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Europawahlen
Rumänien vor den Europawahlen: Kampf um den Rechtsstaat

Rechtsstaatlichkeit und Korruption stehen im Vordergrund. Die Opposition bezichtigt die Regierungskoalition den Rechtsstaat zu untergraben.
Rumänien

Zelte am Eingang zur U-Bahnstation in der Bukarester Stadtmitte am Romană-Platz.

© Raimer Wagner

Einen Monat vor der Europawahl ist die Stimmung in Rumänien düster. In einer Umfrage der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa geben 80 Prozent der Befragten an, das Land bewege sich in die falsche Richtung – das sind die schlechtesten Werte in der ganzen EU. Schuld an diesen Ergebnissen sei, laut Umfrage, vor allem die aktuelle Regierung, niedrige Einkommen und die weit verbreitete Korruption.

Die sozialdemokratische Regierungspartei PSD wird bei den bevorstehenden Europawahlen aller Voraussicht nach von der Wählerschaft abgestraft werden. Trotz Anhebungen von Renten und Gehältern ist die PSD in den jüngsten Umfragen von 45 Prozent auf knappe 22 Prozent gefallen. Sieger der EU-Wahlen könnte die konservative Nationalliberale Partei (PNL) mit 25 Prozent werden.

Als Dritter mit knapp 18 Prozent wird die Allianz 2020 USR-PLUS angegeben. Sie setzt sich zusammen aus der Union zur Rettung Rumäniens (USR) und dem Start-up des ehemaligen EU-Agrarkommissars und früheren Premierministers Dacian Cioloș, der Partei der Freiheit, Einheit und Solidarität (PLUS). Gemeinsam will man auch die diesjährigen Präsidentschafts-, sowie die Kommunal- und Parlamentswahlen im kommenden Jahr bestreiten.

Wo die PSD verliert, punktet der Koalitionspartner ALDE-Rumänien mit 13 Prozent, sowie deren sozialdemokratische Abspaltung Pro Rumänien, unter Führung des ehemaligen PSD-Vorsitzenden und Ministerpräsidenten Victor Ponta mit 11 Prozent. Die Wahlhürde schafft voraussichtlich auch der Ungarnverband UDMR mit 5 Prozent.

Sollten sich diese Umfragewerte am Wahltag bestätigen, kämen die Konservativen des Präsidenten Klaus Johannis auf neun Sitze, die PSD auf acht, die USR-PLUS auf sechs, ALDE Rumänien und Pro Rumänien auf je vier und die Ungarn auf einen Sitz im Europäischen Parlament. Doch die rund 30 Prozent zurzeit noch unentschlossenen Wähler könnten für eine höhere Wahlbeteiligung und einige Überraschungen sorgen.

Präsident Johannis ruft Referendum über Justizpolitik aus

Darauf baut auch Präsident Klaus Johannis, der für sein Referendum über die Justizpolitik der Regierung eine Wahlbeteiligung von mindestens 30 Prozent benötigt. Johannis droht seit gut zwei Jahren mit einem Referendum, nachdem die Regierungskoalition unermüdlich versucht, die Justizgesetze so zu reformieren, dass Korruption weitgehend entkriminalisiert und laufende Gerichtsverfahren gegen amtierende Politiker im Sand verlaufen würden.

Davon profitieren würde vor allem der wegen Wahlfälschung für zwei Jahre auf Bewährung verurteilte Vorsitzende der Sozialdemokraten, Liviu Dragnea. Ein weiterer entscheidender Schritt für die Justizreform wurde durch die Änderung des Strafgesetzes und des Strafgesetzbuches durch die parlamentarische Mehrheit im Eilverfahren unternommen. Unter anderem wurde die Verkürzung der bisher geltenden Verjährungsfristen beschlossen und die Zahlung von Bestechungsgeld unter bestimmten Voraussetzungen von Strafen befreit. Dies geschah trotz ausdrücklicher Warnungen der Europäischen Kommission und obwohl sich zurzeit eine Delegation der Venedig-Kommission in Rumänien befindet.

Eine Millionen Unterschriften

Die Opposition will die Reform vorm Verfassungsgericht anfechten und unterstützt das von Präsident Johannis angesetzte Referendum. Sie wirft der Regierungskoalition vor, Rumänien durch die Angriffe auf die Rechtsstaatlichkeit von der EU zu entfernen. Auch die Union zur Rettung Rumäniens begrüßt das Referendum und hatte bereits im vergangenen Jahr eine Million Unterschriften für eine Verfassungsänderung gesammelt, die es strafrechtlich Verurteilten verbieten würde, weiterhin offizielle Ämter zu bekleiden.

Von solch einer Verfassungsänderung wäre auch der wegen Wahlfälschung verurteilte PSD-Vorsitzenden Liviu Dragnea betroffen, der weiterhin Präsident der Abgeordnetenkammer ist. Ein anderes Gesetz verwehrte ihm immerhin aus diesem Grund den Ministerpräsidentenposten. Ob die jüngsten Gesetzesänderungen ihm nun doch den Weg ebnen werden, ist unklar.

Am 26. Mai müssen die Rumänen daher nicht nur für oder gegen Europa, sondern auch für oder gegen den Rechtsstaat abstimmen. Zur Abstimmung stehen die folgenden Fragen: Stimmen Sie dem Verbot von Amnestie und Begnadigung für Korruption zu? Sind Sie damit einverstanden, die Notverordnungen der Regierung im Bereich der Korruptionsdelikte zu verbieten, verbunden mit der Ausweitung des Rechts auf direkte Anfechtung der Notverordnungen vor dem Verfassungsgericht

Rumänien Wahl

Großflächig wirbt auch die USR-PLUS-Koalition 2020.

© Raimar Wagner

EU-Wahlkampf auf Rumänisch

Auf Rumäniens Straßen geht es zurzeit bunt her: riesige Plakate und Werbeflächen bedecken in den Großstädten ganze Gebäude ab und alle Dörfer sind mit Bannern und Wahlplakaten bestückt. Die PSD begeht den Wahlkampf mit nationalistisch-patriotischen Tönen und dem Slogan „Patrioten in Europa: Rumänien verdient mehr!“. Der Koalitionspartner ALDE-Rumänien hingegen fordert „Rumänien. In Europa respektiert!“.

Die Nationalliberalen wählen mit dem Slogan „Rumänien an erster Stelle“ eine an Trump angelehnte Rhetorik. Da ein glaubwürdiger Politiker fehlte, stellten sie einen bekannten Polit-Talkshow-Moderator als Spitzenkandidaten auf, der ihnen offenbar Aufschwung in den jüngsten Umfragen verschaffte. Victor Ponta outet sich als proeuropäischer Sozialdemokrat und porträtiert seine ehemaligen Kollegen als antieuropäisch und korrupt. Für ihn wirbt die aktuelle EU-Kommissarin für Regionale Entwicklungspolitik Corina Crețu. 

Klartext hingegen spricht die Union zu Rettung Rumäniens, die ihrem Ruf als Antikorruptionspartei treu bleibt und „Ein Rumänien ohne Straftäter und ohne Diebstahl“ fordert. Dabei rechnen sie vor, wie viele Krankenhäuser oder Straßen ohne Korruption in Rumänien hätte bauen können. Angeführt wird die Liste vom PLUS-Vorsitzenden Dacian Cioloș.

Wahlgeschenke so gut wie verboten

Der Wahlkampf wird vorwiegend aus öffentlicher Hand finanziert. In diesem Jahr sollte die Parteifinanzierung auf satte 100 Millionen Euro angehoben werden, wovon die PSD den Löwenanteil von 45 Prozent erhalten hätte. Nach massiver Kritik durch Opposition, Zivilgesellschaft und Medien wurde das Budget auf 55 Millionen Euro gekürzt – noch immer achtzehnmal mehr, als noch während dem Wahlkampf 2016.

Eine skurrile Regelung im rumänischen Wahlgesetz verbietet Wahlwerbung während der Wahlkampagne, außerhalb dieser Zeit aber nicht, wovon die Parteien zwei Monate vor den Wahlen üppig Gebrauch machten. Während der Wahlkampagne geht es nur noch um den direkten Kontakt mit den Wählern und den Auftritten in den Medien. Kleine Wahlgeschenke sind so gut wie verboten, denn in der Vergangenheit wurde damit vor allem unter den ärmsten Wählern Stimmenkauf betrieben. 

Diese Regelungen lösen das Problem der Korruption innerhalb der etablierten Parteien bei weitem nicht. Erst vor wenigen Tagen wurde der Schatzmeister der PSD von der Antikorruptionsbehörde angeklagt, etwa 380.000 Euro aus den Parteigeldern genutzt zu haben, um sich über Mietzuschüsse ein Haus damit zu kaufen. Gerade er hatte die Gesetzesänderung zur Aufstockung von Subventionen von Parteien initiiert. Die Parteiführung steht bislang trotzdem geschlossen hinter ihm. Auch der ehemalige Leiter der Zentralen Wahlbehörde Daniel Barbu wurde unter Anklage gestellt, weil er Untersuchungen über die Nutzung der Subventionsgelder bei der PSD willkürlich verhindert haben soll. 

Die rumänische EU-Ratspräsidentschaft wird von den Skandalen überschattet

Vor dem Hintergrund dieser innenpolitischen Skandale, rückt die EU-Ratspräsidentschaft, die Rumänien noch bis zum 30. Juni inne hat, in den Hintergrund. Den meisten Rumänen ist allein das für den 9. Mai im Siebenbürgischen Hermannstadt (rum. Sibiu) angesetzte EU-Gipfeltreffen bekannt. Dort dürften die Unstimmigkeiten zwischen der EU und der rumänischen Regierung deutlich zum Vorschein kommen, denn auf europäischer Ebene kommt selbst aus den eigenen politischen Familien harsche Kritik.

Die sozialdemokratische Justizkommissarin Vera Jourova hatte unlängst die rumänische Regierung davor gewarnt, die Kandidatur der ehemaligen rumänischen Anti-Korruptionsbeauftragten Laura Codruta Kövesi für den Posten der EU-Generalstaatsanwältin weiter zu verhindern. Der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Europas, Serghei Stanichev kündigte für Juni eine Abstimmung über den Ausschluss der PSD aus den Reihen der europäischen Sozialdemokraten an. Bis dahin seien die Beziehungen aufs Eis gelegt.

Ein ähnliches Verfahren droht dem Koalitionspartner ALDE Rumänien, da nach den Europawahlen im Juni ebenfalls über einen Ausschluss der Partei aus der europäischen ALDE abgestimmt werden soll.