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Journalistenreise nach Moldau
Unterwegs in einem zerrissenen Land vor der Wahl

Moldau

Das ärmste Land Europas entscheidet über eine neue Regierung.

© picture alliance/ZUMA Press

Ermöglicht durch die Einladung der Friedrich-Naumann-Stiftung konnte eine Studiengruppe deutscher Journalisten vom 6. bis zum 10. Februar 2019 ein Mediendialogprogramm in der in vielen Bereichen kriminellen Oligarchen-Interessen unterworfenen Republik Moldau absolvieren. 

„MOLDAU, meinen Sie den Fluss in Prag?“ - lautet bedauerlicherweise die am häufigsten gestellte Frage, wenn man den offiziellen Namen des Staates zwischen Rumänien und der Ukraine im deutschsprachigen Raum erwähnt. Das seit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 souveräne Land hat eindeutig mehr zu bieten als sein mildes Klima oder die unberührte Natur. Geografisch liegt es zentral in Europa, wäre dank der fruchtbaren Schwarzerde wie geschaffen für Entwicklung und Kultivierung von modernster Bio-Landwirtschaft, bietet mit ausgesprochen gastfreundlichen und friedlichen Menschen, beinahe angrenzend an das Donaudelta und die Schwarzmeerküste, auch für den sanften Tourismus, inkl. Reiten, Jagen oder Angeln, unendlich viel Raum. Wegen seiner multiethnischen Besiedlung (Rumänen, Ukrainer, Russen, Gagausen, Bulgaren, Roma und Juden) mit teils exotischen Traditionen, Küche und uralter Weinkultur fühlt man sich als Gast dort rundum wohl. 

Politisch wird es aber seit der Antike immer nur als Einflusssphäre und Spielball der Großen behandelt. Deshalb sind viele Moldauer bis heute auf der Suche nach einer eigenen, eigenständigen Identität. Immer nur als Randprovinz geltend, ganz egal ob Roms, Ungarns, Polen-Litauens, des Osmanischen Reichs, Russlands oder Groß-Rumäniens, hatten die Menschen zwischen den Flüssen Pruth und Dnister nur selten das Recht sich selbst zu regieren, und erst recht nicht die Wahl, frei über die Richtung für die Entwicklung des Landes zu entscheiden. 

Das Parlament in der Hauptstadt Chișinău wird neu gewählt

Theoretisch wäre dies am 24.02.19 einmal mehr seit dem Austritt aus der UdSSR möglich. Das Parlament in der Hauptstadt Chișinău wird neu gewählt. Die Wahl-Beobachter der OSZE, Botschaften der EU-Länder und internationale NGO‘s stehen bereit, um weit möglichst diese Wahlen zu begleiten. Auch das nationale und internationale Medieninteresse dürfte bis zum Wahlsonntag noch weiter ansteigen – was ist aber vom Wahlausgang in dem seit 1992 de facto geteilten Land zu erwarten? 

Der kleinere östliche Teil Moldaus, Transnistrien, bildet die international nicht anerkannte  “Pridnestrowische Moldauische Republik“ (PMR) - ein quasi Protektorat Russlands unter zwei stets gehissten Fahnen, jener der ehemaligen Moldauischen Sowjetrepublik und der russischen Trikolore. 

Ein Waffenlager aus der Sowjetzeit befindet sich dort, und ein Oligarchen-Firmenkonsortium unter dem minder-originellen Namen „Sheriff“ kontrolliert politisch wie wirtschaftlich das dubiose Gebilde. I. Smirnov, erster Präsident der PMR, gilt zusammen mit den sowjetischen Ex-Miliz- und KGB-Offizieren, V. Gushan und I. Kasmaly, als „Sheriff‘s“ Mitbegründer. Das Verbleiben von Überresten der 14. russischen Gardearmee, auch „Friedenstruppe“ genannt, sorgt für die Fortsetzung des Status quo, und ermöglicht es von dort aus postsowjetischen Oligarchen ihren „Geschäften“, wie Geldwäsche, Menschen-, Waffen- oder Drogenhandel, auch jenseits der für allerlei undurchsichtige „Wirtschaftsbeziehungen“ durchlässige Grenze nach Moldau, nachzugehen.  

Eine Tagesfahrt in das kuriose „Niemandsland“ gilt inzwischen allen Moldau-Touristen, auch der FNF- Mediendialogprogramm-Gruppe, als besondere Attraktion. Bei Begegnungen mit Vertretern des unabhängigen Online-Senders „Dnestr TV“ sowie der NGO „Club AprioriNr. 19“ lässt sich viel über die Zustände hinter den aufgeräumten „Potemkinschen“Fassaden in der zu 70% von russisch-  bzw. ukrainischsprachiger Bevölkerung bewohnten Teil-Region erfahren. Das Rumänische darf dort in der Öffentlichkeit, wenn überhaupt, nur nach alter Sowjet-Manier, in kyrillischer Schrift geschrieben werden. Elementare Menschenrechte gelten kaum, Rechtstaatlichkeit ist ein Fremdwort. Die sich verschlechternde soziale Lage zwingt Rentner, massenhaft die russische Staatsbürgerschaft zu beantragen, damit ihre Renten von 70,- (Transnistrien-Standard) auf 120,- € (Russland-Standard) monatlich erhöht werden. Alles geschieht unter dem Einfluss harter antiwestlicher Propaganda. Selbst Putins strenge NGO-Gesetzgebung zur Abwehr von „ausländischen Agenten“ wird übernommen. 

Bereits Schulabsolventen werden zum Verlassen der Heimat verleitet

Aus Angst vor einer wilden Rumänisierung der Region folgten 1991 viele Einwohner Transnistriens dem Ruf von Sezessionsanführern. Sie konnten kaum erahnen, wohin dieser Weg führt. Bereits Schulabsolventen werden heute mit Ausbildungsangeboten in Russland zum Verlassen der Heimat verleitet. In Russlands Großstädte lockt sie nicht die Freiheit sondern der Ruf des russischen Rubels. 

Insgesamt über 600.000 Moldauer von beiden Seiten des Dnisters arbeiten bereits teils illegal dort. Eine Rückkehr Transnistriens nach Moldau bei weitgehender Autonomie, vergleichbar mit dem Status Gagausiens, würde die heutige Lage der Pro-Europäer wegen durch Propaganda vertiefter Entzweiung allerdings nur noch zusätzlich erschweren, so der ehemalige sowjetische Dissident Grigorii Volovoi von „Dnestr TV“.

Die Arbeitsmigration nimmt den Dampf aus dem Kessel: die agilsten jungen Menschen aus ganz Moldau suchen nach Zukunftsperspektiven im Ausland, denn auch im Kernland leiden die Menschen an wirtschaftlicher Stagnation und Oligarchen-Herrschaft. Die westlich orientierte Mehrheit ist meistens mit rumänischen oder bulgarischen Reisepässen in den EU-Ländern unterwegs. Oft versäumen sie es, ihre moldauischen Pässe zu erneuern, und nehmen deswegen an Wahlen in der Heimat nicht mehr teil.  Es dürften inzwischen laut Angaben der interviewten Oppositionspolitiker, Maia Sandu (PAS) und Andrei Nastase (PPDA), über 700.000 Menschen sein. Mindestens 1,1 Millionen meist junger Moldauer von 3,5 Millionen Gesamtbevölkerung lebt demnach außerhalb des Landes. 

Sie fehlen nicht nur ihren oft bei den Großeltern aufwachsenden Kindern. Ihre Abwesenheit macht die moldauische Zivilgesellschaft alt und kraftlos. Den Oligarchen-Clans vereinfacht dies die Übernahme aller staatlichen Institutionen der Republik.  

Pro-Europa-Opposition sieht sich mit einem prorussischen Oligarchen-Komplott konfrontiert

Allerdings zeigt die Teilnahme des Landes an dem EU-Programm der östlichen Partnerschaft sowie die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU Ende 2013 in Vilnius doch, dass Teile der Elite offensiv für die Westorientierung stehen. Moldau befindet sich im Zustand extremer Zerrissenheit zwischen wirtschaftlichen Interessen in Russland, dem immer noch größten Abnehmer für seine landwirtschaftliche Produktion, und der europäischen Entwicklungsperspektive, der die Vettern in Rumänien, wenn auch mit Schwierigkeiten, jedoch langfristig mit wirtschaftlichem und sicherheitspolitischem Erfolg gefolgt sind. Es ist Russland, das mit einem Wirtschaftsembargo (Einfuhrverbot für moldauische Agrarprodukte) erpresst, sobald Moldau einen nächsten Schritt auf die EU-Mitgliedschaft zu wagt. Deshalb betonen alle politischen Kräfte die Absicht, gute Beziehungen zu Russland haben zu wollen. Und trotzdem sieht sich Pro-Europa-Opposition in Moldau mit einem prorussischen Oligarchen-Komplott konfrontiert. Der Präsident Igor Dodon, ein offener Putin-Bewunderer, und die beiden Oligarchen, Vlad Plahotniuc und Ilan Shor, bekämpfen einander nicht, richten stattdessen mittels Troll-Attacken auf allen Social-Media-Kanälen bzw. in eigenen privaten Massenmedien schwere Geschütze gegen den oppositionellen Parteienblock ACUM. 

Korruption, Mafiageschäfte, Pädophilie und Homosexualität standen schon als dumpfe Beschuldigungen gegen Maia Sandu und Andrei Nastase im Raum, obwohl Staatspräsident Dodon gleichzeitig einen fairen Umgang im Wahlkampf predigt. 

Sowohl die oppositionellen Politiker, als auch Vertreter von unabhängigen Medien und zivilgesellschaftlichen NGO‘s zweifeln an, ob die Oligarchen und Russland eine faire Wahl am 24. Februar erlauben werden. Die Pro-Europäer fürchten die Folgen der frisch verordneten gemischten Wahlordnung mit Kreis- und Parteienwahllisten, die auf Stimmzugewinne für Plahotniucs „Demokratische Partei Moldaus“ (PDM) zugeschnitten wurde, sowie den drohenden administrativen Druck auf die Wähler, bis hin zum Stimmenkauf bzw. „toter  Seelen an der Wahlurne“. Präsident Dodon mit seinen „Sozialisten“ setzt klar auf die Kreml-Karte, auch wenn seine Wahlkampagne-Angebereien über Verhandlungserfolge bei Putin in für Moldau wichtigen Beziehungsfragen zu Russland nicht immer zu greifen scheinen. Tatiana Puiu vom Freedom House Moldova weist bspw. darauf hin, dass trotz versprochener Legalisierung für Moldau-Gastarbeiter in Russland, neulich eine Moldauerin ihr Kind im russischen Gefängnis entbinden musste, nur weil sie es wagte, die russischen Behörden auf sich aufmerksam zu machen. 

Der aktuelle Wahlkampf ist eine Schlammschlacht

Die Wahl am 24.02.19 in Moldau droht zu einer Schicksalswahl zu werden, weil im Falle der Machtzementierung der Kreml-nahen Kräfte der weitere Annäherungsprozess an die EU ein jähes Ende finden könnte. Vor der Kulisse des Krieges im Donbass und der Krim-Annexion spielt Moldau in Putins geopolitischen Phantasien offensichtlich wieder eine Rolle. Die Geldwäscheroute über dieses Land, die Offshore-Geschäfte, die von Moldau aus ihren Anfang nehmen und sich anschließend in weltbekannten Steueroasen verbergen lassen, entsprechen gleichermaßen den Interessen von Oligarchen in Chișinău, Tiraspol und Moskau und machen dieses Armenhaus Europas zu ihrem gekaperten Flaggschiff.

Gerade aus diesem Grund kämpfen ACUM-Politiker Sandu und Nastase, Think-Tanksbzw. NGO-Aktivisten wie Vadim Gumene (Expert-Grup) und Petru Macovei sowie Medienvertreter wie Natalia Molari (Privatsender Channel TV8) oder Vasile Botnaru und Eugenia Cretu (Radio Free Europe Moldova) und Nicolae Cuschevici  unerschütterlich weiter, decken Korruptionsfälle auf, suchen nach verschwundenen Millionen-Beträgen, die der moldauische Steuerzahler den Banken im Endeffekt zurückerstatten darf, und hoffen so, die ermatteten Menschen zu Protestaktionen zu mobilisieren. Vasile Botnaru nennt diesen Kampf selbstironisch „Donquichottismus“, und passender lässt sich die Lage der Pro-Europäer nicht beschreiben. Maia Sandu mit ihrer schmalen Wahlkampfkasse und nur einem festen Mitarbeiter befürchtet, dass nach den Wahlen vom 24. Februar der Opposition ihr Sieg gestohlen werden könnte, die Straßenproteste wie immer ignoriert werden würden, und dadurch eine nächste große Abwanderungswelle ausgelöst werden könnte, nach der jeder weitere Widerstand endgültig zusammenbrechen dürfte – eine sehr düstere Prognose, die nur ein energisches Entgegenwirken mit Unterstützung der EU-Staaten noch verhindern kann.

Wie ermutigend und fast schon überraschend erscheint da das Engagement des Bürgermeisters der 2400-Seelen-Dorfgemeinde Cobusca Veche, Laurențiu Perju, der uns gerne die Erfolge von drei Jahren im Amt erläutert. Dieser entschlossene, 40-jährige Liberale hat eine klare Vision, seine Landsleute aus dem Ausland zurück in die Heimat zu holen. Er erneuerte in kürzester Zeit dank sorgfältig beantragten Fördermitteln aus Deutschland, Schweden, Polen und Rumänien die Infrastruktur (Kita, Schule, Ärztehaus, Kunstrasen-Fußballplatz, Postamt und Solar-Straßenbeleuchtung) und möchte jetzt Wirtschaftsinvestoren für sein Dorf gewinnen und so die Menschen davon überzeugen, in der Gemeinde zu bleiben bzw. zurückzukehren - „Sein Dorf wählt Europa“.

Nur eine noch engere Assoziierung mit der EU kann bewirken, dass die Moldauer den Klauen von Oligarchen entrissen werden, die sich gerne zur „russländischen Zivilisation“ mit ihren „traditionellen Werten“ bekennen und gleichzeitig ihre schwarzen Bankkonten mit Geld aus Mafiageschäften vollstopfen und ein ganzes Land kapern. Dem Medienfreiheit-weltweit-Team mit aktiver Unterstützung des Südost- & Osteuropa-Regionalbüros der Stiftung für die Freiheit gelang es dank der Journalisten-Studienreise die deutsche Öffentlichkeit auf diese Tatsache und die Republik Moldau aufmerksam zu machen: