ÖkonomenTalk
Welt in Aufruhr – Herfried Münkler über die neue Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert
Im ÖkonomenTalk spricht Martin Roos mit Herfried Münkler über die geopolitischen Auswirkungen unserer Zeit. Was können wir aus der Geschichte lernen? Wo verlaufen die geopolitischen Konfliktlinien der Zukunft?
Herfried Münkler gilt als einer der renommiertesten Politik-Analysten im deutschsprachigen Raum. Schon als Professor für Politikwissenschaften an der Berliner Humboldt-Universität mischte er sich immer wieder in die Debatten der Gegenwart ein und wurde zu einer viel gehörten und unverzichtbaren Stimme. Gerade durch den Blick in die Geschichte, erklärt er im ÖkonomenTalk, lässt sich viel für die Zukunft lernen. So ist für ihn seine derzeitige Lektüre von Jens Biskys „Die Entscheidung: Deutschland 1929 bis 1934“ ebenso vielsagend für die heutige Umbruchszeit wie Thukydides‘ Geschichte über den Peloponnesischen Krieg, die den Beginn der politischen Geschichtsschreibung bedeutet.
Die Frage, die sich Münkler im ÖkonomenTalk grundlegend stellt, ist: Wer sind die neuen Hüter unserer Weltordnung? Nicht allein aufgrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine, sondern besonders im Abzug der internationalen Truppen am 15. August 2022 aus Afghanistan sieht er den entscheidenden Wendepunkt für eine neue Weltordnung – die „Pentarchie“, eine Gruppe von fünf Groß-Mächten: die USA und Europa als demokratische Kräfte, China (autoritär-technokratisch, angesichts der vielen Steuerungs- und Überwachungsformen) und Russland (autoritär-autokratisch) als autoritäre Mächte – und schließlich Indien als Repräsentant des globalen Südens. Um diese fünf Mächte würden sich unterschiedliche Einflusssphären entwickeln, die so austariert sein müssten, dass keine Kriege und Konflikte mehr entstünden. Es wäre ein System, dass sich als stabiler und konstruktiver erweisen könnte, als das heutige – mit dem (eher zahnlosen) UN-Sicherheitsrat an der Spitze, meint Münkler.
Pazifierungsstrategie durch Wohlstandstransfer ist gescheitert
Vor allem das deutsche Modell „Pazifierungsstrategie durch Wohlstandstransfer“ sei endgültig gescheitert. Die Ukraine würde voraussichtlich den Krieg verlieren, Putin würde bleiben und die westlichen Staaten weiter in Schach halten. Zu der erhofften Durchsetzung des westlichen Politik- und Wirtschaftsmodells werde es nicht kommen.
Auch die US-Wahl im November 2024, eine „schicksalhafte Wahl“, würde weiter die globalen Machtverhältnisse beeinflussen. Sollte Donald Trump im Fall seiner Wiederwahl seine Drohung, die Nato nicht mehr wie gewohnt unterstützen zu wollen, wahrmachen, bräuchte Europa eine eigene „nukleare Abschreckungskomponente“. Die Europäische Union (EU) müsse bereit sein, meint Münkler, ihre Freiheit auch nuklear zu verteidigen.
Münklers stärkste Kritik: Die meisten Politiker (auch in Deutschland) würden heute nur in Legislaturperioden und an ihre Wiederwahl denken. Der aktuelle Mangel an Politikern, die strategisch dächten, sei offensichtlich. Think Tanks (wie politische Stiftungen) würden zwar viel „vordenken“, jedoch in der politischen Praxis kaum Gehör finden.
ÖkonomenTalk – kurz und knapp: Wir stehen vor gewaltigen Umbrüchen. Um diese zu meistern, brauchen wir Fingerspitzengefühl, Friedenswillen durch Abschreckung und Politiker, die bereit sind, ihre persönlichen Ambitionen hinter strategisch langfristiges Denken zu stellen.