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Europa
Wir brauchen eine Europäische Agentur für Asyl

Seit Jahren streitet die Europäische Union um die Flüchtlingspolitik. Im Mittelpunkt der Diskussion steht dabei die Verteilung der Asylsuchenden auf die Mitgliedsstaaten.
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Der Schlüssel für eine europäische Migrationspolitik lautet: Verantwortung.

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Die Debatte um einen Verteilungsmechanismus ist nicht neu: Erstmals stand das Thema Anfang der 90er Jahre als Folge der Balkankriege oben auf der Agenda. Als 2011 unglaublich viele Flüchtlinge aus Libyen und Tunesien kamen, schlugen Italien, Malta und Zypern die Aktivierung einer Schutzklausel vor. Sie sah vor, dass die Flüchtlinge automatisch in der EU verteilt werden sollten. Doch der damals amtierende Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) erteilte diesem Ansatz eine Absage. Auch den Vorstoß des Europäischen Parlaments (EP), einen europäischen Verteilungsschlüssel einzuführen, lehnte Friedrich ab.


Als dann 2015 Hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland kamen, pochte das EP auf eine solidarische Umverteilung innerhalb der EU. Damals gab es dann wiederum keine Zugeständnisse von den zuvor allein gelassenen Mitgliedsstaaten.
Komplizierter wird die politische Situation in der EU, da die bisher geltende Asylgesetzgebung auf Richtlinien aufbaut. Die einzelnen Mitgliedsstaaten erhielten dadurch so viel Spielraum, dass die Chancen auf die Anerkennung von Asyl in den EU-Mitgliedstaaten variierten. So entstand die paradoxe Situation, dass ein Antrag in zwei EU-Mitgliedsstaaten völlig unterschiedlich bewertet wurde. Genauso unterscheiden sich die gesundheitliche Versorgung oder der Zugang zu Beratung. Das Europäische Parlament hatte schon bei den Beratungen 2011 auf diese Probleme hingewiesen, aber die nationalen Regierungen wollten ihren „Gestaltungsspielraum“ partout nicht aufgeben. Das Ergebnis ist in vielerlei Hinsicht ein asylpolitischer Flickenteppich, der immerhin zu einem langsamen Umdenken in den Hauptstädten von Europa führte. Heute sind mehr Mitgliedsstaaten wieder bereit, die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund zu stellen.


Der Schlüssel für eine europäische Migrationspolitik lautet: Verantwortung. Das Auseinanderstreben in der Migrationspolitik in Europa hat zumindest die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Europa jetzt umdenkt. Da bereits andere komplexe Fragestellungen in der EU in der Vergangenheit zunächst mit bi- bzw. multinationalen Abkommen gelöst worden sind, kann dieser Ansatz fruchten. Die Chancen sind da, dass erst die Mitgliedsstaaten voranschreiten, die willens sind, Verantwortung zu übernehmen. Dieser Bereitschaft kann auch eine finanzielle Unterstützung folgen, die zu Ungunsten nichtteilnehmender Länder finanziert wird.


Dabei ist die Einigung vom EU-Gipfel Ende Juni, die EU-Außengrenzen effektiver zu schützen, ein richtiger Schritt auf dem Weg dorthin und die Voraussetzung für den Erhalt offener Binnengrenzen. Auffanglager außerhalb der Außengrenzen hält die Kommission zwar für rechtswidrig, aber auch andere Optionen wären denkbar: Asylantragsstellung bei EU-Auslandsvertretungen und Bearbeitung von Asylanträgen gemeinsam mit einem gestärkten EU-Asylbüro. 


Dieses Asylbüro muss zu einer Europäischen Agentur für Asyl werden. Ziel muss ein „europäischer Asylantrag“ sein. Dieser wäre auch für die Antragssteller von Vorteil: Sprachkenntnisse und familiäre Bindungen können berücksichtigt werden, was integrationsfördernd wäre und illegalen Grenzübertritten innerhalb der EU vorgreifen würde, da die Chance auf Anerkennung nicht mehr vom einzelnen Mitgliedsstaat abhängig ist. 
Die Agentur für Asyl kann damit sowohl die strategische als auch operative Durchführung der Verfahren sowie die Verteilung der Asylsuchenden übernehmen. Das garantiert eine schnellere Bearbeitung und ein neutrales Verfahren. Teilnehmende Mitgliedsstaaten würden ebenfalls davon profitieren: für die Verfahrenskosten und Unterbringung der Asylsuchenden bis zum Entscheid kämen die Mitgliedsstaaten gemeinsam auf. Dieser „europäische Asylantrag“ könnte in den zentralen Aufnahmezentren in Griechenland, Italien und Malta durchgeführt werden, so dass die Länder keine eigenen Ressourcen dafür aufbringen müssten.