TikTok
Timeout für TikTok?
TikTok ist seit Monaten Gegenstand politischer Debatten. Immer mehr Regierungen führen Verbote der App auf den Diensthandys ihrer Mitarbeitenden ein. Der US-Bundesstaat Montana ist nun mit einem Gesetz vorgeprescht, welches eine Sperrung der App in App-Stores vorsieht. Im US-Kongress wurde besprochen, ob die App gänzlich verboten werden soll. Im März sagte Shou Zi Chew, der CEO von TikTok, bereits in einem congressional hearing aus. Warum das ganze Interesse an TikTok? Zum einen geht es um Datenschutz. Die nationale Sicherheit ist das andere.
TikTok und der Datenschutz
Fragwürdig ist die Datensicherheit der Nutzerinnen und Nutzer. TikTok gehört dem Mutterkonzern Bytedance an. Dieser ist formal zwar auf den US-amerikanischen Cayman Islands gemeldet, die internationale Zentrale liegt in Singapur, wichtigster Firmensitz ist jedoch in Peking, China. TikTok betont, keine chinesische Firma zu sein. Die Strukturen sind jedoch undurchsichtig und machen einen etwaigen Datenfluss nach China kaum nachvollziehbar.
Eine Gefahr sieht der US-Kongress darin, dass ByteDance von der chinesischen Regierung gezwungen werden könnte, US-Bürgerinnen und Bürger zu überwachen. Die Sorge ist nicht ganz unberechtigt: Bytedance musste nach einem internen Email-Leak Ende Dezember 2022 zugeben, dass Angestellte in den USA und China auf personenbezogene Daten von US-Bürgerinnen und Bürgern zugegriffen hatten. Unter anderem waren IP-Adressen von Journalistinnen betroffen, die kritisch über TikTok berichteten. Mögliche Whistlelblower sollten so im eigenen Unternehmen aufgedeckt werden. TikTok hat nach Bekanntwerden dieses Falles Konsequenzen gezogen: Die zuständigen Mitarbeitenden wurden entlassen. Aber auch die Sicherung der Daten von anderen Nutzerinnen und Nutzern lässt zu wünschen übrig. So hatten TikTok Mitarbeitende Zugriff auf Listen mit Nutzern, welche LGBTIQ-Content konsumiert haben. Zugriff auf diese besonders sensiblen Daten ist vor allem gefährlich in Ländern, in welchen LGBTIQ-Rechte nicht geschützt sind. Auch hier reagierte TikTok: Die Listen wurden umbenannt und sind nur noch für eine eingeschränkte Zahl an Mitarbeitenden zugänglich. Dennoch, der Umgang mit Nutzerdaten hinterlässt den Eindruck, dass im Unternehmen Datensicherheit nicht prioritär behandelt wird.
TikTok speichert Daten zudem in den USA noch auf Servern von dem chinesischen Unternehmen Inspur, welches laut dem Pentagon vom chinesischen Militär kontrolliert wird und auf der US Sanktionsliste ist. Das heißt nicht, dass TikTok sich dabei fundamental von anderen Unternehmen unterscheidet. Auch Microsoft, IBM und Intel haben zum Beispiel mit Inspur gearbeitet. Genauso ist schlechter Umgang mit persönlichen Daten nicht auf TikTok beschränkt (man schaue auf Metas Milliardenstrafe wegen des Verstoßes gegen EU-Datenschutzregeln). Was es aber unterscheidet, ist die Sorge vor einem Zugriff auf und das Sammeln von Daten im Auftrag chinesischer Behörden. In seiner Anhörung vor dem Kongress sagte Chew, TikTok habe niemals Daten von US-Nutzern an die chinesische Regierung weitergegeben oder eine Aufforderung zur Weitergabe erhalten. Auch würde TikTok einer solchen Anfrage nicht nachkommen, sollte sie jemals gestellt werden. Doch Expertinnen und Experten fürchten, dass Bytedance an Chinas Nationale Sicherheitsgesetz von 2017 gebunden ist. Diese verpflichtet Unternehmen in bestimmen Fällen personenbezogenen Daten zu übermitteln, die für die nationale Sicherheit des Landes relevant sind. In einem Schriftsatz im Rahmen eines arbeitsrechtlichen Verfahrens in San Francisco wird TikTok beschuldigt, Beamten der Kommunistischen Partei einen "Superuser"-Zugang gegeben zu haben. Dieser ermöglichte ihnen angeblich uneingeschränkten Zugang zu Nutzerdaten, welche sie zur Überwachung von Aktivisten und Demonstrantinnen in Hong Kong genutzt haben sollen. Sollte sich das als wahr herausstellen, wäre es ein neuer Tiefpunkt sowohl für das Unternehmen als auch die kommunistische Partei.
Die For You Page – ein Einfalltor für Manipulation?
TikTok wird auch als Gefahr für die nationale Sicherheit gesehen. Konkret soll die Plattform Einfalltor für die Manipulation von Informationen und Einmischung aus dem Ausland sein. Bekannt ist, dass TikTok zumindest in der Vergangenheit Pekings Wünschen nachkam. Themen, welche die Kommunistische Partei nicht gerne diskutiert sieht (wie etwa Tibets Unabhängigkeit, das Tiananmen Massaker oder Falun Gong), wurden zensiert. Aktuell bestreitet TikTok eine solche Zensur: Chew sagte unter Eid aus, dass man heute auch Videos zum Tiananmen Massaker finden könnte. Und doch besteht die Sorge, dass TikTok zu viel Einfluss auf Diskussionen ausüben kann. Dass TikTok stärker darauf achtet als andere Plattformen mit dem Content auf seiner Plattform gute Stimmung bei den Nutzenden zu erzeugen, ist kein Geheimnis. Im ersten Satz der eigenen Community Guidelines bekräftigt TikTok seine Mission „Freude zu bereiten“. An anderer Stelle bezeichnet sich TikTok selbst als „safe space“. Da passen schwere Themen eher nicht ins Bild. Laut Recherchen von Forbes gibt es die Option, manuell Inhalte verstärkt oder vermindert bei Nutzerinnen und Nutzer anzeigen zu lassen. Sollte der chinesischen Staat Einfluss auf Entscheidungen des Unternehmens oder konkret diese Funktion haben, könnte er Narrative gezielt pushen oder die Reichweite von ungewünschten Themen limitieren. Gerade seit Russlands völkerrechtswidrigem Angriffskriegs gegen die Ukraine lässt sich verstärkt beobachten, wie China anti-westliche Propaganda und Narrative streut. Ein Missbrauch TikToks für gezielte Einflussnahme ist also keinesfalls unvorstellbar.
Zudem verleitet TikTok allein durch seine Remix-Kultur dazu, manipulierte Bilder und Clips zu verbreiten, weil die Nutzerinnen und Nutzer dazu animiert werden, auf die Inhalte anderer User zu reagieren und mit ihnen zu interagieren. Mit stetig besser werdenden KI-Anwendungen kann eine Flut von synthetischen und manipulierten Beiträgen die Erosion von Vertrauen in Medien beschleunigen. Die Grenzen zwischen Satire und Misinformation verwischen dabei. Schon jetzt ist es besonders leicht, sich bei TikTok in Narrativen oder Verschwörungsmythen komplett zu verlieren und dabei in sogenannte „rabbit holes“ zu geraten. Die New York Times berichtet von Experimenten der Advocacy Group SumOfUs in denen neuen Konten, nachdem sie einige weitverbreitete Videos über Zweifel am Wahlsystem in den USA angesehen hatten, nach bereits einer Stunde QAnon-Verschwörungen, rechtsextreme Inhalte und Falschinformationen zu Covid-19 empfohlen wurden. Ähnliche Erfahrungen mit TikToks „rabbit holes“ haben auch Forschende des The Global Network on Extremism and Technology gemacht. Auch nach der russischen Invasion in der Ukraine wurden Usern, die nur dem allgemein vorgebenden Algorithmus der For You Seite folgten, neben Nachrichten über den Krieg auch ungekennzeichnete Falschinformationen und Desinformationen angezeigt. Das Suchtpotential TikToks und immer besser manipulierte Medien machen es für Konsumenten immer schwieriger, zwischen Wahrheit und Fiktion zu unterscheiden – auch das ist eine Gefahr für den demokratischen Diskurs.
Ein TikTok Ban als Lösung?
Ein Verbot TikToks ist eine immer beliebtere Antwort auf diese Sorgen. Die Nutzung auf Diensthandys wurde bereits Angestellten des Europäischen Parlaments und der Kommission verboten. In Montana soll die App nun ganz aus dem App-Store gelöscht werden. Noch könnte sich diese Sperre technisch leicht mit einem VPN-Tunnel umgehen lassen, aber auch auf Bundesebene steht ein TikTok-Verbot auf der Agenda. Das wäre insoweit bemerkenswert, weil es in den USA seit Jahren keine Einigung für eine Regulierung auf Bundesebene im Tech-Bereich gab. Ein nationales Datenschutzgesetz könnte wahrscheinlich mehr zum allgemeinen Schutz vor Missbrauch von Daten beitragen als ein punktuelles Vorgehen gegen TikTok. Das würde allerdings nicht das Problem lösen, dass die App weiterhin faktisch einer chinesischen Firma gehört. Wie ein Gesetz zum Verbot aussehen könnte, ist noch unklar. Der ehemalige US-Präsident Donald Trump ist seinerzeit mit einem solchen Verbot gescheitert. Es zeigt sich aber, dass der Systemkonflikt mit China Republikaner und Demokraten in einem Feld, welches sonst von fundamentalen Differenzen geprägt ist, zusammenbringt. Ein Ban von TikTok wäre in jedem Fall eine neue Eskalationsstufe zwischen den USA und China.
Weder in Deutschland noch in der EU wird aktuell eine ernsthafte Debatte über ein allgemeines TikTok-Verbot geführt. Mit einer strengen Datenschutzverordnung und dem Digital Services Act (DSA), der bald in den Mitgliedstaaten Anwendung findet, ist die EU jedoch um einiges besser aufgestellt als die USA. Der DSA verpflichtet Plattformbetreiber zu wesentlich mehr Transparenz. So müssen ab September große Plattformen ihre Inhalte moderieren und die Moderationsregeln offenlegen. Auch müssen sie gegen die Verbreitung von Desinformation vorgehen, Zugang zu ihren Empfehlungsalgorithmen und weiteren ihrer Daten gewähren. Hält sich eine Plattform nicht daran, drohen hohe Strafen. Ein Nichteinhalten könnte auch den Weg zu einem Verbot in der EU ebnen. Dass der DSA Social Media-Anbieter vom europäischen Markt verdrängen kann, ist nicht unrealistisch. Twitter ist zuletzt aus den dem EU-Verhaltenskodex für Desinformation ausgestiegen, weil es den (noch) freiwilligen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen konnte. Einige Beobachter sehen das als ersten Schritt für ein Verlassen Europas.
Dennoch ist es nicht zu beanstanden, dass Regierungen TikTok im Rahmen von einer Risikoabwägung bereits jetzt auf Diensthandys verbieten. Dass das Unternehmen auf Daten von einzelnen Nutzern zugreift ist bekannt und bei politischen Entscheidungsträgern ist eine potentielle Überwachung dieser Nutzerdaten durch China besonders problematisch.
Das Unternehmen selbst befindet sich seit Monaten in einer Charmeoffensive. In Europa und den USA versucht es Bedenken um Datenschutz und Einflussnahme aus dem Weg zu räumen. Wie man an der aktuellen Debatte sieht, halten sich die Bedenken jedoch hartnäckig.