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Menschenrechte
Zwischen Sport und Politik: Warum IOC und FIFA auf Autokratien setzen

T-Shirt-Aktion der deutschen Fußballnationalmannschaft beim WM-Qualifikationsspiel zwischen Deutschland und Island am 25. März 2021 in Duisburg

T-Shirt-Aktion der deutschen Fußballnationalmannschaft beim WM-Qualifikationsspiel zwischen Deutschland und Island am 25. März 2021 in Duisburg.

© picture alliance / GES/Marvin Ibo Güngör | Marvin Ibo Güngör

FNF: Sportveranstaltungen in Ländern wie China, Russland und Katar statt, die in ihrem Umgang mit Menschenrechten und der Meinungsfreiheit absolut umstritten sind. Was bewegt das IOC und die Fifa, ausgerechnet in Diktaturen und Oligarchien Olympische Spiele oder Weltmeisterschaften abzuhalten??

Anne Brasseur: Das Problem liegt unter anderem daran, dass es in westlichen Demokratien immer weniger Bewerberländer gibt. Oft ist die Bevölkerung dagegen und auch die Finanzierung ist schwierig, weil inzwischen die Gigantomanie vorherrscht. Sowohl bei den Olympischen Spielen als auch bei Weltmeisterschaften,besonders im Fußball, hat das Ausmaße angenommen, die sich kaum eine Stadt oder ein Land überhaupt noch leisten können. Und dann sind diese Autokratien natürlich gute Kandidaten, weil sie oft viel Geld haben und sich leisten können, das auch auszurichten.So eine WM ist einfach eine tolle Imagepflege. Es geht ja nicht um den Sport primär, sondern um die Ausstrahlung des Sports.Das hat man ja bei der Fußball-WM in Katar oder auch bei den Olympischen Spielen in Peking oder in Sotschi sehr gut gesehen.

Widerspricht das nicht der olympischen Charta und den Erklärungen der Fifa, die sagen, wie wichtig im Sport Menschenrechte, Gleichheit und Freiheit sind? Und Funktionäre wie Gianni Infantino oder Thomas Bach brüsten sich dann damit, dass sie mit ihren Events in Ländern wie Katar oder China Demokratisierungsprozesse einleiten.

Die Olympische Charta weist wirklich ausdrücklich auf die Menschenrechte hin, aber die Realität sieht anders aus. Ein Beispiel:Ich habe vor den Europäischen Spielen 2015 in Aserbaidschan mit den Verantwortlichen vom IOC und den Europäischen Olympischen Komitees gesprochen, und sie gebeten, dass dabei auch auf die schwierige Menschenrechtssituation im Land aufmerksam gemacht werden soll. Der damalige Präsident des EOC, Patrick Hickey, sagte mir im persönlichen Gespräch, dass er das tun würde. Doch bei der Eröffnungsrede fiel kein einziges Wort darüber. Für mich war und ist mehr als enttäuschend, weil es für mich beim Sport nicht nur darum geht, wer mehr Tore erzielt oder schneller läuft. Es geht auch um eine Gesamthaltung, um die Werte des Sports und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft,um Fair Play und Respekt gegenüber den anderen.

Sportlerinnen und Sportler in Aktion während der Eröffnungsfeier der Ersten Europäischen Spiele in Baku, Aserbaidschan, 12. Juni 2015.

Sportlerinnen und Sportler in Aktion während der Eröffnungsfeier der Ersten Europäischen Spiele in Baku, Aserbaidschan, 12. Juni 2015.

© picture alliance / dpa | Vassil Donev

Das betrifft auch die Fans, gerade beim Fußball?

Die UEFA hat ja auch ein Programm zum Thema Respekt entwickelt, das ist begrüßenswert. Aber das reicht einfach nicht. Wenn einige Zuschauer Spieler beschimpfen, wegen ihrer Hautfarbe, wegen ihrer Herkunft, muss dem Einhalt geboten werden. In der Bundesliga oder der Premiere League wurde auch eingeschritten, das muss auch unbedingt passieren. Aber das muss in den kleinen Vereinen schon anfangen.

In den vergangenen Monaten gab es Vorfälle, dass bei Spielen jüdischer Vereine auch antisemitische Äußerungen wegen des Gaza Krieges fielen. Wie bringt man Schiedsrichter und Trainer dazu, solche Dinge zu sehen und die Maßnahmen dagegen zu unterstützen?

Rassismus hat nirgends Platz und besonders im Sport nicht, ob im Kleinen oder Großen. Es gibt inzwischen Handbücher und Aufklärungsmaterial für die Trainerinnen und Trainer, aber das allein genügt nicht. Die internationalen Organisationen müssten eigentlich mit gutem Beispiel vorangehen und sich bei Themen wie Antirassismus und Menschenrechte zusammenschließen. Aber allein die gut gemeinten gelegentlichen Statements von Herrn Bach, Herrn Infantino oder von Herrn Čeferin reichen eben nicht aus. Im professionellen Fußball fließt zum Beispiel viel Geld, aber es kommt nicht genug bei den kleinen Vereinen an, aber genau dort muss man in die Bildungsarbeit investieren.

Aber hat sich der kommerzielle Sport nicht längst zu weit von der Basis entfernt?

Leider ja. Ich frage mich wirklich, wo dieser Gigantismus und das viele Geld, das da im Umlauf ist, hinführen. Der erste Satz in meinem Bericht für den Europarat („Good Football Governance“, 24.1.2018) war: „Zu wenig Geld schadet dem Fußball, zu viel Geld macht den Fußball kaputt.“ Und das gilt meines Erachtens allgemein für den Sport.

Ist denn der Einfluss von IOC und Fifa auf die austragenden Länder von Großveranstaltungen wirklich so gering? Es gibt immer noch Funktionäre, die sagen, Politik und Sport haben doch nichts miteinander zu tun.

Die politische Neutralität muss natürlich gewahrt werden. Aber leider ist es so, dass verschiedene Regime versuchen, den Sport zu nutzen oder gar zu missbrauchen, um politischen Erfolg zu haben. Eine Weltmeisterschaft oder Olympische Spiel sind wirklich auch Kapital für den Wahlkampf und für das Image der Regierung, finanziert auf Kosten der Steuerzahler. Allein deshalb hat Politik mit Sport zu tun. Schauen Sie sich die Infrastruktur an, die dafür geschaffen werden muss, die neuen Stadien, die Straßen und Transportmittel, die dorthin führen, die Sicherheitsmaßnahmen durch Ordnungskräfte und Polizei im öffentlichen Raum. Das alles kostet Geld und das zahlt der Steuerzahler. Die Politiker im Land müssen das verantworten.

Ist das öffentliche Bewusstsein gewachsen, was Menschenrechte betrifft?

Ich glaube, durch die sozialen Medien sind die Menschen heute besser vernetzt, es gibt eine größere Aufmerksamkeit für Ungerechtigkeit. Das ist ja auch zu begrüßen. Aber ich hoffe, dass alle die, die auf das Thema aufmerksam werden, sich auch gegen jede Diskriminierung stellen. Deshalb finde ich es toll, dass in Deutschland so viele Menschen gegen Ausgrenzung und Rassismus auf die Straße gegangen sind und das hoffentlich auch noch weiter tun. Auch hoffe ich, dass die Menschen dann auch bei sich zu Hause im kleinen Verein Druck auf die Politik machen, damit Sport etwas Inklusives wird. Ausgrenzung hat nicht nur nicht nur mit Rasse zu tun oder Herkunftsland, Sport sollte auch für Leute mit einer Behinderung zugänglich sein. Großveranstaltungen wie die Paralympics erzeugen zwar Aufmerksamkeit, aber nur wenige können daran teilnehmen, da es sich um Profisport handelt. Aber in den einzelnen Ländern und Städten muss erheblich mehr für den Behindertensport gemacht werden.

Freuen Sie sich auf die Europameisterschaft in Deutschland und die Olympischen Spiele in Paris?

Also ich würde mir wünschen, dass die jeweiligen Veranstalter, auch schon im Vorfeld, wirklich darauf aufmerksam machen, dass es nicht nur um Ergebnisse geht. Dass der Sport viel mehr ist und eben auch substanzielle Werte wie Fairness und Menschenrechte vermittelt. Dazu gehört auch, dass man als Sportler, als Funktionär, aber auch als Zuschauer diese Werte mit Leben füllen sollte. Er wäre wirklich wünschenswert und eigentlich unabdingbar, die Olympische Charta wieder mehr in Erinnerung zu rufen, gerade in den Medien. Bei der Verteidigung der Menschenrechte ist ein jeder von uns gefordert. Die Sportler und die Sportveranstalter müssen dabei ein Vorbild sein.

Anne Brasseur, geboren 1950, ist eine luxemburgische Politikerin (DP). Bis Januar 2016 war sie Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung des Europarats. Von 1999 bis 2004 war sie Ministerin für Erziehung, Berufsausbildung und Sport. Von 2016 – 2018 war sie die Botschafterin des Europarates des No Hate Speech Movements. Seit dem 16. September 2022 ist sie Mitglied des Vorstands der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.