Wie soll die Europäische Verteidigungspolitik der Zukunft aussehen?
An der Universität Sciences Po in Paris veranstaltete die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit gemeinsam mit internationalen Studenten eine Diskussion zur Zukunft der europäischen Verteidigungspolitik. Es war gleichzeitig das erste Zusammentreffen eines Mitglied der Freien Demokraten mit Emmanuel Macrons Partei „La République en Marche“ auf einer öffentlichen Bühne. Warum die Zukunft der europäischen Verteidigungspolitik ein Flugzeug und ein etwas anderes Erasmus-Programm sein könnte.
Die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU (GSVP) bleibt zwar noch immer hinter ihren Ambitionen zurück, hat sich während des vergangenen Jahres jedoch in revolutionärem Tempo weiterentwickelt. Eine führende Rolle spielt dabei Frankreich, das sich seit der Wahl Emmanuel Macrons zum Präsidenten und dessen fulminanter Rede zur Zukunft Europas im September 2017 als treibende, pro-europäische Kraft etabliert hat. Die Studentenorganisation „Think Libéral“ nahm diese beiden Entwicklungen zum Anlass, um gemeinsam mit der Friedrich-Naumann-Stiftung eine Diskussionsveranstaltung an der Universität Sciences Po zu organisieren. Knapp 100 internationale Studenten und Freunde der Stiftung debattierten wenige Tage vor Ostern in Paris mit liberalen Politikern und Experten entlang folgender Leitfragen: Wie wird sich die Verteidigungspolitik der EU und ihrer Mitgliedstaaten weiterentwickeln? Und welche Rolle wird der deutsch-französische Motor dabei spielen?
Das deutsch-französische Duo wurde an diesem Frühlingsabend durch die Abgeordneten Natalia Pouzyreff und Dr. Marcus Faber repräsentiert. Die beiden Politiker lernten sich im Hörsaal der Universität zwar erst kennen, hatten aber schon einiges gemeinsam: Beide sind erst vor Kurzem ins Parlament gewählt und dort Mitglieder des Verteidigungsausschusses geworden. Sie beschäftigen sich beide mit den Entwicklungen und Fragen auf diesem Feld, hatten aber bisher keinen Kontakt zu ihren potentiellen Partnern auf der anderen Seite des Rheins. Es war das erste Mal, dass Abgeordnete der Macron-Partei La République en Marche (LREM) und der Freien Demokratischen Partei (FDP) auf einer Bühne saßen.
Flankiert wurden sie bei der abendlichen Diskussion durch den belgischen EU-Kommissionsbeamten Pierre Delsaux, der als stellvertretender Generaldirektor unter anderem für den neu geschaffenen EU-Verteidigungsfonds verantwortlich ist, und die Vize-Präsidentin der europäischen, liberalen Jugendorganisation LYMEC, Svenja Hahn. Die kritischen Fragen verteilte mit viel Geschick die Journalistin Michaela Wiegel, Korrespondentin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z) in Paris.
Im Amphitheater Felix Boutmy, einem Raum der durch seine Größe und seine langen Reihen aus Holzbänken gleichermaßen französische Eleganz und maroden Charme ausstrahlt, trafen also unterschiedliche Welten aufeinander: Politiker, Studenten, Beamte, Deutsche und Franzosen. Während der Debatte wurde jedoch schnell klar, dass zwischen den Rednern auf der Bühne und den Mitdiskutierenden im Plenum eine grundsätzliche Einigkeit über die vielfältigen Bedrohungen der europäischen Sicherheit und die daraus resultierende Notwendigkeit für eine besser abgestimmte und effektivere Zusammenarbeit besteht. Gestritten wurde darüber, mit welchen Instrumenten und Partnern man dieses Ziel am besten erreichen kann.
In diesem Zusammenhang machte Marcus Faber auf eine große Chance aufmerksam. Die Streitkräfte Deutschlands und Frankreichs werden mittelfristig ein neues Kampfflugzeug benötigen. Da ein modernes Modell im Moment nicht auf dem europäischen Markt angeboten wird, erwägt beispielsweise die Bundeswehr den Erwerb der US-amerikanischen F-35. Wenn Deutschland, Frankreich und anderer Partner jedoch wie geplant noch dieses Jahr einen Fahrplan für die Entwicklung eines europäischen Jets vorlegen, könnte dies ein ganz entscheidender Baustein für eine zukünftig erfolgreichere Rüstungs- und Verteidigungszusammenarbeit werden. Natalia Pouzyreff stimmte diesem Punkt entschieden zu und appellierte mit Verweis auf den jüngsten Bericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages gleichzeitig an die Deutschen, sich stärker für die Einsatzfähigkeit ihrer Streitkräfte einzusetzen. Die Bundeswehr erreiche mit einem gleichgroßen Wehretat wie die französische Armee nicht annähernd deren Leistungsfähigkeit.
Die deutsch-französische Partnerschaft hält auch Pierre Delsaux für wichtig, warnte jedoch davor, die Kleinen zu vergessen. Damit meinte er nicht nur die kleineren Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sondern auch kleinere und mittlere Unternehmen, die mit ihrer Innovationsfähigkeit einen Anteil an der Forschungs- und Entwicklungsarbeit im Rahmen der europäischen Verteidigungspolitik leisten sollten. Diesen Ansatz lobte Svenja Hahn, forderte aber gleichzeitig mehr Ambition von der Politik. Zwar dürfe man auf die bisherigen Schritte stolz sein, solle aber nicht das Ziel einer Europäischen Armee aus den Augen verlieren.
Für eine Europäische Armee, das wurde an diesem Abend immer wieder klar, fehlt es vor allem noch an der Interoperabilität. Dabei geht es nicht nur um einheitliche Munition, kompatible Softwaresysteme und die Spurbreiten der nationalen Eisenbahnnetze. Es geht auch um die Menschen, die miteinander arbeiten, kommunizieren und, wenn nötig, gemeinsam kämpfen sollen. Deren Sprachkenntnisse, soldatisches Selbstverständnis und militärische Führungskultur unterscheiden sich auch zwischen Nachbarn wie Deutschland und Frankreich massiv. Ein verstärkter Austausch zwischen den Streitkräften, also eine Art „Erasmus für Soldaten“, könnte dabei helfen, die Hürden für die Zusammenarbeit abzubauen.
Der Diskussionsabend im Amphitheater Felix Boutmy der Sciences Po führte Studenten, Politiker, Deutsche und Franzosen zu einem immer wichtiger werdenden Thema zusammen und stärkte damit hoffentlich auch die Interoperabilität deutscher und französischer Liberaler.
Sebastian Vagt leitet den Hub für sicherheitspolitischen Dialog der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Brüssel.