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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

#JetztMutMachen
Globalisierung ist nicht das Problem, sondern die Lösung

In der Corona-Krise sollte verstärkt politische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Zusammenarbeit eingefordert werden
Karl-Heinz Paqué

Karl-Heinz Paqué

© Photothek / Thomas Imo

Die Welt steht still wie selten zuvor und ist doch in Aufruhr. Das Coronavirus hat sich rasend schnell verbreitet und bringt überall die Wirtschaft zum Erliegen. Manch einer fordert daher weitreichende ökonomische Einschränkungen – auch für die Zeit nach der Krise. Und manch anderer macht die Globalisierung sogar dafür verantwortlich, dass sich das Virus überhaupt verbreitet hat. Die Globalisierung ist das Bauernopfer in einer aufgeregten Debatte über Schuld und Unschuld in einer weltweiten Gesundheitskrise.

Dabei ist die Geschichte der Menschheit auch eine Geschichte ihrer Krankheiten. Erste Aufzeichnungen über eine Epidemie gibt es bereits aus dem Jahr 430 vor Christus. Damals raffte die Attische Seuche rund ein Viertel der Einwohner Athens dahin. Im 14. Jahrhundert kostete die Pest 25 Millionen Menschen in Europa und Asien das Leben. 1519 starben bis zu acht Millionen Menschen in Mittelamerika an den Pocken. Und der Spanischen Grippe erlagen nach dem Ersten Weltkrieg mindestens 25 Millionen Europäer, Amerikaner und Asiaten. Schon lange vor der rasanten Globalisierung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben Epidemien und Pandemien weltweit Millionen Todesfälle verursacht. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis sich auch in der global vernetzten Welt eine gefährliche Krankheit ausbreitet. Durch den globalen Luftverkehr ist es heute möglich, dass sich Menschen auf drei Kontinenten in nur 24 Stunden mit dem gleichen Virus infizieren. 

Muss die Globalisierung deshalb eingeschränkt oder zurückgedrängt werden? Die Antwort heißt eindeutig: Nein. Ein Blick auf das wohl gefährlichste Virus unserer Zeit macht klar, warum. Seit den Siebzigerjahren sind über dreißig Millionen Menschen an HIV/Aids gestorben. Eine HIV-Infektion war über viele Jahre ein sicheres Todesurteil. Wenn HIV-Erkrankte heute ein halbwegs normales Leben führen können, ist das der Erfolg einer globalen Forschungsleistung. Wenn Ärzte aus aller Welt ins westliche Afrika reisen, um dort gegen das Ebolafieber zu kämpfen, ist das der Erfolg internationaler Kooperation. Und wenn im Zuge der Corona-Krise Atemschutzmasken, Beatmungsgeräte und Desinfektionsmittel in nur wenigen Tagen um die Welt geschickt werden können, ist das dank unserer globalen Infrastruktur möglich. 

Epidemien haben im Mittelalter – in einer weitaus weniger vernetzten Welt – zu Millionen Toten geführt. Dass wir Katastrophen solchen Ausmaßes heute kaum mehr kennen, ist nicht die Folge nationalstaatlicher Lösungen. Im Gegenteil: Es ist der Erfolg einer globalen Zusammenarbeit in Unternehmen, Universitäten und supranationalen Organisationen wie der WHO. Statt also in mittelalterliche Isolationsmuster zu verfallen, sollten wir in der Corona-Krise verstärkte politische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Zusammenarbeit einfordern. Auf Ebene der Wissenschaft und Wirtschaft funktioniert das auch erstaunlich gut. So hat es keine zwei Wochen gedauert, das Coronavirus zu isolieren. Und Unternehmen stellen ihre Produktion gerade zunehmend auf Desinfektionsmittel und Beatmungsgeräte um.

Die EU zeigt Zerfallserscheinungen

Zugegeben, noch mehr Flexibilität und Anpassungsfähigkeit wäre wünschenswert, zum Beispiel in der pharmazeutischen Industrie. So wäre es wichtig, dass im Krisenfall die nötigen Testverfahren und Impfstoffe schneller verfügbar sind, als das bisher der Fall ist. Dazu genügt aber eine Art staatlicher Notfallplan, der in Zusammenarbeit mit den einschlägigen Branchen und Unternehmen ausgearbeitet und zumindest teilweise staatlich subventioniert wird. Die globalisierte Produktionsstruktur in den allermeisten Industrien bliebe davon unberührt. 

Leider zeigt der Umgang mit dem Coronavirus auf politischer Ebene, wie weit wir uns von den Prinzipien der Solidarität und Kooperation entfernt haben. Dass der erratische US-Präsident Donald Trump auf jegliche internationale Zusammenarbeit verzichtet und am liebsten eine Mauer gegen das Coronavirus errichten würde, verwundert nicht. Dass aber die Europäische Union, Verfechterin von Multilateralismus und politischer Integration, in der Corona-Krise Zerfallserscheinungen zeigt, ist besorgniserregend. Hastig schließen europäische Staaten Grenzen, behindern damit Lieferketten und lassen keine lebenswichtigen Medikamente mehr außer Landes. China fliegt bereits Ärzte und medizinische Ausrüstung in die italienischen Krisenregionen, die europäischen Staaten streiten dagegen noch über Exportverbote. Und die Europäische Kommission muss hilflos zusehen, wie die Nationalstaaten alle Kompetenzen an sich reißen und die europäischen Institutionen zunehmend entmachten.

Globalisierung muss immer ganzheitlich betrachtet werden. Einer ihrer Kerninhalte ist, dass Unternehmen, Staaten, Institutionen und Individuen international Verantwortung übernehmen, zusammenarbeiten und gemeinsam die Vernetzung nutzen – zum Wohle aller. In der Corona-Krise haben sich viele Akteure von diesem Leitbild verabschiedet. Richtig verstanden ist aber globale Kooperation die einzige Chance im Kampf gegen die Plagen der Welt, einschließlich des Coronavirus.

 

Der Artikel erschien am 31. März auf Zeit Online und ist hier zu finden.