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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Ukraine
Ende der Ignoranz? Bundestag erkennt Holodomor als Völkermord an

Bis heute sind die Verbrechen Stalins vor 90 Jahren in der Ukraine einer breiteren Öffentlichkeit kaum bekannt. Mit der Resolution des Bundestags ändert sich das.
Der Bundestag gedenkt in seiner Sitzung dem Holodomor in der Ukraine.

Der Bundestag gedenkt in seiner Sitzung dem Holodomor in der Ukraine.

© picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Der Holodomor war bisher in Deutschland kaum bekannt. Das muss sich ändern - mit der Resolution des Bundestags. In dieser Woche hat das deutsche Parlament den Holodomor als Völkermord anerkannt. Eine wichtige Entscheidung. Sie kam mit den Stimmen der Regierungsparteien SPD, FDP und Grüne sowie der oppositionellen Unionsfraktion zustande. Linke und AfD enthielten sich.

Das Meinungsbild, das sich dabei zeigt, überrascht nicht: Die russlandfreundlichen Parteien am rechten und linken Rand des politischen Spektrums weigern sich, die von Stalin gezielt initiierte Hungersnot in der Ukraine der frühen Dreißigerjahre in ihrer ganzen humanitären Tragweite beim Namen zu nennen. Bei der AfD spielt dabei wohl ihre aktuelle Putin-freundliche Grundausrichtung die entscheidende Rolle, bei der Linken dagegen deren stetes Bemühen, das kommunistische Regime Stalins vor einem Vergleich mit Hitlers Nationalsozialismus zu bewahren, wie Gregor Gysi in der Bundestagsdebatte deutlich machte. Auch wenn Millionen Menschen dem Holodomor zum Opfer fielen - die Schätzungen gehen von 2,4 bis 7,5 Millionen, weigern sich AfD und Linke, den Begriff „Völkermord“ zu verwenden.

Barbarischer Akt der Inhumanität

Tatsächlich kann man sich akademisch über Begriffe streiten. Und das geschieht auch: Es geht dabei um die Frage, ob beim Holodomor der juristische Tatbestand eines Völkermords erfüllt wurde, weil nicht ganz klar ist, ob Stalin die Vernichtung „eines“ Volkes der Ukrainer avisierte oder die Beseitigung einer (volksübergreifenden) Klasse, der Bauernschaft, im Auge hatte. Dieser Streit mag akademisch berechtigt sein; er ist aber in erschreckender Weise unpolitisch, geht es doch in jedem Fall um einen barbarischen Akt der Inhumanität, der zumindest genizodalen, also völkermordähnlichen Charakter hat.

Zum Urteil über das Ausmaß der Niedertracht des Stalin-Regimes trägt jedenfalls der Holodomor einen wesentlichen Baustein bei, übrigens auch ohne jeden Vergleich mit der Nazi-Terror und dem Holocaust. Und er liefert ein wesentliches Element zum Verständnis der heutigen ukrainischen Haltung gegenüber Russland, die tief geprägt ist von der Erinnerung an den Holodomor, für den das Putin-Regime niemals auch nur irgendeine Verantwortung Russlands (als Nachfolgestaat der Sowjetunion) signalisiert hat, ganz zu schweigen von einem Wort des Bedauerns.

Bundestagsbeschluss mit politischer Bedeutung

Genau da liegt auch die aktuelle politische Bedeutung des Bundestagsbeschlusses. Er macht deutlich: Wir, die Deutschen, nehmen die ukrainische Geschichte endlich ernst. Dies ist auch dringend nötig, weil die Kenntnis des Holodomor in Deutschland auf einem extrem niedrigen Stand ist. Wer hat schon die Veröffentlichungen dazu von US-amerikanischen Historikern wie Ann Applebaum und Timothy Snyder gelesen? Außer ein paar Spezialisten für mittel- und osteuropäische Geschichte kennt kaum jemand die mörderischen Fakten der Hungersnot bis hin zu den fürchterlichen Details des aus der schlimmsten Not entstandenen Kannibalismus.

Es wird höchste Zeit, dass sich dies ändert. Dazu könnte der Bundestagsbeschluss einen Anstoß geben. Die Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts muss endlich in ihrer ganzen Tragweite dargestellt und diskutiert werden. Dazu zählt selbstverständlich unverändert die Beschäftigung mit dem grausamen Nationalsozialismus und dem Holocaust, aber eben auch die Kenntnis der Verbrechen des Stalinismus. Ignoranz hilft nicht weiter. Wer die Geschichte und Politik Mittel- und Osteuropas verstehen will, der kommt an diesen Themen nicht vorbei.