Klimapolitik und Energieversorgung
Ideologische Irrtümer
Wir reden in Deutschland fast täglich über die Herausforderungen der Zukunft. Ganz vorne stehen dabei die Klimapolitik und damit auch die Energieversorgung. Das Ziel einer klimaneutralen Wirtschaft - national, europäisch, global - ist inzwischen weitgehend Konsens. Auch was den Weg dahin betrifft, hatte es in den letzten Jahren den Anschein, dass sich wenigstens die Parteien der erweiterten demokratischen Mitte - CDU, FDP, SPD und Grüne - zunehmend einig waren. Es gilt, die Wirtschaft auf erneuerbare Energien umzustellen.
Ganz grundlegend blieb allerdings ein Unterschied im Urteil darüber, wie stark eine solche Umstellung technologische Vorgaben auf der Seite des Energiekonsums und der Energieproduktion erfordert. Die Pole bildeten dabei FDP und Grüne: Die FDP forderte den Respekt vor der Souveränität der Nachfrager und Konsumenten, die Grünen deren staatliche Steuerung in Richtung ökologischer Nachhaltigkeit; auf der Produktionsseite forderte die FDP Technologieoffenheit, die Grünen u. a. den strikten Ausschluss der Atomkraft.
Bisher störte dieser Dissens nicht sonderlich, auch nicht in der Ampelkoalition. Ein Grund lag im natürlichen Zwang zu Kompromissen, der nun mal herrscht, wenn man gemeinsam regiert. Es lag aber auch an der zeitlichen Entfernung der Ziele und der Nebelhaftigkeit der Mittel, deren präzise Anwendung man noch vor sich herschieben konnte. Mit jedem Jahr, das vergeht, rücken aber die konkreten Instrumente in den Vordergrund, die harte Haushaltsentscheidungen und klare Weichenstellungen verlangen. Hinzu kommen neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die etabliert geltende Rahmenbedingungen ins Wanken bringen.
An beiden Fronten hat sich in allerjüngster Zeit viel getan. Auf der Nachfrageseite geht es vor allem um die Frage, ob die massive Verkürzung von Genehmigungsverfahren für Infrastrukturprojekte, die der Koalitionsvertrag vorsieht, Projekte des Straßen- und Brückenbaus miteinschließt, wie es der FDP-Verkehrsminister Wissing vorsieht, oder ausschließt, wie es die grüne Umweltministerin Lemke fordert. Diese Frage ist von überragender Bedeutung, denn über den miserablen Zustand des Straßen- und Brückennetzes in Deutschland besteht weitgehend Einigkeit. Ein Verzicht auf prioritäre und schnelle Modernisierung würde den Autoverkehr massiv beeinträchtigen, und zwar den privaten PKW-Verkehr genauso wie den kommerziellen Lastverkehr.
Lemkes Forderung der negativen Diskriminierung des Autoverkehrs ist dabei schwer nachvollziehbar. Denn der Weg zum klimafreundlichen Verkehr führt ja keineswegs über den Verzicht auf das Auto, sondern über dessen neuen Antrieb - wahrscheinlich vor allem der Elektromotor, aber möglicherweise auch bei einem kleinen Teil des Fuhrparks die Nutzung synthetischer Brennstoffe. In jedem Fall wird es weiterhin auf Dauer viele Autos geben. Offenbar trauen aber die Grünen ihrem eigenen Weg zur Elektromobilität nicht über den Weg. Sie wollen mehr öffentlichen Nah- und Fernverkehr als Ersatz der individuellen Mobilität.
Genau dies ist aber komplett realitätsfern. Die Ertüchtigung und Verdichtung des Schienennetzes wird Jahrzehnte in Anspruch nehmen, bevor es auch nur annähernd zu einem Fahrgastangebot führen kann, das mit dem Auto konkurrenzfähig ist. Dies gilt natürlich vor allem in den ländlichen Räumen. Möglicherweise scheitert dieses Projekt sogar ganz grundsätzlich. Denn ein Auto ist nun mal eine Art verlängertes Wohnzimmer der persönlichen Lebensgestaltung, individuell zugeschnitten mit komfortablen Sitzen und Unterhaltungsoptionen - vom Radio bis zur persönlichen Musikauswahl, mit Familienbegleitung und bei Hundebesitzern mit Vierbeiner, wenn es in den Urlaub geht. Es wird schwer sein, diese Präferenz für die Qualitäten des Individualverkehrs zu brechen - es sei denn durch harte Verbote mit totalitärem Charakter. Warum auch? Elektroautos schaffen ja die Klimaneutralität, soweit der Strom, der sie antreibt, mit grüner Technologie erzeugt wird. Aber auch sie brauchen eben Straßen zum Fahren.
Fazit: Der grüne Widerstand gegen die Straßeninfrastruktur ist ideologisch motiviert - ein Kampf gegen das Auto, kein Kampf für die Umwelt.
Ganz ähnlich sieht es auf der Angebotsseite der grünen Energie aus. Dort erreichte uns jüngst die Meldung aus den Vereinigten Staaten, dass ein gewaltiger wissenschaftlicher Durchbruch in der Forschung zur Kernfusion erreicht wurde: die Verschmelzung von Wasserstoff zu Helium mit positiver Energiebilanz. Dies würde bedeuten, dass die Kernfusion im Prinzip tatsächlich zu einer sauberen grünen Energie werden könnte, denn sie erzeugt keine Treibhausgase, hinterlässt keinen Atommüll und unterliegt auch nicht dem Risiko eines nuklearen Gaus.
Allerdings braucht es noch viel weitere Forschung, bis die neue Technologie zu einer kommerziell verwertbaren Marktreife geführt werden kann. Ein riesiger globaler Schwarm von Start-ups, die meisten in den USA, wird sich in den nächsten Jahren ans Werk machen, diese Rätsel zu lösen. Risikokapital dazu ist in den USA zuhauf vorhanden, und das nötige Know-how auch. Es ist höchst bedauerlich, dass Deutschland durch seinen Alleingang beim Atomausstieg auch seine Forschungsbasis in diesem Bereich deutlich zurückgefahren hat - von dem Fehlen einer nuklearen Gründerszene ganz zu schweigen.
Fazit: Der grün motivierte Verzicht auf Technologieoffenheit droht auf der Produktionsseite der Energie einen nachhaltigen Kollateralschaden zu hinterlassen. Es könnte sein, dass ausgerechnet Deutschland, eines der Mutterländer der Nuklearphysik, in einigen Jahrzehnten bei einer neuen revolutionären Atomtechnologie mit leeren Händen dasteht.
Es ist deshalb höchste Zeit umzusteuern. Wie das konkret aussehen kann, wäre politisch zu diskutieren. Natürlich darf es keinen Rückweg zur alten Atomkraft-Technologie geben. Aber die Tür muss offen gehalten werden für eine substanzielle öffentliche Forschung in internationaler Kooperation, die verhindert, dass Deutschland von einem wichtigen Ast der Energieversorgung der Zukunft abgekoppelt wird. Es ist eben die Technologie, die ein hoch entwickeltes Industrieland weiterbringt, nicht die Ideologie, selbst wenn sie grün daherkommt