Wirecard
Wo war der Schiedsrichter?
Der Vorgang ist unglaublich. Ein 1999 gegründetes Unternehmen, seit Jahren von Gerüchten über Betrügereien begleitet, wird als Deutschlands größte Fintechhoffnung gefeiert und steigt Ende 2018 in den Dax auf. Gewinne wurden angeblich seit 2015 nicht mehr gemacht, ohne dass dies den Rechnungsprüfern auffiel.
Als die Financial Times, keine ganz unseriöse Quelle, Anfang 2019 mit einer Artikelserie auf konkrete Verdachtsmomente aufmerksam macht, reagiert die deutsche Finanzmarktaufsicht in Form der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) entschieden. Allerdings nicht, indem sie die Vorwürfe aufklärt. Stattdessen werden die Journalisten wegen Verdacht auf Marktmanipulation angezeigt und Leerverkäufe von Wirecard-Aktien für zwei Monate verboten. Damit wurde also gerade das Marktinstrument ausgeschaltet, mit dem Investoren ihr Misstrauen gegenüber aufgeblähten Kursen ausdrücken können. Die BaFin begründete den Markteingriff mit dem Versuch einer „generellen Marktverunsicherung“ vorzubeugen – im Rückblick etwas unglücklich.
Börsenstandort Deutschland beschädigt
Denn die Räuberpistole Wirecard hat das Zeug, den deutschen Börsenstandort zu beschädigen. Zumal es sich um eine Aktie aus dem Dax handelte, dem Goldstandard der Börse. Unglaublich sind die Geschehnisse allemal, auch ohne näher auf Details wie einen leitenden Manager mit mehreren Pässen und Geheimdienstkontakten einzugehen. Die genaue Aufklärung wird sicher noch längere Zeit in Anspruch nehmen, heute tagt dazu erneut der Finanzausschuss des Deutschen Bundestags. Und auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss deutet sich immer mehr an. Aber, dass wohl sowohl der Wirtschaftsprüfer von Wirecard, als auch die Finanzmarktaufsicht schwere Fehler gemacht haben, scheint schon jetzt offensichtlich.
Insbesondere die BaFin, die ja eigentlich ein aufmerksamer Schiedsrichter der Kapitalmärkte sein sollte, hat eine sehr unglückliche Figur gemacht. In der Sozialen Marktwirtschaft kommt der Aufsicht ja eine entscheidende Rolle zu, wir befinden uns gerade nicht im Wild-West-Kapitalismus. Anleger müssen sich eigentlich darauf verlassen können, dass die Finanzmarktaufsicht bei Verdachtsfällen schnell und effektiv vorgeht. Im Fall Wirecard gilt das hoch drei: Denn Wirecard war erstens 2019 Mitglied im Dax, dem höchsten Standard der deutschen Börse. Zweitens gab es wohl schon länger Hinweise auf Unregelmäßigkeiten – sowohl von Whistleblowern als auch in der Öffentlichkeit. Und drittens hätten die verschachtelten Geschäftskonstruktionen Misstrauen wecken müssen. Unmöglich war eine Aufklärung nicht, wie die Recherchen der Financial Times zeigen. Diese hatte beispielsweise vor Ort nachgeprüft, ob angebliche Geschäftspartner existieren:
„Attempting to visit some of these Wirecard partners in the Philippines, the FT instead discovers a retired seaman and his family, who are bemused to learn that their house is supposedly the site of an international payments business.“
Lehren für die Finanzmarktregulierung
Eine genaue Lehre aus dem Fall Wirecard lässt sich sicher erst ziehen, wenn die Vorgänge genau aufgearbeitet wurden. Aber schon jetzt deuten sich Grundlinien an, die bei einer Überarbeitung der Finanzmarktregulierung berücksichtigt werden sollten:
- Abschied von Leitbild nationaler Finanzmarktchampions
Bei den Abläufen um Wirecard drängt sich der Eindruck auf, der Aufklärungswille wäre nicht besonders groß gewesen. Ein Grund hierfür mag auch das politische Wohlwollen sein, das dem vermeintlich erfolgreichen Fintech Wirecard galt. Schon in der Vergangenheit wurden sinnvolle Ziele der Finanzmarktregulierung – wie beispielsweis ein too big to fail in Zukunft zu verhindern – ausgesetzt, wenn es darum ging, nationale Champions aufzubauen. Zuletzt kam diese Diskussion im Zusammenhang einer möglichen Fusion von Deutscher Bank und Commerzbank auf. Für die Zukunft wäre viel gewonnen, wenn die fragwürdige Idee, die Politik müsste zur Schaffung nationaler Finanzmarktchampions beitragen, ad acta gelegt wird.
- Weniger Detailbürokratie
Als Reaktion auf die Finanzmarktkrise wurden immer kleinteiligere Regeln geschaffen, deren Einhaltung und Überwachung sowohl Banken als auch die Finanzmarktaufsicht auf Trab hält. Richtig zielführend ist die Regelfülle aber anscheinend nicht, zumal sie auch für kleine Institute gilt, die nicht die Finanzmarktstabilität gefährden. Stattdessen sollten wir auf wenige allgemeine Regeln setzen wie beispielsweise eine hohe Leverage Ratio (das Verhältnis von Eigenkapital zur Bilanzsumme) oder die Pflicht, auch Staatsanleihen mit Eigenkapital zu unterlegen. Eine agile Aufsicht würde sich dann nicht im Klein-Klein verlieren, sondern könnte bei Verdachtsfällen schnell handeln.
- Bessere Anreize für Wirtschaftsprüfer
Wie auch schon bei vergangenen Bilanzskandalen drängt sich auch im Fall Wirecard erneut der Eindruck auf, dass die Anreize für die Arbeit der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften falsch gesetzt sind. Dieses Defizit sollte unbedingt behoben werden. Mögliche Elemente einer solchen Reform könnten die Trennung von Prüfungs- und Beratungsgeschäft sein oder auch eine Pflicht zum regelmäßigen Wechsel der Prüfungsgesellschaft.