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Russland benennt Luftwaffenregiment nach estnischer Hauptstadt

Putins strategische Narrative provozieren die baltischen Staaten
Russland benennt Luftwaffenregiment nach estnischer Hauptstadt
Tallinn als Namensgeber für russisches Luftwaffenregiment © CC BY-NC-ND 2.0 flickr.com/ mariusz kluzniak

Der russische Präsident Wladimir Putin hat per Dekret ein Regiment der russischen Luftwaffe nach der estnischen Hauptstadt Tallinn benannt. In dem ehemals sowjetischen baltischen Staat wird das mit gutem Grund als Provokation angesehen.

Im Dekret des Präsidenten vom 29. Januar 2018 steht, dass der neue Name des 23. Luftwaffenregiments "den Geist der militärischen Verpflichtung stärken" und "die heiligen militärischen Traditionen bewahren" solle. Dahinter steckt aber wohl eher eine auf Destabilisierung ausgerichtete Strategie Russlands, die Spannungen innerhalb der baltischen Staaten, aber auch innerhalb der EU und der NATO schüren soll.

Das estnisch-russische Verhältnis

Nachdem Estland während des Zweiten Weltkriegs besetzt worden war, lebten die Esten fast 50 Jahre lang unter sowjetischer Fremdherrschaft. 1991 erlangte Estland seine Unabhängigkeit, jedoch verließen russische Truppen erst 1994 das Land. Mit der Unabhängigkeitserklärung wurde jedem die estnische Staatsbürgerschaft gewährt, der vor der sowjetischen Besatzung 1939 ein Bürger Estlands war. Diejenigen, die nach dem Krieg nach Estland gekommen waren, mussten z.T. Sprachtests und landeskundliche Tests absolvieren. Viele von ihnen haben sich deshalb dafür entschieden, einen russischen Pass zu beantragen oder haben gar keine Staatsbürgerschaft.

Daraus ergeben sich bis heute Probleme. Die Spannungen zwischen Estland, das 2004 der NATO und der Europäischen Union beigetreten ist, und Russland sind hoch. Die Annexion der ukrainischen Krim im Jahr 2014 durch Russland verschärfte die bereits bestehenden Spannungen. Der Kreml wird beschuldigt, die Region destabilisieren zu wollen.

Esten fürchten russischen Einfluss

Die Annexion der Krim und die Unterstützung prorussischer Aufständischer in der Ukraine haben auch die Esten zunehmend misstrauischer werden lassen. Sowohl die Regierung als auch die Mehrheit der estnischen Bevölkerung befürchten, dass Moskaus Versuche, die Autorität der Regierung in Kiew immer weiter zu untergraben, nicht bei der Ukraine aufhören werden. Putins Strategie könnte bald auch andere Länder betreffen, in denen eine beträchtliche Minderheit ethnisch oder sprachlich russisch ist.

In Estland sind etwa 25.2% Prozent der 1,3 Millionen Einwohner Russen. Russisch ist Verkehrssprache in Regionen, in denen die russischsprachige Bevölkerung dominiert, besonders im Nordosten. Viele Menschen in dieser Region haben russische Pässe oder gar keine Staatsbürgerschaft. Einige Sicherheitsexperten glauben, dass verärgerte Russen, die sich manchmal wie Bürger zweiter Klasse fühlten, dem Kreml einen Vorwand geben könnten, einen Angriff auszuüben.

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Russische Propagandakampagnen im Baltikum

Andis Kudors, Direktor des Forschungszentrums für osteuropäische Politik aus Riga glaubt, Moskau versuche, in allen baltischen Ländern eine Bevölkerungsgruppe gegen eine andere auszuspielen. Langfristig wolle man in den baltischen Staaten Stimmung gegen Europa erzeugen. „In Lettland werden Gegensätze zwischen Russen und Letten, konservativen und liberalen Werten aufgebaut. In Litauen wird in diesem Sinne ‚die polnische Karte‘ gespielt. Und in Estland ist die Strategie ähnlich wie die in Lettland“, so Kudors.

Die russischsprachigen Minderheiten in Estland und Lettland sind oft die Zielgruppe für Russlands intensive und kostspielige Propagandakampagnen. Prorussische Medien arbeiten im Sinne Moskaus darauf hin, demokratische Institutionen zu untergraben und die Polarisierung zu vertiefen.

Provokationen an der Grenze zu NATO-Staaten

Nach der Annexion der Krim sorgt man sich auch in der EU, dass Russland einen Angriff auf das Baltikum durchführen könnte. Nachdem die NATO nach der Annexion der Krim-Halbinsel durch Russland und dem anhaltenden Konflikt im Osten der Ukraine ihre Ostflanke verstärkt hat, haben die russischen Geheimdienste nach Angaben des estnischen Sicherheitspolizeiamtes (KAPO) zunehmend die Abwehrmechanismen Estlands getestet.

Im vergangenen Jahr hat Russland zum Beispiel 2.500 Soldaten zu einem Großmanöver in die Region Pskov an der Grenze zu den NATO-Mitgliedern Lettland und Estland gerufen, was die Angst vor möglichen Konflikten in der Region verstärkte.

Russland hat offiziell bestritten, dass es jemals ein NATO-Mitglied angreifen würde. Litauen, Lettland und Estland ziehen inzwischen Vorteile aus der aktualisierten östlichen Strategie der NATO. Drei Bataillone aus anderen NATO-Ländern sind im Rotationsverfahren dort stationiert.

Die Benennung des russischen Luftwaffenregiments nach der estnischen Hauptstadt ist in diesem Zusammenhang also nicht unbedingt als eine direkte Drohung zu verstehen, dass kleine Land wieder an Russland eingliedern zu wollen. Allerdings kann die Namensgebung durchaus als Geste der Einschüchterung gegenüber den baltischen Staaten mit ihrer strategischen Westorientierung gedeutet werden, die den Interessen des semi-autoritären Putin-Regimes ein Dorn im Auge ist.

Sicherheitsrisiken im Baltikum

Die Lage in der baltischen Region sei militärisch "ziemlich stabil", sagt Andis Kudors. „Die Verstärkung der NATO-Verteidigung ist dabei nicht der einzige Grund. Wladimir Putin ist in erster Linie daran interessiert, den Status quo in Russland beizubehalten, der durch einen Angriff auf Estland, Lettland und Litauen bedroht wäre. Gleichzeitig treibt Putin einen Informationskrieg gegen die drei baltischen Staaten voran, gegen den die drei NATO-Verbündeten aber noch kein Gegenmittel gefunden haben.“

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Anfang Februar hat der Estnische Auslandsgeheimdienst seinen Jahresbericht mit dem Titel "Internationale Sicherheit und Estland 2018" veröffentlicht. Erwartungsgemäß befasst sich der größte Teil des Berichts mit Russland. Demgemäß geht die einzige existentielle Bedrohung für die Souveränität Estlands und der Ostsee-Staaten potentiell von Russland aus. Die Gefahr eines direkten russischen militärischen Angriffs auf die NATO-Mitgliedstaaten im Jahr 2018 sei jedoch gering.

„Solange Russland von einem autoritären Regime regiert wird, dessen oberste Priorität es ist, die politische Vorherrschaft über seine Nachbarn auszuüben, wird Russland weiterhin militärischen Druck gegen Estland, Lettland und Litauen ausüben", heißt es in dem Bericht.

Der Bericht weist darauf hin, dass die russischen Militärstrategen Estland, Lettland und Litauen nicht einzeln betrachten, sondern Europa und die NATO als ein Ganzes verstehen. "In Russlands jüngster militärischer Übung,  Zapad 2017, trainierten die russischen Streitkräfte für einen umfassenden Krieg gegen die NATO in Europa“, so der Bericht.

Russland benennt Luftwaffenregiment nach estnischer Hauptstadt
Taavi Rõivas, ehemaliger Ministerpräsident der Republik Estland © CC BY-NC-ND 2.0 flickr.com/ European Council

Westlich orientierte Politiker in Estland wie der ehemalige Ministerpräsident Estlands Taavi Rõivas fordern daher Standfestigkeit von den NATO-Verbündeten bei der Wahrung der Interessen der baltischen Staaten gegenüber Russland. Die NATO habe sich als Schutzschild in der Region bewährt. Auch wünscht man sich ein deutlicheres Engagement Deutschlands, das seine militärischen Kapazitäten stärken müsse.

Als Folge einer Verschlechterung der Beziehungen zwischen Russland und Estland wurde in letzter Zeit eine Reihe von Spionagefällen registriert. Der neueste Fall kam diese Woche an die Öffentlichkeit, der stark an die Zeit des Kalten Krieges erinnerte: Raivo Susi, ein Este, der der Spionage beschuldigt und zu 12 Jahren in einem Hochsicherheitsgefängnis in Russland verurteilt wurde, wurde auf einer verschneiten Brücke an der Grenze zwischen den beiden Ländern gegen Artern Zintsenko ausgetauscht, der von Estland zu fünf Jahren Haft  verurteilt wurde, weil er vermeintlich als Spion Russlands im Mai arbeitete. Der estnische Geschäftsmann und der russische Spion wurden nach einem Begnadigungserlass der jeweiligen Staatsoberhäupter in ihre Heimat entlassen.

Toni Skorić ist Project Manager für Mitteleuropa und die baltischen Länder im Stiftungsbüro in Prag.