Ukraine
Liberale Kooperation gegen autoritäre Aggression
Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine verdeutlicht den dringenden Bedarf für mehr Kooperation unter liberalen Demokratien. Demokratische Staaten, die mit autoritärer Aggression konfrontiert sind, brauchen solidarische Unterstützung im Ernstfall und offene Handelswege im Alltag. Ein Bündnis liberaler Demokratien sollte dabei helfen, handelspolitische Schranken abbauen, so einseitige Abhängigkeit von Autokratien reduzieren und rechtsstaatliche Standards für die Weltwirtschaft vorantreiben.
Im Schatten der Pandemiebekämpfung haben die geopolitischen Spannungen zwischen liberalen Demokratien und autoritären Regimen in erheblichen Maße zugenommen. Insbesondere China und Russland versuchen die virusbedingte Vulnerabilität offener Gesellschaften auszunutzen, um strategische Ambitionen regional und global möglichst ungestört voranzubringen. Die de-facto Abschaffung des Prinzips ein Land, zwei Systeme in Hongkong, Chinas Drohgebärden gegenüber Taiwan und auch die aktuelle russische Eskalation an der Grenze zur Ukraine sind als Teil eines zunehmenden Systemwettbewerbs zu sehen. Zwar stellt die Möglichkeit eines russischen Angriffskrieges eine vollkommen neue Dimension dar, doch ursächlich ist vor allem eine Tatsache: Für autoritäre Regime ist bereits die Existenz liberaler Demokratien in der unmittelbaren Nachbarschaft eine Bedrohung für die eigene Herrschaft. Auch deswegen destabilisiert und bedroht Russlands Präsident Vladimir Putin freie Länder, indem er Autokraten in Belarus und Kasachstan unterstützt oder wo immer ein wohlgesonnener Despot, seine Hilfe benötigt. Die Volksrepublik China dagegen setzt die eigene wirtschaftliche Macht ein, um sich Unterstützung in geostrategischen Fragen zu erkaufen oder ganze Volkwirtschaften unter Druck zu setzen.
Autoritäre Aggression
Die Welt wird zunehmend ungemütlicher für liberale Demokratien, vor allem für Demokratien, die nicht bereit sind, sich den Narrativen und Ansprüchen autoritärer Herrscher zu unterwerfen. Für die Ukraine geht es dabei um die territoriale Integrität und wie für so viele Länder in Russlands Nachbarschaft darum, die eigenen Bündnisse selbst zu wählen, für Litauen darum, über den Namen einer Repräsentanz im eigenen Land zu bestimmen und für Australien um die Freiheit Kritik an Menschenrechtsverletzungen zu äußern. China und Russland treten zunehmend aggressiver auf und setzen sowohl Staatsunternehmen als auch regulatorischen Einfluss auf die Privatwirtschaft für ihre geostrategischen Interessen ein. Die Regierungen liberaler Demokratien stellt das vor schwierige Entscheidungen, bei denen nicht selten kurzfristige wirtschaftliche Interesse und demokratische Prinzipien aufeinanderprallen. Um die Welt wieder sicherer für liberale Demokratien zu machen, braucht es daher eine stärkere Kooperation demokratischer Staaten. Dafür eignet sich insbesondere die Handelspolitik. Vorschläge zum Aufbau eines transatlantischen Wirtschaftsraumes, einer Art Handels-NATO, oder der Weiterentwicklung des Handels- und Technologierats der EU und der USA (EU-US TTC) zu einer Handels- und Technologie-NATO gehen dabei in die Richtung. Ähnlich verhält es sich mit einer Freihandelszone für Demokratien, in denen demokratisch, verfasste Staaten mit marktwirtschaftlicher Ordnung sich auf den gegenseitigen Zollabbau sowie gemeinsame Standards verständigen. Im Kern verfolgen alle Initiativen dasselbe wichtige Ziel die jeweilige Wirtschaft durch freien Handel untereinander zu stärken und die Abwehrkräfte demokratischer Staaten durch wirtschaftliche Zusammenarbeit zu stärken.
Freihandel stärkt Unabhängigkeit
Eine engere wirtschaftliche Verflechtung zwischen liberalen Demokratien stärkt den Zusammenhalt untereinander, bereitet die Basis für politische Zusammenarbeit, um der autoritären Bedrohung zu begegnen und ermöglicht dabei auch Sanktionen autoritärer Staaten besser zu kompensieren. Insbesondere bei der Volksrepublik China zeigt sich die Entwicklung, wirtschaftliche Abhängigkeiten auszunutzen, um Kritik an der Menschenrechtssituation im kommunistischen Einparteienstaat oder Unterstützung für das demokratische Taiwan zu unterdrücken. Zuletzt haben Australien und Litauen Sanktionen der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt erfahren müssen. Während Litauen im Konflikt mit Peking auf die Unterstützung anderer Mitgliedsstaaten der Europäischen Union hoffen kann, waren australische Unternehmen angesichts chinesischer Strafzölle von bis zu 212 Prozent auf Wein, Fisch und weitere Produkte auf die solidarischen Abnehmer aus anderen demokratischen Staaten angewiesen. Um diesem Erpressungspotential künftig vorzubeugen, ist ein verstärkter wirtschaftlicher Austausch liberaler Demokratien gefragt. Der gegenseitige Abbau von tarifären und nicht-tarifären Handelshemmnissen kann dabei helfen Handelsströme so umzulenken, dass die Abhängigkeit von Autokraten und damit die Vulnerabilität gegenüber ihrer Aggression verringert wird. Dabei stehen liberale Demokratien vor der Herausforderung, sich vor unfairen Handelspraktiken und staatskapitalistischer Investitionspolitik zu schützen aber gleichzeitig ihre wirtschaftliche Offenheit auch gegenüber weniger wohlmeinenden Staaten aufrechtzuerhalten. So können liberale Demokratien sich zunächst auf belastbare, rechtsstaatliche Standards einigen, den Handel untereinander intensivieren aber ihre Regeln auch zur Basis für multilaterale Abkommen im Rahmen der Welthandelsorganisation zu machen.
Rechtsstaatliche Spielregeln für die Weltwirtschaft
Eine regelbasierte Weltwirtschaftsordnung mit liberalen Standards für neue wie alte Technologie und engere Zusammenarbeit zwischen demokratischen Staaten, um diesen Standards auch Gewicht zu verleihen. Das ist alles andere als einfach und allein zwischen den USA und der EU gibt es veritable Unterschiede in der Regulierung neuer Technologien, doch diese Unterschiede sind verschwindend gering im Vergleich mit den Differenzen zu China und Russland. Der neu eingerichtete Handels- und Technologierat der EU und der USA sollte daher als Basis für eine strategischere Zusammenarbeit bei der Standardsetzung für innovative Technologien und in der Handelspolitik insgesamt dienen. Betrachtet man nämlich Fragen in diesen Bereichen durch die Brille des Systemwettbewerbes, dann sollte die Zusammenarbeit nicht nur einfacher fallen, sondern könnte auch perspektivisch durch weitere transatlantisch-pazifische Formate etwa mit den Teilnehmerstaaten des quatrilateralen Sicherheitsdialogs, auch bekannt als QUAD, Australien, Indien und Japan ergänzt werden. Die Datenschutzgrundverordnung hat bereits gezeigt wie es die Europäische Union durch die Einigung auf gemeinsame Regeln alleine geschafft hat den globalen Schutz von Privatsphäre voranzubringen. Wenn es der EU mit ihrer Marktgröße gelingt Standards zu setzen, lässt sich erahnen, was möglich wäre, wenn eine Freihandelszone liberaler Demokratien oder einer Technologie- und Handels-NATO+ sich auf gemeinsame Standards einigt.
Liberale Kooperation für die Zukunft
Ein Ende der aktuellen Situation ist noch lange nicht absehbar und liberale Demokratien stehen einer hybriden Bedrohung gegenüber, die von Desinformation und der Unterminierung demokratische Prozesse über die geopolitische Ausnutzung wirtschaftlicher Abhängigkeiten sowie den wiederholten Bruch internationalen Rechts bis hin zu andauernden Angriff auf die territoriale Integrität der Ukraine reicht. Angesichts eines drohenden russischen Angriffskrieges mögen die Lieferung von Defensivwaffen an die Ukraine und die Energieversorgungssicherheit Europas im Vordergrund stehen, doch Konflikte zwischen demokratischen Staaten werden zunehmen. Im handelspolitischen Bereich sind engere Kooperationen gefordert und neuer Formate gefragt. Russland und China agieren keineswegs als Einheit, sie stehen an unterschiedlichen Punkten in der globalen Bedeutung und haben Zugriff auf unterschiedliche Instrumente. Sie eint das Vorgehen gegen demokratische Kräfte und die regelbasierte Weltordnung. Umso wichtiger ist es, dass liberale Demokratien den Blick für die autoritäre Bedrohung schärfen und ihr entschiedener entgegentreten. Zeit wird es.