten sich alle Oppositionskräfte auf ihn geeinigt.
Ob das überregional auch für die nationalen Wahlen im April funktionieren wird, bleibt zwar zu hoffen, aber weiterhin fraglich. Auf nationaler Ebene fehlen noch der Kandidat und die Plattform, auf die sich alle einigen können. Alle Umfragen deuten zudem darauf hin, dass die demokratischen Parteien nur mit der Unterstützung der rechtsradikalen Partei Jobbik einen Wechsel herbeiführen könnten. Die damit verbundene Unsicherheit spielt Ministerpräsident Viktor Orbán und Fidesz in die Hände. Es kann aber auch sein, dass der Überdruss an Orbán mittlerweile so groß ist, dass sich die Wähler nicht mehr von derartigem abschrecken lassen.
Schon im Vorfeld der Wahl in Hódmezővásárhely berichteten die Medien über Skandale, die Orbán selbst betreffen, und die nicht so schnell auszuräumen sind. Zum einen scheint die Regierung die statistischen Zahlen zu Flüchtlingen in Ungarn (die das Hauptthema des Regierungswahlkampfs sind) systematisch gefälscht zu haben. Zum anderen scheint die Firma von Orbáns Schwiegersohn im großen Stil bei der Verteilung von EU-Subventionen bevorzugt worden zu sein.
Auch das reicht noch nicht aus, um der Opposition den Sieg vorauszusagen, aber der Nimbus der Orbánschen Unbesiegbarkeit ist zunächst einmal dahin. Zumindest gehen Beobachter im Lande davon aus, dass die befürchtete Erringung der verfassungsändernden Mehrheit durch Fidesz deutlich unwahrscheinlicher geworden ist. Das zumindest wäre schon einmal eine gute Nachricht für die Demokratie in Ungarn.
Detmar Doering ist Projetleiter der Stiftung für Mitteleuropa und die Baltische Staaten