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Russland
Redkollegia: You Are not Alone

Ein gemeinsamer Solidaritätsmarathon Russlands proeuropäischer Medien
Redkollegia

Ungewöhnliche Live-Interaktion: Maria Pevchikh, Leiterin aller Medienprojekte der Antikorruptionsstiftung von Alexei Navalny, arbeitet als "Gastmoderatorin" auf dem Kanal Dozhd TV, zusammen mit dessen Chefredakteur Tikhon Dzyadko (normalerweise konkurrieren die Medienprojekte von FBK und Dozhd aktiv miteinander, aber der Marathon brachte sie zum ersten Mal zusammen)

© Sergei Parkhomenko

Auf Initiative des journalistischen Projekts Redkollegia* fand kürzlich ein für alle proeuropäisch-fühlenden Russinnen und Russen äußerst interessantes und wichtiges Ereignis statt – vor allem in der Wahrnehmung der gebeutelten Zivilgesellschaft Russlands sowie in Bezug auf den Arbeitsalltag russischer Medienschaffender und oppositioneller Aktivistinnen und Aktivisten, die innerhalb und außerhalb Russlands tätig sind. Die Journalistengemeinschaft Redkollegia, seit Jahren stark unterstützt durch die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, hat am 12. Juni 2023 eine groß angelegte gemeinsame öffentliche Protest- und Solidaritätsaktion der unabhängigen russischen Medien durchgeführt.

Die Redkollegia-Gemeinschaft vereint heute die besten Kräfte des unabhängigen russischen Journalismus, die sowohl, inzwischen meist verdeckt, in Russland, als auch im Exil arbeiten. Dieses Netzwerk wurde zu einer Plattform, auf der Journalisten ständig kommunizieren und gemeinsame Probleme bzw. gemeinsame Initiativen diskutieren können. Im Rahmen der Redkollegia-Gemeinschaft werden neuerdings die bemerkenswertesten und erfolgreichsten kollektiven Aktionen unabhängiger russischer Journalisten konzipiert und durchgeführt.

Durch die Etablierung dieser festen Gemeinschaft von Profis auf den drei letzten großen Konferenzen ist Redkollegia zu der Plattform geworden, auf der verschiedene Initiativen, die den gesamten Bereich der russischsprachigen Medien betreffen, aktiv behandelt werden. Insbesondere wurden im Frühjahr 2023 die Ideen dreier offener Briefe hier aufgegriffen und umgesetzt, in denen Medienschaffende die politische Verfolgung ihrer Mitstreiter in Russland – des russischen Journalisten Iwan Safronow, des US-amerikanischen Reporters Evan Gershkovich sowie der Oppositionspolitiker und Publizisten Ilja Jaschin und Wladimir Kara-Murza – öffentlich verurteilten. Die Journalisten, die sich namentlich den allgemeinen Erklärungen anschlossen, protestierten so gegen die Ausweitung der politischen Repression und die Zerstörung der freien Medien durch das totalitäre Regime unter Wladimir Putin.

Redkollegia

 Die Journalistin Tatyana Felgenhauer, die normalerweise als Morgenmoderatorin bei Plyushchev arbeitet, moderiert eine Live-Sendung als "Gastmoderatorin" bei MediaZone. Sie spricht über den politischen Gefangenen Mikhail Simonov: Er wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt, weil er in mehreren Beiträgen im sozialen Netzwerk Vkontakte Kritik an der s.g. "speziellen Militäroperation" der russischen Armee in der Ukraine geäußert hatte.

© Sergei Parkhomenko

In jüngerer Zeit wurde die Redkollegia-Gemeinschaft schließlich zum Motor, in dem die Idee eines Solidaritätsmarathons der russischen Journalisten für die politischen Gefangenen, You Are Not Alone, geboren wurde. Es waren die Mitglieder der Gemeinschaft, die dieses einzigartige Ereignis organisierten und daran teilnahmen, das am 12. Juni zum ersten Mal alle populären unabhängigen Medienprojekte in einer gemeinsamen professionellen Protestaktion vereinte. Die ursprüngliche Idee und die organisatorischen Grundsätze der kollektiven Aktion wurden in einem geschlossenen Redkollegia-Chatroom diskutiert. Die ständige Kommunikation innerhalb von Redkollegia ermöglichte es den Kolleginnen und Kollegen, schnell gemeinsame Ansätze für die Umsetzung der Idee zu erarbeiten und alle diejenigen zu versammeln, die zur Teilnahme bereit waren.

So wurde der 12. Juni, seit Jelzins Präsidentschaft ein Staatsfeiertag (Russlands Tag der Unabhängigkeitserklärung von der UdSSR 1990), zum Datum für eine einzigartige Solidaritätsdemonstration von freien Journalisten für die politischen Gefangenen. Der "Solidaritätsmarathon: You Are Not Alone " wurde live auf YouTube (https://www.youtube.com/live/b0C3bUtQ5Ho und https://www.youtube.com/live/HF-qW3OoRlY) übertragen. Dreizehn der größten unabhängigen Medien Russlands beschlossen zusammen, insgesamt 13 Stunden lang ununterbrochen über die politische Lage in Russland zu berichten, die Geschichten von Menschen zu erzählen, die sich dem totalitären Regime Putins widersetzen, und Spenden zur Unterstützung politischer Gefangener, ihrer Familien und ihrer Verteidiger in den Prozessen zu sammeln.

Redkollegia

Der Startbildschirm des Marathons "Du bist nicht allein" mit den Logos aller Medien, die an der Organisation der allgemeinen Übertragung und der Spendensammlung beteiligt waren.

© Sergei Parkhomenko

Während der gesamten Zeit strahlten alle teilnehmenden Medien gleichen Content aus, und die Spenden wurden in einem einzigen Fonds gesammelt (die Spenden wurden sowohl in Rubel – von Zuschauern in Russland – als auch in Euro – von Zuschauern außerhalb des Landes – entgegengenommen). Dreizehn verschiedene Medienanstalten, die normalerweise miteinander konkurrieren und sich manchmal einen erbitterten Wettstreit um die Aufmerksamkeit der Zuschauer liefern, arbeiteten dieses Mal eng zusammen, indem sie ihre besten und beliebtesten Moderatoren austauschten: So arbeiteten beispielsweise die ständigen Moderatoren des Fernsehsenders Dozhd TV bei Khodorkovsky Live mit, während die Moderatoren der FBK-Medienprojekte von Alexei Navalny (Popular Politics und Navalny Live) aus dem Dozhd-Studio auf Sendung gingen - und so weiter in der Kette. Die Kanäle tauschten Diskussionsthemen, Gastredner, Experten, Diskussionsbeiträge, Videoclips und Werbeclips aus. Während dieser 13 Stunden waren all diese verschiedenen Medien zu einem großen Redaktionsteam vereint, das gemeinsam ein einzigartiges, starkes journalistisches Produkt schuf.

Das Ergebnis war eine Gesamtzuschauerzahl von fast 1,4 Millionen Menschen auf einmal: Der Kanal Dozhd TV (481.000 Zuschauer), der Kanal von Maxim Katz (315.000), der Kanal von Alexander Plyushchev (161.000) und Popular Politics (150.000) erzielten die meisten Zugriffe. Die Gesamtzahl der Abonnenten aller teilnehmenden Kanäle, die Ankündigungen über den Marathon erhielten und detailliert über die gemeinsame Solidaritätskampagne informiert und zur Teilnahme an den Spenden aufgefordert wurden, belief sich auf über 13,4 Millionen Zuschauer. Das Spendenaufkommen war mehr als beeindruckend: Insgesamt wurden mehr als 40 Millionen Rubel (über 434.000 Euro) gesammelt. Der größte Teil des Geldes wird direkt an die Familien russischer politischer Gefangener gehen: ein spezielles Komitee, dem auch Vertreter der Medienorganisatoren des Marathons angehören, schließt derzeit die Sammlung und Analyse der Hilfegesuche der Familien von Opfern der Repression ab. Ein erheblicher Betrag wird auch an Nichtregierungsorganisationen gespendet, die Anwälte für die Betroffenen der politischen Prozesse in Russland zusammenbringen.

Redkollegia

Ein Diagramm der stündlichen Zunahme der Spenden während der Dauer des Marathons. Wie hier zu sehen, erreichte der Betrag am Ende fast 40 Millionen Rubel.

© Sergei Parkhomenko

Der „Marathon der Solidarität: You Are Not Alone" war die bis dato wichtigste, beispielgebende Aktion des Redkollegia-Netzwerks mit Zeugnischarakter dafür, dass die Gemeinschaft der Journalistinnen und Journalisten der unabhängigen russischen Medien in der Lage ist, gemeinsam zu handeln und die Machbarkeit von Solidaritätsaktionen sehr öffentlichkeitswirksam zu demonstrieren. Die Mitglieder der Mediengemeinschaft haben in den letzten Jahren über die Notwendigkeit von solchen gemeinsamen Anstrengungen viel geredet, über die Notwendigkeit, demokratische, oppositionelle Kräfte, auch im russischen journalistischen Umfeld, zu vereinen.

Aber erst jetzt, nachdem viele professionelle Medienschaffenden im geschützten Raum drei aufeinanderfolgender Konferenzen die Möglichkeit hatten, ihre Probleme zu diskutieren und gemeinsame Taktiken für Aktionen innerhalb der Redkollegia-Gemeinschaft zu entwickeln, tragen die Bemühungen endlich Früchte. Das zeigt, welch hohes Potenzial Redkollegia als öffentlich agierender Freiwilligenverein hat. Es gibt Hoffnung auf die weitere Entwicklung des Einflusses und des Zuspruches für Redkollegia unter den unabhängigen russischen Journalistinnen und Journalisten und bürgerlichen Aktivistinnen und Aktivisten, die sich der totalitären Aggression des Putin-Regimes, nach außen wie nach innen, entschieden widersetzen.

Aus dem Russischen übersetzt von Peter Cichon, Referent Internationales Journalisten- und Mediendialogprogramm der FNF

Redkollegia* - ursprünglich im Russischen die Abkürzung für einen Redaktionsausschuss

Das Redkollegia-Projekt wurde 2016 ins Leben gerufen und war ursprünglich als ein unabhängiges russisches Preiskomitee konzipiert, das monatlich an die Autoren der herausragendsten und bedeutendsten journalistischen Arbeiten verliehen wurde. Im Laufe der Jahre hat es sich weiterentwickelt und allmählich ein Netzwerk von unabhängigen russischen Medienjournalisten gebildet, die in Russland bzw. inzwischen im Exil arbeiten. Konferenzen, Seminare, Workshops und Online-Schulungen, die regelmäßig für Journalisten, Redakteurinnen, Manager und Verlegerinnen unabhängiger russischer Medien veranstaltet werden, sind zu einem wesentlichen Bestandteil der Aktivitäten von Redkollegia geworden.

Besonders bemerkenswert und wichtig waren die drei großen Journalistenkonferenzen in Sarajevo (November 2021), Bar (Juni 2022) und Potsdam (April 2023), an denen ein großer Kreis russischer Medien, Menschenrechts- und zivilgesellschaftlicher Organisationen, juristischer NGOs, internationaler Organisationen und Stiftungen, die sich für die Meinungsfreiheit einsetzen, teilnahm. Auf diesen Konferenzen wurden die wichtigsten beruflichen Herausforderungen und Ziele für die Medien im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen das totalitäre russische Regime sowie bezüglich Rolle und Aufgaben der journalistischen Gemeinschaft in der Zeit der verbrecherischen militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine eingehend und engagiert diskutiert.

Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNF) wirkte bei der Organisation all dieser Konferenzen als eine wichtige Partnerin und Unterstützerin mit. Die Beteiligung der FNF an der Vorbereitung der Konferenzen bestand nicht alleine in der Finanzierung (Die Teilnehmerzahl stieg von der Konferenz in Sarajevo mit mehr als 90 Journalisten, Medienmanagerinnen, Experten, Vertreterinnen von Nichtregierungsorganisationen und Politikern, über mehr als 120 in Bar und mit teils bis zu 180 teilnehmenden Personen in Potsdam). Mindestens ebenso wichtig war es, dass die Führungskräfte und Mitarbeiterinnen der FNF direkt an der Entwicklung des Konzepts und des Programms der Konferenz, an der Diskussion des Teilnehmerkreises und an der Analyse der Diskussionsergebnisse beteiligt waren.