RE:START21
Europa braucht Innovation, Wettbewerb und Verbrauchersouveränität
Der europäische Binnenmarkt ist ein historischer Erfolg der politischen und wirtschaftlichen Integration der EU. Seine Stärke und Innovationsfähigkeit ist entscheidend für den Erfolg Europas im globalen Wettbewerb und bei der Verhandlung von Freihandelsabkommen. Vor allem erlaubt der Binnenmarkt den Unionsbürgerinnen und -bürgern, einfacher in Kontakt zueinander zu treten, einander zu verstehen und ein Leben in Wohlstand aufzubauen.
Die Covid-19-Pandemie zeigt, wie brüchig das Versprechen auf Wohlstand für alle sein kann. Um bestmöglich auf interne und externe Schocks reagieren zu können, braucht Europa eine nachhaltige Wiederbelebung des Wachstums. Hierfür muss die EU die richtigen politischen Rahmenbedingungen setzen, um auch in Zukunft global wettbewerbsfähig zu sein. Es bedarf dabei einerseits der Revitalisierung der vier Binnenmarktfreiheiten und anderseits der Konzentration auf europäische Zukunftsprojekte.
Wachstumskräfte frei entfalten
Wir wollen, dass Menschen, Güter, Dienstleistungen und Kapital ihre Wachstumskräfte frei im Binnenmarkt entfalten können. Diskriminierungen und Beschränkungen müssen abgebaut, bürokratische Anforderungen verringert und smart organisiert werden. Das gilt ganz besonders bei der Arbeitnehmerentsendung und dem grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr. Hier zeigt sich wie im Brennglas, ob europäische Politik in der Konzeptionierung der europäischen Institutionen und/oder in der Umsetzung vor Ort versagt oder funktioniert.
Wir wissen, dass Europa in ganz besonderem Maße ein Kontinent der erfolgreichen, weltweit vernetzten, familiengeführten Unternehmen ist. Der „Mittelstand“ ist dabei nicht nur eine deutsche Marke, sondern mit knapp über 20 Millionen Kleiner und Mittlerer Unternehmen fest in den Mittelschichten Europas verankert. Gerade deshalb darf die EU kein Industriemuseum werden, sondern muss kreativ und entschlossen Innovationen in allen Wirtschaftsbereichen offenstehen und diese fördern.
Wir möchten europäische Digital-Freiheitszonen („Sandboxes“) aufbauen. Länder wie Taiwan haben mit Wirtschaftszonen, in denen durch Experimentierräume und Öffnungsklauseln günstige wirtschaftliche Rahmenbedingungen für die Gründung und Ansiedlung junger, forschungsintensiver Start-ups und Unternehmen geschaffen werden, sehr gute Erfahrungen gemacht.
Innovation fördern
Wir wollen Innovation in der EU fördern, indem wir eine Europäische Agentur für Sprunginnovationen gründen, die hellen Köpfen aus aller Welt die Möglichkeit gibt, an radikalen Innovationen von Prozessen und Produkten zu arbeiten. Zentral ist dabei eine lebendige Netzwerkstruktur aus universitärem Umfeld, Startups und Großunternehmen ist. Wenn hier ein steter Austausch von Köpfen und Ideen besteht, können die Ideen die Labore verlassen und zu marktgängigen Produkten, auch in großem Maßstab, werden. Darum geht es letztlich: Denn wenn die Idee zum Produkt wird, entstehen Arbeitsplätze, Konsumenten können ihre Bedürfnisse befriedigen und Probleme werden gelöst. Eine Europäische Agentur für Sprunginnovationen soll genau dieses Umfeld schaffen, in dem europäische Innovations-Hotspots gedeihen. Dazu gehören auch finanzielle Anreize: Um Innovationen in Europa zu fördern, braucht es Wagniskapital. Nach Angaben der Europäischen Kommission investierten Risikokapitalgeber im Jahr 2016 nur 6,5 Mrd. Euro in europäische Start-ups, verglichen mit 39,4 Mrd. Euro in den Vereinigten Staaten. Institutionen wie der European Innovation Council können dazu beitragen, Hindernisse zu beseitigen, die es Gründern derzeit schwieriger machen, Geld für die Umsetzung ihrer innovativen Ideen in erfolgreiche Produkte aufzubringen. Die neuen Produkte, die wir für eine nachhaltige und digitale Zukunft brauchen, können mit vereinfachtem Zugang zu Kapital schneller Verbraucher und Unternehmen in ganz Europa erreichen. Den Einsatz von Wagniskapital durch einen Europäischen Wagnisfonds kann die EU mit Beteiligungen an erfolgreichen Gründungen versilbern und Gewinne reinvestieren oder die Haushaltsbeiträge der Mitgliedsstaaten reduzieren.
Die Marktwirtschaft durch freien Wettbewerb entfalten
Wettbewerb steht im Zentrum der Marktwirtschaft. Wettbewerb bedeutet, dass Unternehmen keine andere Wahl haben, als innovativ zu bleiben, wenn sie mit der Konkurrenz mithalten wollen. Indem wir mehr Ideen die Chance geben, auf den Markt zu gelangen, haben wir eine bessere Chance, die Innovationen zu finden, die das Leben der Menschen verändern und den Wohlstand sichern. Wettbewerb heißt jedoch nicht, dass Unternehmen niemals zusammenarbeiten sollten. Die europäischen Unternehmen verfügen über riesige Datenmengen, die nicht optimal genutzt werden, weil sie entweder verstreut oder zentralisiert sind. Die Zusammenführung und gemeinsame Nutzung dieser Daten kann helfen, bessere Produkte zu entwickeln und erfolgreicher im Wettbewerb zu bestehen. Die Datennutzung und -zusammenführung birgt ein großes Potenzial. Dazu bedarf es einheitlicher Wettbewerbsregeln, die festlegen, welche Arten des Datenaustauschs gut für den Wettbewerb sind und welche roten Linien nicht überschritten werden können. Gemeinsam mit der europäischen Speicherung von Daten wird so die Grundlage für digitale Sicherheit und Stabilität geschaffen, damit in Europa ein konkurrenzfähiger digitaler Wachstumsmarkt entsteht, der die Größenvorteile eines wirklich einheitlichen Marktes von knapp 500 Mio. EU-Bürgerinnen und -Bürgern nutzt. Die EU muss die Möglichkeit für Tech-Giganten „Made in Europe“ schaffen.
Märkte funktionieren, wenn Nutzer mit den Füßen abstimmen können. Nur wenn Kunden bei steigenden Preisen, sinkender Qualität oder fehlender Innovation den Anbieter wechseln können, liegt ein kompetitives Marktumfeld vor. Digitale Märkte tendieren oft zu natürlichen Monopolen aufgrund von Netzwerkeffekten. Monopolrenditen sind zu verhindern und den Bürgerinnen und Bürgern eine echte Wahl zu garantieren. Start-ups haben dann die besten Chancen zu wachsen, wenn sie die großen Plattformen für ihr eigenes Wachstum diskriminierungsfrei nutzen können. Dies ermöglicht vor allem eine Interoperabilität, die die Regel und nicht die Ausnahme sein sollte. Auch über eine zu gewährleistende Portabilität von Daten können Monopole verhindert werden, damit Bürgerinnen und Bürger eine wirkliche Wahl zwischen einzelnen Diensten und Anbietern haben.
Fairness bedeutet, dass alle Unternehmen – auch und gerade große internationale Digitalunternehmen – ihren Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten. Nur weil große und mittelständische Unternehmen ein datenbasiertes Geschäftsmodell haben und die digitale Transformation vorantreiben, dürfen sie aber nicht mit höheren Steuern belastet werden. Ein Konzept zur fairen Besteuerung von Digitalunternehmen wird idealerweise im Rahmen der laufenden OECD-Verhandlungen gefunden. Wir wollen klare internationale Regeln für einen fairen Steuerwettbewerb, aber keine Bestrafung innovativer Unternehmen. Verschiedene Regelungen in den EU-Mitgliedsstaaten sind unbedingt zu vermeiden. Hier kann die DSGVO als erfolgreiches Beispiel dienen, das einem Flickenteppich vorbeugt und gleiche Kriterien für alle („level playing field“) schafft.
Liberale setzen sich für funktionierende Märkte und nicht für den Erfolg einzelner Unternehmen ein. Der einzelne Verbraucher steht im Mittelpunkt. Die Digitalisierung hat gezeigt, dass nicht nur neue Märkte entstehen, sondern auch eine Neudefinition erfolgen muss, was einen Markt konstituiert. Das europäische Wettbewerbs- und Kartellrecht muss so gefasst werden, dass es den digitalen Wachstumsmarkt Europa entfesseln kann. Es bedarf eines regulatorischen Rahmens, der die spezifischen Gefahren für den Wettbewerb durch große Plattformen zielgenau erfasst, z. B. durch ein Verbot der Bevorzugung eigener Angebote oder klare Vorgaben für die Nutzung von Daten über das Verhalten von Kunden. Das Wettbewerbsrecht muss dahingehend modernisiert werden, dass es dem Wert von Daten bei der Beurteilung der Marktmacht von Unternehmen eine größere Bedeutung beimisst.
Das gilt auch für den online Dienstleistungsmarkt und für die Verantwortung der Plattformbetreiber im Umgang mit Hass, Hetze, Lügen, Fakes und Diffamierung in den sozialen Medien. Der von der EU-Kommission vorgelegte Digital Service Act soll einheitliche rechtliche Grundlagen schaffen und unter anderem die Rechte der Nutzer wie auch die Kontrolle der Gatekeeper verbessern. Das wird dringend gebraucht.