Digital Services Act
Ein ungefilterter Blick
20 Internetjahre sind wie gefühlte 40 Menschenjahre - so rasant ist die technologische Entwicklung. Umso erstaunlicher ist, dass die europäische E-Commerce-Richtlinie seit mehr als 20 Jahren Bestand hat. Eine gefühlte Ewigkeit. Eine Reform ist längst überfällig. Vor 20 Jahren gab es weder die Plattformisierung jeglicher Geschäftstätigkeit, noch waren soziale Medien an der Tagesordnung. Facebook, Twitter und Co. wurden erst Jahre später gegründet.
Die großen Erwartungen an die Nachfolgeregelung zur E-Commerce-Richtlinie sind einer der Gründe, warum der Digital Services Act (DSA) so oft als "Grundgesetz für das digitale Zeitalter" bezeichnet wird. Dabei ist es gut, dass der DSA nicht alles neu erfindet. Die alte Regel, dass Plattformen nur dann für Inhalte haften, wenn sie von deren Existenz und Schädlichkeit wissen und nichts unternehmen, ist auch heute noch eine gute Leitlinie.
Erfreulich ist, dass der DSA einen deutlichen Fokus auf Grundrechte setzt. Auch nach vielen emotionalen Debatten zum Verbreiten von Raubkopien, Terrorinhalten oder Missbrauchsdarstellungen hat Europa seinen rechtsstaatlichen Kompass nicht verloren. Allgemeine Überwachungspflichten, die Plattformen das prophylaktische Scannen und Filtern von Inhalten vorschreiben würden, sind im DSA nicht enthalten.
Aber vor falschen Illusionen muss gewarnt werden. Das Internet wird feinmaschig gefiltert. Automatisierte Systeme zum Moderieren von Inhalten werden von Plattformen freiwillig massenhaft eingesetzt. Deswegen ist es sehr zu begrüßen, dass der DSA den Plattformen die Bindung an Grundrechte - wie Meinungs-, Informations- und Diskriminierungsfreiheit - nun explizit aufgibt. Sowohl die Risikoabschätzungen, die Plattformen in Bezug auf Grundrechte der Nutzer vornehmen müssen, als auch die Transparenzberichte zu ihrem Moderationsverhalten müssen intensiv beobachtet und kontrolliert werden. Erfüllen sie nicht die Erwartungen, muss zeitnah nachjustiert werden. Nicht erst in 20 weiteren Internetjahren.
Die Kolumne erschien erstmalig am 22. Februar im Handelsblatt.