Russland
"Russlands Gesetz gegen Fake News ist ein Irrweg"
Das russische Parlament hat ein Gesetz verabschiedet, wonach Onlinemedien für die Verbreitung von "Falschnachrichten" bestraft werden können. Russland-Experte Julius Freytag warnt im Gastbeitrag vor Zensur.
Hohe Geldstrafen gelten zukünftig in Russland für die Verbreitung von "Falschnachrichten". Ein neues Gesetz sorgt dafür. Kritiker sind empört: Für sie ist die Regelung eine Möglichkeit für Regierung und Behörden, unerwünschte Artikel und Beiträge zu unterdrücken und zu verhindern.
Der Russland-Experte Julius Freytag von der Friedrich-Naumann-Stiftung sieht das neue Gesetz ebenfalls kritisch. Im Gastbeitrag für t-online.de erläutert er unter anderem, welche Auswirkungen es in Russland haben könnte.
Am heutigen Donnerstag hat die russische Staatsduma in dritter und letzter Lesung ein neues Gesetz verabschiedet, das es den russischen Behörden erlaubt, Onlinemedien für die Verbreitung von "Falschnachrichten", die man in Russland dank Donald Trump auch "Fake News" nennt, zu sperren und hohe Geldstrafen gegen ihre Verbreitung zu verhängen.
Nach dem nun geltenden Gesetz bestimmen der Generalstaatsanwalt und seine Stellvertreter, was sie für "Fake News" halten und was nicht. Unter dem Druck der Aktualität und sich wandelnden Netzwelten sind Politiker auch in anderen Ländern versucht, neue Gesetze im Eiltempo zu schaffen. Gerade bei den Herausforderungen rund um die sozialen Netzwerke treffen Gesetzgeber oft auch in der Europäischen Union übereilte Entscheidungen.
Während viele Abgeordnete im Europäischen Parlament in diesem Monat zum Schutz von Urheberrechten Zensur und Einschränkungen von Meinungsfreiheit im Netz in Kauf zu nehmen scheinen, wurde das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz von 2017 sogar zum Vorbild für ein russisches Gesetz, das Internet stärker unter Kontrolle zu bringen.
Negativbeispiel zum Umgang mit Falschnachrichten
Aber heute kam die Innovation aus Russland mit einer Gesetzgebung, die zum Negativbeispiel zum Umgang mit sogenannten "Fake News" in anderen Ländern werden kann. Seit den großen Demonstrationen gegen Wahlfälschungen und Korruption in den Jahren 2011 und 2012 und seit der Annexion der Krim und dem Krieg in der Ukraine waren in Russland schon eine Reihe von Gesetzen verabschiedet worden, um die freie Berichterstattung von Medien einzuschränken.
Der Straftatbestand für Hochverrat war 2012 wieder eingeführt worden, kritische Webseiten und Blogs werden seit 2014 wegen vorgeblichem "Extremismus" von der Internetkontrollagentur Roskomnadsor gesperrt, seit 2015 dürfen ausländische Eigentümer nur noch maximal 20 Prozent an russischen Medien halten und seit 2017 werden ausgewählte ausländische Medien in Russland als "Ausländische Agenten" gebrandmarkt.
Verschärfung der bisherigen Konsequenzen
In den vergangenen Jahren wurden in Russland bereits mehrere jungen Menschen für das "Reposting" von kritischen Artikeln auf Sozialmedien strafrechtlich belangt. Seit 2016 können die Behörden unter Berufung auf das Extremismusgesetz entsprechend vorgehen.
Das heutige Gesetz verbietet dagegen sehr viel weitergehend die Verbreitung von "gesellschaftlich relevanten Informationen", die wie Faktenberichte wirken, jedoch nach Einschätzung der Generalstaatsanwaltschaft falsch sind und so eine "Gefahr für Menschen, Vermögen oder öffentliche Sicherheit und Ordnung" darstellen oder die Funktion wichtiger "Lebensversorgungs-, Verkehrs- und soziale Infrastrukturen, Energie- und Industrieanlagen" gefährden.
Idee nach chinesischem Vorbild
Die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft kann formal vor Gericht angefochten werden. Bei der weiter mangelnden Unabhängigkeit der Gerichte, bleibt abzuwarten, welches Gericht dann tatsächlich für den Beschuldigten und gegen die Staatsanwaltschaft entscheidet. Aber auch schon vor strafrechtlichen Konsequenzen erlaubt die Gesetzgebung Roskomnadsor auf allen Internetseiten die Löschung der als "falsch" deklarierten Inhalte zu fordern und bei Unterlassen diese zeitweise zu sperren.
Damit folgt das Gesetz der Idee, das Internet nach chinesischem Vorbild immer weiter zu kontrollieren, samt seinen Inhalten. Im Februar hatte die Staatsduma erst den Gesetzentwurf für ein "souveränes russisches Internet" gebilligt, der bei Bedarf erlaube eine Art "Firewall" um Russlands Netz gegen westliche Cyber-Attacken zu errichten. Und laut dem russischen Onlineportal RBK hatte der russische Präsident Wladimir Putin bereits Ende 2017 die Regierung beauftragt, bis August 2018 mit den BRICS-Staaten über eigene Root-Nameserver für das sogenannte Domain-Name-Systems (DNS) zu verhandeln um die Möglichkeit für eine Art "eigenes Internets" zu schaffen, das eine Trennung des russischen Netzes vom Rest der Welt erlauben würde.
Einschränkung der Meinungsfreiheit
Wenn also auch bei uns die Debatte um den Umgang mit "Propaganda" und "Fake News" wieder hochkocht, sollten wir Abstand von der russischen Vorlage nehmen, die der Generalstaatsanwaltschaft wie dem Wahrheitsministerium im Roman 1984 die Entscheidung über wahr und falsch überlässt.
Wer an Meinungsfreiheit glaubt, sollte sehr vorsichtig dabei sein, drakonische Restriktionen gegen Individuen und Medien zu verlangen. Investitionen in Transparenz und Medienbildung sind wichtig, so dass Bürger leichter selbst die Qualität von Medien einschätzen können mit Hinblick auf "Fake News" und "Propaganda". Der erklärte Kampf gegen "Fake News" dagegen ist häufig leicht als Schritt zur Einschränkung der Meinungsfreiheit zu enttarnen.
Julius von Freytag-Loringhoven, Leiter Büro Moskau, Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit.
Dieser Artikel erschien am Donnerstag, 07. März 2019 bei t-online und ist online auch hier zu finden.