EuGH
Polens Justizreform: Endgültig erledigt
Nun ist es rechtsgültig: Die polnische Regierung darf nicht unliebsame Richter des Obersten Gerichtes zwangsweise frühpensionieren. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat endgültig beschlossen, dass hier ein Verstoß gegen die europäische Grundrechtsordnung vorliege. Viel ändern wird sich nicht, denn die nationalkonservative Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit wusste schon vorher, dass sie auf verlorenem Posten stand.
Nachdem bereits die Staatsmedien mehr oder minder unter ihre Kontrolle gebracht worden waren, hatte die Regierung bereits im Juli 2017 begonnen, die Unabhängigkeit der Justiz zu unterminieren. Im Einklang mit ihrer „Philosophie“, dass man eine „nationale Erneuerung“ möglichst uneingeschränkt der gewählten Exekutive überlassen solle, und dass allzu einschränkend empfundene rechtsstaatliche Regeln dabei nur hinderlich seien, setzte die Regierung eine Justizreform in Gange.
Diese Justizreform hatte zwei Stoßrichtungen. Zum Ersten: Die Nominierung von obersten Richtern sollte in Zukunft stärker in die Hände der Exekutive gelegt werden – ein sehr eklatanter Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung, ist es doch eine Kernaufgabe von Verfassungsgerichten, die Regierung zu kontrollieren. Der Landesjustizrat, der für die Nominierung von Richtern zuständig ist, sollte entsprechend stärker dem Justizministerium unterstellt werden. Schon gegen diesen Teil der Reform erhoben sich massive Proteste und der ansonsten regierungstreue Präsident Andrzej Duda sah sich erstmals zu einem Veto veranlasst.
Zum Zweiten: Die Regierung wollte die amtierenden Richter (die meist zu Zeiten der Vorgängerregierung gekürt worden waren) loswerden, die möglicherweise rechtlich bedenkliche Gesetzesvorhaben hätten stoppen können. Eine direkte Absetzung der Richter wäre zu offenkundig rechtswidrig gewesen. Also beschloss man im Juli 2018, einfach das Eintrittsalter oberster Richter von bisher 70 auf 65 Jahre herabzusetzen, mit dem Argument man gleiche hier nur das Rentenrecht der Richter an das aller anderen Bürger an. Mit einem Schlag wurden so 27 der 72 betroffenen Richterstellen frei.
Durchschaubarer Trick
Diese Trick war jedoch allzu durchschaubar. Kaum ein Jurist hielt sie für vereinbar mit dem polnischen Verfassungsrecht und dem europäischen Recht, das auf gewisse Grundrechtsstandards pochen muss. Die meisten Richter, allen voran die oberste Verfassungsrichterin Małgorzata Maria Gersdorf, weigerten sich standhaft, der Aufforderung, ihr Amt zu verlassen, nachzukommen.
Am Montag kam nun das Urteil des EuGH in der Rechtssache C-619/18, das schon in der Überschrift klar und eindeutig feststellt: „Die streitigen Maßnahmen verstoßen gegen die Grundsätze der Unabsetzbarkeit der Richter und der richterlichen Unabhängigkeit.“ Der Vorwand, es gehe nur um eine Rechtsangleichung gelte nicht, sondern es läge hier eine Gefährdung der Unabhängigkeit der Justiz vor: „Der Gerichtshof hebt ... hervor, dass die Garantien der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit der Gerichte erfordern, dass die betreffende Einrichtung ihre Aufgaben in völliger Autonomie wahrnimmt, so dass sie vor Interventionen oder Druck von außen geschützt ist, die die Unabhängigkeit des Urteils ihrer Mitglieder gefährden und ihre Entscheidungen beeinflussen könnten...“
Das waren klare Worte, die aber auch kaum anders zu erwarten waren. Denn im Grunde hatte der EuGH das Gesetz schon im November 2018 „erledigt“, als er auf Antrag der Kommission schon in einem beschleunigten Verfahren das Gesetz für rechtswidrig gemäß EU-Rechtsgrundsätzen erklärte. Die PiS-Regierung zog darauf das Gesetz zurück. Gersdorf und ihre Kolleginnen und Kollegen bleiben bis zum Ende ihrer regulären Amtszeit im Amt.
Deshalb hat das nun endgültige Urteil kaum mehr hohe Wellen in der polnischen Öffentlichkeit geschlagen.
Die Politik ist nun gefragt
Soll man deshalb „Entwarnung“ signalisieren? Das unmittelbare Scheitern der recht krude eingefädelten Reform heißt nicht, dass der Rechts- und Verfassungsstaat in Polen von nun an ungefährdet sei. Vieles wird von den nationalen Parlamentswahlen im Herbst abhängen. Eine Bestätigung der Regierung im Amte würde deren Einfluss auf die Institutionen des Landes fast automatisch vertiefen. Viele Richtermandate werden auch ohne zwangsweise Frühpensionierung in den nächsten Jahren auslaufen.
Die Gerichte haben sich bisher sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene bewährt, wie der heutige Urteilsspruch zeigt. Es liegt jetzt vor allem an der parteipolischen Opposition, die Rechtsstaatlichkeit im Lande über die Wahlurnen zu schützen. Das Ergebnis der Europawahl, bei der die PiS ihre Wähler besser zur Wahl motivieren konnte, als die liberale und bürgerliche Opposition, zeigt, dass hier noch viel mühsame Arbeit getan werden muss.
Detmar Doering leitet das Projektbüro für Mitteleuropa und die baltischen Staaten der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit mit Sitz in Prag.