EN

Rumänien
Proteste der Diaspora enden blutig

In Rumänien eskalieren die Proteste gegen die Regierung
Proteste
Die Proteste haben im Sommer noch einmal Fahrt aufgenommen - und führten zu Zusammenstößen mit den Ordnugnskräften © CC BY-SA 4.0 commons.wikimedia.org/ Babu

Die Proteste in Bukarest wurden in der vergangenen Woche mit ungewöhnlicher Brutalität von den Ordnungshütern niedergeschlagen. Die Polizei setzte massiv Tränengas, Wasserwerfer und Gummiknüppel gegen die rund 60.000 Demonstranten ein. Randalierer hatten den Polizeieinsatz ausgelöst; verletzt wurden dabei aber auch Kinder, Frauen, Rentner, Behinderte und Journalisten. Die Militärstaatsanwaltschaft ermittelt nun gegen das Innenministerium. International wird der Vorwurf erhoben, die Polizei habe völkerrechtswidrig gehandelt.

Blutige Bilanz

Amnesty International unterstreicht in einem Pressekommuniqué die Besorgnis, dass beim Polizeieinsatz gegen internationales Recht verstoßen worden. Es wurden insgesamt 452 Personen verletzt, die in 70 Krankenhäusern betreut werden mussten. Immer mehr Videos in den sozialen Medien zeigen, dass der Tränengaseinsatz nach am Siegesplatz vor dem Regierungssitz gegen die friedlichen Demonstranten extrem brutal und ungerechtfertigt war.

Protest der sogenannten „Diaspora“?

Unter den Demonstranten waren auch viele der ca. 3,6 Millionen im Ausland lebenden Rumänen, die im August oft Urlaub in der Heimat machen. Der Großteil spricht sich gegen die Sozialdemokraten aus, doch häufig bleibt ihnen der Zugang zu den Urnen verwehrt. Am 10. August waren sie dazu aufgerufen, ihrem Unmut Luft machen und ihre Solidarität mit der protestierenden Zivilgesellschaft zuhause zu bekunden. Tatsächlich nahmen Tausende extra einen Tag Urlaub, um nach Bukarest zu fahren. Proteste gab es aber auch in anderen Großstädten wie Temeswar, Klausenburg und Hermannstadt, an denen bis zu 15.000 Rumänen aus dem In- und Ausland teilnahmen. Die Proteste richteten sich vor allem gegen die sozialliberale Regierungskoalition, gegen die Sozialdemokratische Partei, die Entkriminalisierung der Korruption und vor allem gegen den Parteiführer Liviu Dragnea - als Symbol einer korrupten politischen Kleptokratenklasse.

Klaus Johannis
Rumäniens Präsident Klaus Johannis © CC BY 2.0 commons wikimedia / European People's Party

Präsident, Opposition und Zivilgesellschaft verurteilten die Brutalität aufs Schärfste

Präsident Klaus Johannis forderte am Montagabend im Rahmen einer Pressekonferenz, Innenministerin Carmen Dan müsse die volle Verantwortung übernehmen. Er sprach von einer irrationalen Regierung, die gegen ihre Bürger vorgeht, und verurteilte den disproportionalen Einsatz der Polizei, der eher autoritären Regimen entspreche und nicht einer Demokratie. In seinem Statement machte er die Sozialdemokraten für die Sachlage verantwortlich, appellierte aber auch die Opposition zur Einigkeit.

Der Vorsitzende der Union zur Rettung Rumäniens (USR), Dan Barna, sprach von einem weiteren schwarzen Tag in der Geschichte Rumäniens. In einem offenen Brief an den Fraktionsvorsitzenden der Europäischen Sozialisten und Demokraten, Dr. Udo Bullman, nannte er die PSD „eine Schande für die europäische Progressisten-Bewegung“ und forderte von den europäischen Sozialdemokraten „klare und entschlossene Aktionen gegen die PSD und die derzeitige Führung“.  Die konservative Nationalliberale Partei (PNL) und die frischgegründete Bürgerbewegung Rumänien100 des ehemaligen Premierministers Dacian Cioloș sowie der Verein VedemJust des Richters Cristi Danilet fordern einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss und legten am Montag Strafanzeigen gegen Innenministerin Dan ein.

Nach eineinhalb Jahren dauerhaft friedlichen Protesten ist es offensichtlich, dass die Randale gesteuert provoziert worden sind. Auch fragen sich nun viele, warum die Randalierer nicht isoliert werden konnten, was bei einem anderen Großprotest im Winter der Fall war. Opposition und Regierungskoalition beschuldigen sich gegenseitig. Der Parteiführer der Sozialdemokraten, gegen den die Proteste hauptsächlich gerichtet sind macht Klaus Johannis und die Opposition verantwortlich. Innenministerin Carmen Dan wies jede Schuld von sich und möchte auf Anforderung vor dem Obersten Verteidigungsrat berichten. Die Opposition bezichtig wiederum die Regierungskoalition, das Gewaltszenario gegen die Demonstranten schon am frühen Morgen vorbereitet zu haben.

Letztere protestierten indes unbeeindruckt weiter. Einstimmig wird nun der Rücktritt der Regierung gefordert. Dieser Wunsch könnte sich mitunter im Herbst erfüllen, denn vieles hängt vom Regierungsjuniorpartner, der Allianz der Liberaldemokraten Rumäniens (ALDE Rumänien), ab, der die parlamentarische Mehrheit der Regierung garantiert. Der Parteivorsitzender Călin Popescu Tăriceanu würde sich im nächsten Jahr gerne im Präsidentschaftsrennen gegen Klaus Johannis als Spitzenkandidat der sozialliberalen Koalition sehen. Ein Beschluss bezüglich der Kandidatur soll im Oktober gefasst werden, behauptet der stellvertretende PSD-Generalsekretär Codrin Ștefănescu. Bis dahin aber muss der „liberale“ Tăriceanu wegen seinen illiberalen Haltungen auch international Rede und Antwort stehen. Am 7. September beraten Vertreter der europäischen ALDE-Partei über einen Antrag zum Ausschluss der namensgleichen rumänischen ALDE. Die Forderung ging anlässlich der Proteste von NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger in einem offenen Brief an den ALDE-Vorsitzenden Hans van Baalen.

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Inhalt ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

Fest steht: Dragneas Tage an der Spitze der Partei scheinen gezählt, zumal kritische Stimmen selbst aus dem eigenen Lager seinen Rücktritt verlangen. Ob das Land im Herbst kurz vor der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft 2019 in eine politische Krise oder sogar vorgezogenen Wahlen schlingern wird, ist derzeit nicht ausgeschlossen. Daher wohl auch der Präsidentenappell zur Einigkeit der Opposition.

Frischer Wind kommt von Zivilgesellschaft und der USR

Erstmalig seit den Protesten in Rumänien konnten die Oppositionsparteien bei den Bürgern punkten. Einer der Protestslogans dieser Tage - „Ohne Straftäter im Parlament“ - ist einer nationalen Kampagne und Unterschriftenaktion der Union zur Rettung Rumäniens (USR) zu verdanken, die innerhalb von zwei Monaten landesweit über 750.000 Unterschriften sammelte, um das rumänische Gesetz so abzuändern, das Strafverurteilten der Zugang in politische Ämter verwehrt wird. Die Kampagne drohte zu scheitern und wurde während der letzten Wochen massiv von Bürgern und Nichtregierungsorganisationen unterstützt. Hätte es ein solches Gesetz schon gegeben, wäre zum Beispiel dem schon wegen Wahlfälschung verurteilten Liviu Dragnea der Zugang zum Parlament und zum Vorsitzenden der Abgeordnetenkammer verwehrt gewesen. Frische Umfragen zeigen, dass im Land die Korruption der Politiker und im Allgemeinen nun als eines der größten Probleme wahrgenommen wird, dies war 2016 noch nicht der Fall. Auch die Wahlbeteiligung, die damals unter 40 Prozent lag, könnte nun viel höher ausfallen.

Nun wird das Netzwerk der Protest- und Bürgerbewegungen „Vertrag Rumänien“ im September eine neue Unterschriftenaktion zur Liberalisierung des Wahlgesetzes lancieren, das bislang restriktiv wirkt, auf die altgedienten Großparteien zugeschnitten ist und politischen Start-ups den Zugang zu Wahlen nahezu verwehrt. Ein unabhängiger Kandidat für die Europawahlen benötigt zum Beispiel 100.000 Unterschriften, um überhaupt teilnehmen zu können. Bei den letzten Parlamentswahlen schaffte es übrigens kein unabhängiger Kandidat ins Parlament. Gefordert werden die Abschaffung dieser Hindernisse sowie die Wahl der Bürgermeister in zwei Urnengängen. Diesmal erhält die Kampagne der Bürgerrechtler Unterstützung seitens der USR und Rumänien100, die sich im Herbst selber als Partei „Bewegung Gemeinsames Rumänien“ registrieren wird. Ein gemeinsames Training zur Vorbereitung dieser Kampagne wird von unserem Partner Initiative Rumänien und mit Unterstützung unserer Stiftung Ende August in Hermannstadt durchgeführt.

Raimar Wagner ist Projektkoordinator der Stiftung für Rumänien und Moldau.