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Italien
Regierungserklärung: Hat Salvini sich verrechnet?

Regierungskrise als Chance für die parlamentarische Demokratie? Ein Gastbeitrag von Christian Concu

In Italien schwingt sich der Rechtspopulist Matteo Salvini zum Volkstribun auf und nutzt Meinungsumfragen, um seine Vorstellung von Demokratie zu untermauern. Dass die demokratischen Spielregeln andere sind und Regierungen im Parlament, und nicht auf der Straße gebildet werden, scheint nicht weiter zu stören: Ein Paradebeispiel dafür, dass ein Land Populismus bekommt, wenn es Populisten wählt. Ein Gastbeitrag von Christian Concu.

Wie schön wäre die Welt, wenn man allein aufgrund von Sonntagsumfragen schnell Neuwahlen anberaumen könnte. Dies ist der Traum von Matteo Salvini, dessen Lega seit den Europawahlen in italienischen Umfragen hoch im Kurs steht – derzeit bei 37 Prozent, Tendenz weiterhin steigend. Ausgehend davon hat Salvini die umstrittene Koalition mit der Fünf-Sterne-Bewegung quasi unilateral aufgekündet und verbreitet nun öffentlich, dass nur Neuwahlen eine demokratisch legitimierte Regierung hervorbringen können.

Ein Neologismus, der für den egozentrischen Salvini, seine populistische Agenda sowie sein Denken und Vorgehen steht, dominiert seitdem die Medien: der Salvinismus. Salvini gaukelt vielen Italienern auf deutliche und verständliche Weise schnelle Lösungen für viele vermeintliche Probleme vor. Er gibt sich als starker Mann, der in Italien anpackt und es auch nicht scheut, ein ernstes Wörtchen mit Europa zu reden. Damit spricht er insbesondere rechts-konservative Wähler an. Doch so einfach, wie Salvini es sich wünscht, wird der Weg zu Neuwahlen nicht.

Keine Strandtour für Conte

Nach Gesprächen mit Salvini, in denen der Lega-Chef seine Intention unterstrich, das Regierungsbündnis mit der Fünf-Sterne-Bewegung zu verlassen, bestätigte Regierungschef Giuseppe Conte am vergangenen Donnerstagabend mit einer Erklärung die Regierungskrise. Dabei hob er hervor, wie unermüdlich seine Regierung von früh bis spät gearbeitet hätte, während andere am Strand waren. Ein Fingerzeig an Salvini, der bereits seit Tagen eine Art Wahlkampftour am Strand veranstaltet. „Diese Regierung hat wenig gesprochen und viel gemacht“, bemerkte Conte. 

In der Tat hat der parteilose Conte gezeigt, dass er in kurzer Zeit, trotz geringer politischer Erfahrung und mit zwei gegensätzlichen Regierungsparteien, die sich in den Medien fortwährend einen Schlagabtausch lieferten, einiges auf den Weg gebracht hat: so unter anderem das sogenannte Bürgergeld, die Rentenreform „Quota 100“ und ein neues Antikorruptionsdekret. Eine Umfrage der Tageszeitung La Repubblica sieht ihn derzeit als den am meisten geschätzten Politiker Italiens. 

So ernst wie Conte den Regierungsauftrag genommen hat, so ernst werde er nach eigener Aussage nun auch mit der Regierungskrise umgehen, die die transparenteste in der Geschichte der Italienischen Republik werden solle. Falls es zu Neuwahlen kommt, solle der Bürger umfassend informiert sein.  

Wird das Mitte-Links-Bündnis zum Königsmacher? 

Was aber passiert jetzt? Kommt es, wie es sich Salvini unterstützt von den Mitte-Rechts-Parteien wünscht, zu Neuwahlen? Am vergangenen Freitag sprach die Lega im Senat ihr Misstrauen gegenüber der Regierung aus. Dies bedeutet, dass voraussichtlich nach Mariä Himmelfahrt ein Misstrauensvotum in der Abgeordnetenkammer abgehalten wird. Erst dann wird sich zeigen, welche Chancen eine Fortführung oder Umstellung eines Kabinetts unter Giuseppe Conte hat. 

Die Fünf-Sterne-Bewegung verfügt in der Abgeordnetenkammer über rund ein Drittel der Sitze und vereinigt damit die meisten Wählerstimmen vom vergangenen März auf sich – im Gegensatz zur zweitplatzierten Lega, die damals noch mit Bündnispartnern angetreten war. Nach dem Misstrauensvotum liegt es am Präsidenten der Republik zu prüfen, ob andere Mehrheiten für eine Regierungsumbildung möglich wären. Sergio Mattarella wird hier als Garant der Demokratie sicher keine Option unversucht lassen, zumal das Risiko, dass die europaskeptische Lega im Falle von Neuwahlen die Mehrheit erlangt und Italien in Europa weiter isoliert, zu groß ist. Für den Fall, dass sich keine neue Mehrheit findet, muss der Präsident der Republik die Kammern auflösen und im Zeitraum von 45 bis 70 Tagen Neuwahlen anberaumen – diese wären dann voraussichtlich im Oktober.  

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Parlamentarier des Mitte-Links-Bündnisses für eine Weiterarbeit Contes stimmen. Ex-Regierungschef Matteo Renzi äußerte bereits seine Meinung, wonach Italien momentan auf Wahlen verzichten könne, da es zuvor noch einiges zu tun gäbe. Hier steht er im Konflikt zum neuen Parteichef der Partito Democratico Nicola Zingaretti, der kundtat, dass es besser wäre, jetzt den Wähler entscheiden zu lassen. So könne vermieden werden, dass eine neue Regierungskoalition zwischen Mitte-Links-Parteien und Fünf-Sterne-Bewegung Salvini noch stärker mache. Doch noch sind Renzis Gefolgsleute Abgeordnete und die sollen laut dem Ex-Regierungschef auf ihr Gewissen hören. 

Haushalt als Rettungsanker

In seinen Konsultationen mit den Vertretern anderer Parteien könnte der Staatspräsident aufgrund der Verhandlungen mit der EU zum italienischen Haushalt darauf drängen, eine Regierung Conte II mindestens bis zur Verabschiedung des Haushalts zu stützen. Bis zum 15. Oktober soll Italien der EU seinen Haushaltsplan vorlegen. Sollten die Kammern aufgelöst und die Regierung gestürzt werden, gäbe es im Oktober keinen handlungsfähigen Vertreter, der das italienische Parlament zur Abstimmung des von der EU abgesegneten Haushalts hinter sich versammeln könnte.

Somit bedeuten Neuwahlen auch ein Risiko mit Hinblick auf die finanzielle Stabilität des Landes. Italien droht in eine Planlosigkeit zu rutschen und die wenigen neuen Investoren, die sich in den vergangenen Monaten dem Land zugewendet haben, erneut zu verschrecken. 

Es bleibt abzuwarten, was in den kommenden Wochen passiert. Regierungen entstehen im Parlament und nehmen auch dort ihr Ende. Welch ein parlamentarisches Lehrstück wäre es für Salvini, wenn sich ohne Neuwahlen eine neue Mehrheit fände. In den achtzehn Legislaturperioden der Italienischen Republik wäre es nicht das erste Mal.

 

Christian Concu ist Altstipendiat der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und Italienexperte.