40. Todestag
Wegbereiterin für Frauen in Wissenschaft und beruflicher Bildung
Drei Karrieren umfasste das von demokratischer Leidenschaft, liberaler Überzeugung und praktischer Vernunft geprägte Leben Clara von Simsons: Engagiert und durchsetzungsstark war sie als Wissenschaftlerin an der Universität ebenso wie als Managerin in der beruflichen Bildung und Frauenförderung des „Lette-Vereins“ sowie als Politikerin im Berliner Abgeordnetenhaus.
Erleichtert wurde der 1897 in Rom geborenen und in Berlin aufgewachsenen späteren Physikerin der Start durch ein aufgeschlossenes Elternhaus, das großen Wert auf die Bildung und Gleichberechtigung auch ihrer Töchter legte und ihnen freie Hand bei der Berufswahl gab – damals durchaus ungewöhnlich. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 erhielt der Bildungsweg Clara von Simsons einen ersten gewichtigen Einschnitt: Sie musste ihr Schuljahr am englischen College vorzeitig abbrechen und nach Berlin zurückkehren. Die Kriegszeit überbrückte sie dann mit einer Ausbildung zur Bibliothekarin, um danach doch noch das Abitur nachzuholen.
Freiheitliche Leitbilder waren Simson gleichsam in die Wiege gelegt
Freiheitliche Leitbilder waren Simson gleichsam in die Wiege gelegt: Die großen liberalen Wurzeln der Familie reichen weit zurück: Der Urgroßvater Eduard von Simson war 1848/49 Präsident der Frankfurter Nationalversammlung, später liberaler Abgeordneter und erster Präsident des Deutschen Reichstags. Diese politische Tradition ließ Generationen später auch die junge, vielseitig interessierte Schülerin nicht unberührt: Im elterlichen Haus organisierte sie in der Revolutionszeit 1918/19 Kampagnen für das Frauenwahlrecht und informierte über die Positionen der Parteien.
Trotz aller günstigen familiären Umstände verlief der Weg in die Wissenschaft keineswegs gradlinig: Im Abitur fasziniert von der Mathematik schlug Clara von Simson ein breites naturwissenschaftliches Studium ein, das sie 1923 mit einer Promotion in der physikalischen Chemie abschloss: „Denn das faszinierte mich von Anfang an, hier sah ich Möglichkeiten.“ Zu ihren akademischen Lehrern gehörten die Nobelpreisträger Albert Einstein, Walter Nernst, Max Planck und Max von Laue. Vor allem mit Letzterem verband sie eine enge Freundschaft, und sie sollte ihn später für den Liberalismus gewinnen. Auch Lise Meitner und Otto Hahn gehörten zu ihren Vertrauten. Nach dem Studium blieb sie als wissenschaftliche Assistentin am Physikalisch-Chemischen Institut der Berliner Universität.
Clara von Simson: Die durchsetzungsstarke Pionierin
Sie kämpfte für die Erwerbsfähigkeit der Frau und setzte sich für die Förderung von Frauen in den Naturwissenschaften ein.
Nationalsozialisten lehnten ihre weitere Beschäftigung an der Universität ab
Doch kam ihre wissenschaftliche Karriere nach 1933 zu einem jähen Ende. Den neuen Machthabern galt die Familie Simson – und damit auch Clara – aufgrund ihrer jüdischen Vorfahren als „rassisch minderwertig“. Die Nationalsozialisten lehnten ihre weitere Beschäftigung an der Universität ab; im September 1937 wurde der Physikerin mitgeteilt, „dass die Studenten gegen die Teilnahme von Nicht-Ariern am Colloquium protestieren; ich muss Sie daher bitten, nicht mehr daran teilzunehmen". Die nächsten Jahre schlug sich Simson als freiberufliche Übersetzerin und Mitarbeiterin eines Patentanwaltes durch, konnte allerdings den Kontakt zu ihren akademischen Förderern, wie etwa Max von Laue halten.
Dies ermöglichte ihr nach dem Krieg die Wiederaufnahme ihrer wissenschaftlichen Forschung: Die inzwischen 48-jährige erhielt eine Stelle als Dozentin für Thermodynamik in der Chemie und konnte an der Technischen Universität Berlin unterrichten. Die Jahre der gewaltsamen Aussperrung von der „scientific community“ ließen sich allerdings nur schwer aufholen. Nach einem einjährigen Forschungsaufenthalt in Oxford gelang ihr 1951 dennoch als erster Frau an der TU Berlin die Habilitation in Physik – eine Leistung, die ihr viel Aufmerksamkeit und Bewunderung, jedoch keine feste Anstellung einbrachte. Die nun zur Privatdozentin ernannte Simson engagierte sich umso mehr im Wiederaufbau der Hochschule, war die treibende Kraft für den Zusammenschluss des „Mittelbaus“ und wurde als dessen Vertreterin in den Akademischen Senat gewählt. Hier förderte sie die Gründung der Humanistischen Fakultät, um „jungen Menschen die Einheit des technischen und geisteswissenschaftlichen Denkens zu vermitteln“.
Habilitation war Bestätigung
Die spät erfolgte Habilitation war für Clara von Simson die Bestätigung, trotz aller Zurücksetzungen in der männlich dominierten Wissenschaft und Universität bestehen zu können. Zugleich waren ihr aber auch ihre besonderen Fähigkeiten und Interessen jenseits der Forschung deutlicher geworden – in der politischen Gestaltung und in der Förderung von Frauen und Bildung. So zog sie sich ein Jahr nach der Habilitation aus dem Universitätsbetrieb zurück und wechselte ins Management – als Leiterin der Bildungseinrichtungen der Stiftung Lette-Verein, dem 1866 vom liberalen Abgeordneten Wilhelm Adolf Lette gegründeten „Verein zur Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts“. Schon früh lag ein Schwerpunkt dieser Organisation auf der Ausbildung von jungen Frauen für neue Berufe; Clara von Simson setzte sich in den elf Jahren, in denen sie dem Betrieb vorstand, vor allem für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein, förderte die Modernisierung von Ausbildungsgängen und bestärkte Frauen in der Wahl von naturwissenschaftlichen und technischen Berufen.
Dabei trat ihr Engagement in der politischen Gestaltung nur kurzzeitig zurück. Schon in den Nachkriegsjahren, noch während ihrer erneuten wissenschaftlichen Arbeit, hatte Simson den Weg auch in die Politik eingeschlagen. Sie gehörte zum intellektuellen Freundeskreis um Freda Wuesthoff, Gertrud Bäumer und Elly Heuss-Knapp, beteiligte sich in der Nachkriegszeit in der Frauen- und Friedensbewegung und trat – bestärkt von Marie-Elisabeth Lüders – in die FDP (damals noch LDP) ein. 1950 führte sie dies in den Vorstand der Berliner Liberalen und ein Jahr später in die Kommunalpolitik als Abgeordnete. 1963 wurde sie für zwei Legislaturperioden ins Berliner Parlament gewählt, in dem sie für die FDP die Bildungs- und Wissenschaftspolitik verantwortete.
Zahlreiche Ehrungen
Ihre wissenschaftliche Expertise, der Erfolg als Frau in den Naturwissenschaften und ihr pädagogischer wie bildungspolitischer Erfahrungsschatz bewirkten 1958 in der soeben errichteten Friedrich-Naumann-Stiftung ihre Berufung zum Gründungsmitglied des Kuratoriums. Schon 1959 wurde sie dessen stellvertretende Vorsitzende und als – wie es hieß – „starke Frau" zehn Jahre darauf zur Vorsitzenden des Gremiums gewählt. Dieses Amt übte sie bis 1977 „umsichtig und energisch" aus, wie ihr Nachfolger Otto Graf Lambsdorff ihr zu ihrem 80. Geburtstag schrieb. Besonders lagen Simson die Gründung der Theodor-Heuss-Akademie, die Studienförderung und die Auslandsarbeit der Stiftung am Herzen; überdies war sie eine engagierte Verfechterin eines eigenständigen liberalen Kurses der Stiftung.
Simson erhielt zu Lebzeiten zahlreiche Ehrungen, wurde Stadtälteste von Berlin und Ehrensenatorin der Technischen Universität. Zu den zahlreichen mit ihrem Namen verbundenen Würdigungen gehört heute auch ein von der TU Berlin vergebener Preis zur Nachwuchsförderung von Frauen in den Naturwissenschaften.
Bereits in den Gründungsjahren der Bundesrepublik hatte Clara von Simson ein Ziel politischer Bildung gefordert, das auch heute nicht überholt ist: „Unsere Aufgabe“ ist es, den „Jugendlichen ein positives Verhältnis zu unserem jungen und sehr schwankenden Staatsleben zu geben und ihnen zum einen das Gefühl der Verantwortung zu vermitteln, dass jeder Einzelne das Gemeinsame mitträgt; zum anderen aber auch das Gefühl der Selbstbestätigung, dass es sich nämlich auch lohnt, mitzuarbeiten“.