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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Israel
Mehr als Respekt!

Der Staat Israel wird in Kürze 75 Jahre alt. Was er in dieser Zeit erreicht hat, ist großartig.
Israel
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ohad Zwigenberg

Am Dienstag, den 18. April, veranstaltete die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit zusammen mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft im Hans-Dietrich-Genscher-Haus in Berlin eine Feierstunde zur Erinnerung an die Staatsgründung Israels, deren 75. Jahrestag auf den 14. Mai 2023 fallen wird. In einem vollen Saal mit mehr als 150 Gästen wurde gefeiert - mit Musik des israelischen Pianisten Naaman Wagner und der ebenfalls israelischen Klarinettistin Shelly Ezra, Mitglied von Musica Libera, dem Musikensemble von Stipendiatinnen und Stipendiaten der Stiftung, auf das wir besonders stolz sind.

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Der israelische Pianist Naaman Wagner und die ebenfalls israelische Klarinettistin Shelly Ezra begleiteten den Abend musikalisch.

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Daneben wurde intensiv diskutiert – aus der Perspektive zweier Länder, die in Freundschaft zusammengewachsen sind, Israel und Deutschland. Nach den grausamen Verbrechen des Holocausts, die Deutschland zu verantworten hat, ist diese heutige feste Freundschaft ein Wunder, für das wir tief dankbar sind. Darauf habe ich in meinen Begrüßungsworten hingewiesen. Der 18. April ist in Israel dem Gedenken an die Opfer des Holocausts gewidmet. In diesem Jahr folgte ein Tag später der 80. Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto – ein Ereignis, zu dem die Staatspräsidenten von Israel, Polen und Deutschland Jitzchak Herzog, Andrzej Duda und Frank-Walter Steinmeier in Warschau zusammenkamen. Sie setzten damit ein starkes Zeichen der Versöhnung.

Bei der Veranstaltung in Berlin am 18. April 2023 gab es eine spannende Paneldiskussion unter der Leitung von Maya Zehden (Deutsch-Israelische Gesellschaft). An dieser Diskussion nahmen drei prominente Persönlichkeiten der jüngeren Generation teil, die in ihrem Leben die Erfahrungswelten beider Nationen, Israels und Deutschlands, intensiv kennengelernt haben: Nelly Kranz, Achmad Mansour und Marko Martin. Im kurzen Schlusswort des Abends habe ich dann versucht, einige zentrale Leistungen des Staates Israel und seiner Bürgerinnen und Bürger zusammenfassend zu würdigen. Auch einige Gedanken der Podiumsdiskussion sind in mein Schlusswort eingeflossen. Es folgt dessen nachträglich erstellte schriftliche Version.

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Karl-Heinz Paqué, Vorsitzender des Vorstands der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit; Maya Zehden, Stellvertretende Vorsitzende der DIG Berlin und Brandenburg e.V.; Marko Martin, Schriftsteller; Ahmad Mansour, Diplom-Psychologe und Publizist

© FNF

Leistungen eines Landes

Israel wurde am 14. Mai 1948 gegründet. Es hatte damals 806.000 Einwohner. Die zuletzt ausgewiesene Größe der Bevölkerung im Jahr 2020 lautet 9,3 Millionen. Das Land hat also seine Einwohnerzahl in fast 75 Jahren annähernd um den Faktor 12 (!) erhöht. Das dynamische Wachstum war dabei nicht nur ein Phänomen der frühen Gründerjahre. Es hielt an: 1980 wurden 3,9 Millionen Einwohner gezählt, im Jahr 2000 waren es 6,3 Millionen, im Jahr 2010 knapp 7,7 Millionen. Es gibt wenige Länder der Welt, die über Jahrzehnte ein derart dynamisches Bevölkerungswachstum erlebten. Dies lag natürlich vor allem an großen Wellen der Zuwanderung.

Bevölkerungswachstum allein begründet natürlich noch lange keine historische Leistung. Was das Wachstum fast zu einem Wunder werden ließ, waren die gesellschaftlichen Ergebnisse, die dabei herauskamen – und dies unter extrem ungünstigen Voraussetzungen: ein arides Klima, das eine produktive Landwirtschaft erschwerte; eine extrem dichte Besiedlung in jenen Kernregionen, die überhaupt bewohnbar sind; und die externen Bedrohungen durch Nachbarn, die das Existenzrecht des Landes in Frage stellten. All dies wurde gemeistert – natürlich mit ständigen wirtschaftlichen, sozialen und auch militärischen Friktionen, aber insgesamt mit beispielhaftem Erfolg. 

Vom Agrarland zur Start-up-Nation

Am spektakulärsten ist die wirtschaftliche Bilanz Israels. Das Pro-Kopf-Einkommen des Landes liegt heute in etwa auf dem Niveau von Deutschland sowie Belgien, Kanada und Österreich, also mittendrin in der Spitzengruppe der weltweit wohlhabendsten Länder der Organization for Economic Co-Operation and Development (OECD), dessen Mitglied Israel seit 2010 ist. Der Weg dahin erfolgte im Grunde in zwei lang gezogenen Schritten, die sich über Jahrzehnte hinzogen. Zunächst entwickelte sich das Land – trotz aridem Klima – dank innovativer Bewässerungstechniken zu einem Exporteur von hochwertigen Agrarprodukten und nahm in dieser Hinsicht sehr schnell eine führende Rolle unter den Entwicklungs- und Schwellenländern ein. Es war – wenn man so will – der natürliche Wachstumspfad, der dem Land in die Wiege gelegt war, gerade auch mit der typisch israelischen Organisation in ländliche Kollektivsiedlungen der Kibbuzim, die im Pioniergeist der frühen Jahre eine zentrale Rolle spielten.

Nach einer schweren Wirtschaftskrise mit galoppierender Inflation und Währungsreform in den achtziger Jahren begann dann ein grundlegender Strukturwandel hin zur innovativen Entwicklung und Anwendung der Informationstechnologien, vergleichbar mit dem, was im fernen Silicon Valley Kaliforniens geschah. Israel wurde seit der Jahrtausendwende zu einer “Start-up-Nation”, wie die amerikanischen Journalisten Den Senor und Saul Singer im Jahr 2011 das Land in einer Buchpublikation zum israelischen “Wirtschaftswunder” nannten. Ergebnis ist, dass Israel heute – gemessen an den Forschungs- und Entwicklungsausgaben als Anteil des BIP – mit 5,4 Prozent weltweit an der Spitze liegt. Hervorragende Universitäten und eine intensive Nutzung der Informationstechnik im Militär begünstigten diese Entwicklung. Im Ergebnis ist sie ein gigantischer Erfolg – vor allem dann, wenn man sie am Entwicklungsstand der Nachbarländer im Nahen Osten misst. Dort ist Israel heute wirtschaftlich eine Insel des Wohlstands, auch wenn die Kehrseite ein außerordentlich hohes Preisniveau für lokale Dienstleistungen, Güter und Wohnungen ist.

Vitale Demokratie und Zivilgesellschaft

Israel ist eine funktionierende parlamentarische Demokratie – auch darin eine Ausnahme in der Region. Niemals in den letzten 75 Jahren gab es daran Zweifel. Es gibt überaus harte politische Auseinandersetzungen, die oft mit einer Intensität geführt werden, wie man sie in Deutschland nicht gewohnt ist. Dies liegt nicht zuletzt an dem überaus breiten Spektrum der Parteien – von der extremen Linken bis zur extremen Rechten, die tatsächlich auch die vielen Bruchlinien in der israelischen Gesellschaft widerspiegeln, und dies nicht nur zwischen den jüdischen und arabischen Teilen der Bevölkerung, sondern auch innerhalb des Judentums. Dies wiederum liegt nicht zuletzt an der Geschichte eines klassischen Einwanderungslands, das ständig damit beschäftigt ist, unterschiedliche politische Sozialisierungen zu integrieren oder auch, wenn nicht anders möglich, aufeinanderprallen zu lassen. Ergebnis ist ein extrem buntes und zerklüftetes Bild, das sich in der Gesellschaft und den Medien widerspiegelt.

Ausländische Beobachter sind da oft befremdet, aber auch fasziniert – gerade weil die Zivilgesellschaft sich als überaus stark und resilient erweist, wenn es darauf ankommt. Die jüngsten Versuche durch die rechtsorientierte Regierung, eine fragwürdige Justizreform durchzusetzen, die zu einer Aushöhlung des Rechtsstaats geführt hätte, sind ein hervorragender Beleg dafür. Die allgemeine Aufregung war riesig, der Widerstand der Bevölkerung hart und Ministerpräsident Netanjahu musste schließlich nachgeben und das umstrittene Projekt zurückziehen. Natürlich wird erst die Zukunft zeigen, ob der Angriff auf den Rechtsstaat endgültig vorbei ist oder wieder aufflammt. Eines ist allerdings jetzt schon sicher: Die israelische Zivilgesellschaft zeigt, dass sie stark ist und für ihre Demokratie kämpft.

Leben mit der Gefahr

Dies gilt noch mehr für die äußere Lage. Niemals gab es einen Zeitpunkt in den letzten 75 Jahren, in denen sich die Israelis in ihrem Land sicher fühlen konnten. Stets war die Nation von außen bedroht. Das lässt sich auch an Zahlen ablesen: 5,2 Prozent des BIP werden in Israel für die militärische Verteidigung ausgegeben. Dies ist weltweit ein Spitzenwert, aber für israelische Verhältnisse einer der niedrigsten Werte seit Bestehen des Landes, auch dank der sehr erfolgreichen Wirtschaftsentwicklung. Von den frühen siebziger bis zu den späten achtziger Jahren lag der Wert durchweg bei über 15 Prozent, zeitweise sogar bei 25 bis 30 Prozent, was dann allerdings die galoppierende Inflation befeuerte, weil damals die Notenpresse zur Finanzierung missbraucht wurde. Nur zum Vergleich: Auch nach der “Zeitenwende” wird Deutschland wohl nicht über zwei Prozent kommen, was hierzulande bereits als gewaltige Veränderung gegenüber den rund 1,2 bis 1,4 Prozent gilt, die langjährig üblich waren. Der Verzicht auf Verbrauch zugunsten der Verteidigung ist eben in Israel selbstverständlich, in Deutschland nicht. Genauso selbstverständlich ist die bestehende Wehrpflicht –für Männer derzeit 30, für Frauen 24 Monate.

Beeindruckender noch sind die konkreten Instrumente und Informationssysteme der Gefahrenabwehr. Der “Iron Dome” gegen Raketenangriffe, technisch perfekt organisiert und ebenso perfekt kommuniziert über die Sozialen Medien, ist in dieser Form weltweit einmalig. Bei massivem Raketenbeschuss wie 2019 sorgt er für jene gelassene Entschlossenheit im Umgang mit der tödlichen Gefahr, der jedem ausländischen Beobachter größten Respekt einflößt.

Wie überhaupt: “Respekt” ist das Schlüsselwort im Umgang mit Israel. Ihn hat diese außergewöhnliche Nation mehr als verdient. Leider ist er gelegentlich zu vermissen, wenn über das Land in den hiesigen Medien berichtet wird. Da fehlt es oft völlig an der Phantasie, sich in die Gefahrenlagen und Herausforderungen all jener Israelis zu versetzen, die um das Leben ihrer Kinder, Verwandten und Freunde fürchten müssen. Vielleicht wäre es ein guter Vorsatz, diese Phantasie in der Zukunft stärker zu entwickeln, als dies bei uns bisher der Fall war.

Aber zunächst wollen wir gratulieren: Masel Tov!

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