Aussenpolitik Indien
Kamala Harris: Eine Vizepräsidentin, die Indien versteht
Mit Kamala Harris bekommen die USA eine ranghohe Repräsentantin mit indischen Wurzeln. In der Heimat ihrer Vorfahren sorgt das für Begeisterung. Die engen persönlichen Verbindungen zum Subkontinent könnten sich auch auf die Politik auswirken.
Das 500-Einwohner-Dorf Thulasendrapuram im Süden Indiens hat mit der großen Weltpolitik normalerweise nicht viel zu tun. Mit dem Machtwechsel im Weißen Haus kann sich die Gemeinde im Bundesstaat Tamil Nadu aber zumindest kurzzeitig über globale Aufmerksamkeit freuen: Sie gilt als der Ort in Indien, der wie kein zweiter für die südasiatischen Wurzeln der neuen US-Vizepräsidentin Kamala Harris steht – und den Aufstieg der Politikerin in Washington nun aus 14.000 Kilometern Entfernung begleitet.
Bereits während des US-Wahlkampfs hatten die Bewohner in der Heimat von Harris' Vorfahren zum Gebet für die Demokratin aufgerufen – und dann den Wahlsieg an der Seite des neuen Präsidenten Joe Biden mit Knallkörpern und einer kleinen Prozession gefeiert, bei der sie Portraits der 56-Jährigen in Richtung der angereisten Kamerateams streckten. Vor Wohnhäusern waren aufgemalte Glückwünsche zu lesen: "Kamala Harris, der Stolz unseres Dorfes".
Neuer Tonfall in den US-Indien-Beziehungen
Harris ist die Tochter eines aus Jamaika stammenden Wirtschaftsprofessors und der Krebsforscherin Shyamala Gopalan, die in Indien zur Welt kam und deren Familie aus Thulasendrapuram stammt. Die Lektionen, die sie von ihrer indischen Familie gelernt habe, seien ein wichtiger Grund, warum sie dorthin geschafft habe, wo sie heute sei, sagte Harris im August.
Die biografische Verbindung von Amerikas erster Vizepräsidentin mit dem Subkontinent dürfte sich auch in den künftigen amerikanisch-indischen Beziehungen bemerkbar machen: Harris kennt Indien durch zahlreiche Reisen und die verwandtschaftlichen Kontakte, die sie mit Onkeln und Tanten pflegt, so gut wie wohl kein Präsidentenstellvertreter vor ihr. Auch Indiens politische Führung kann darauf vertrauen, dass sie im Weißen Haus nun auf eine Gesprächspartnerin trifft, die ihre Sprache spricht.
Der neue Tonfall war bereits im Gratulationsschreiben von Indiens Premierminister Narendra Modi an Harris ablesbar, in dem er ganz beiläufig auch einen tamilischen Begriff einfließen ließ: "Ihr bahnbrechender Erfolg erfüllt nicht nur Ihre Chittis mit Stolz, sondern sämtliche indischstämmigen Amerikaner", schrieb Modi auf Twitter – und verwendete dabei einen umgangssprachlichen Ausdruck für Tanten, den auch Harris bereits benutzt hat.
Im amerikanisch-indischen Verhältnis dürfte sich mit dem Regierungswechsel in Washington aber nicht nur die Wortwahl ändern: Auch die politischen Schwerpunkte werden sich wohl ein Stück weit verschieben – was bei Modi womöglich nicht nur auf Freude stoßen wird. Während Donald Trump Massenkundgebungen an der Seite des indischen Regierungschefs abhielt, den er als großartigen Anführer und loyalen Freund bezeichnete, sind von der Biden-Regierung deutlich kritischere Stimmen zu erwarten: Die zunehmend illiberale Gesellschaftspolitik der Modi-Regierung, die auf eine Stärkung des Hindu-Nationalismus abzielt, dürfte in Washington künftig auf größeren Widerstand stoßen als in Trumps Amtszeit. Dieser hatte etwa die Kontroverse über ein neues indisches Staatsbürgerschaftsrecht, das als Diskriminierung von Muslimen kritisiert wurde, bei einer Indien-Reise unerwähnt gelassen – und Modi stattdessen für seinen angeblich "starken Einsatz für religiöse Freiheiten" gelobt.
Auch Modis umstrittene Politik in der Kaschmir-Region, der die Regierung in Neu-Delhi vor anderthalb Jahren die Autonomierechte entzog, stieß bei den US-Demokraten auf Kritik. Harris äußerte sich dazu damals deutlich: "Wir erinnern die Menschen in Kaschmir daran, dass sie nicht alleine sind. Wir haben die Situation im Blick", sagte sie und fügte hinzu: "Wenn es nötig wird, muss eingegriffen werden."
Indien bleibt für die USA ein zentraler Partner
Doch obwohl kritische Töne in Menschenrechtsfragen womöglich lauter werden, ist nicht damit zu rechnen, dass sich etwas Grundlegendes an den jüngsten Annäherungen zwischen Indien und den USA ändern wird. Die beiden Länder verstärkten in den vergangenen Jahren ihre strategische Zusammenarbeit, um damit ein Gegengewicht zu Chinas wachsendem Machtanspruch in der Region zu schaffen. Die USA rückten Indien ins Zentrum ihrer Indo-Pazifik-Strategie und bauten die militärische Zusammenarbeit mit der Regierung in Neu-Delhi aus. Auch Indien wandte sich trotz seiner traditionellen außenpolitischen Doktrin der Nichtbindung zunehmend den Amerikanern zu – unter anderem als Teil des sogenannten quadrilateralen Sicherheitsdialogs, auch Quad genannt, an dem neben den USA auch Australien und Japan teilnehmen.
In der Biden-Regierung soll künftig der erfahrene Diplomat Kurt Campbell für die Indo-Pazifik-Strategie der Amerikaner verantwortlich sein. Seine Ernennung wurde als klares Signal dafür gewertet, dass die USA auch unter Joe Biden wohl an ihrer Hinwendung zu Indien festhalten werden. Campbell war bereits unter Barack Obama für die Asien-Politik der USA zuständig. Bereits damals zeigte er sich überzeugt davon, dass eine vertiefte Partnerschaft mit Indien im Interesse der USA liegt. In einem Artikel im Magazin "Foreign Policy" sprach er sich zudem kürzlich für die britische Idee aus, unter dem Namen D-10 eine Staatengruppe von zehn gleichgesinnten Demokratien zu gründen – neben den G-7-Staaten sollten dabei auch Australien, Südkorea und Indien vertreten sein.
Mit Kamala Harris als Vizepräsidentin im Weißen Haus hat die US-Regierung nun auch eine ranghohe Vertreterin, die nicht nur strategische Interessen mit Indien teilt, sondern auch die Kultur des Landes bestens kennt. Bei öffentlichen Auftritten sprach sie zuletzt detailliert über die Erfahrungen, die sie und ihre Schwester bei den Indien-Reisen mit ihrer 2009 verstorbenen Mutter gesammelt haben: "Sie wollte, dass wir verstehen, woher sie kommt und wo ihre Vorfahren leben", sagte Harris – und fügte mit Blick auf einen südindischen Küchenklassiker hinzu: "Und natürlich wollte sie uns auch die Liebe zu guten Idli beibringen."