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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Klimaschutzgesetz
Ziel ohne Weg

Das Klimaschutzgesetz 2021 liefert Ankündigungen, keine Agenda. Die muss nach Merkel fol-gen.
Ziel ohne Weg

Schneller geht es nicht. Der Bundestag hat noch vor Ende dieser Legislaturperiode das epochale Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Klimapolitik zum Anlass genommen, neue und ehrgeizigere Klimaziele zu definieren. Die heißen jetzt: Klimaneutralität bis 2045 (bislang 2050), 88 Prozent weniger Treibhausgasemissionen bis 2040, 65 (bislang 55) Prozent weniger bis 2030. Hinzu kommt eine Absenkung der jährlich angestrebten Emissionsgrenzen für einzelne Sektoren von Energie und Industrie bis zu Verkehr und Gebäude.

Das sind extrem ehrgeizige Zielvorgaben. Klimaschützern und Umweltverbänden reichen sie noch immer nicht, aber politisch liefern sie sicherlich das Maximum an Geschwindigkeit, das man sich überhaupt vorstellen kann, soweit man bereit ist, andere gesellschaftliche Ziel zuzulassen.

Wie könnte der Weg zum Ziel aussehen? Dazu sagt das Gesetz so gut wie nichts. Operative Zwischenschritte werden zwar in den Kommentierungen des Gesetzes als „Weg“ bezeichnet, aber sie sind nichts anderes als ein Plan für Zwischenbilanzen, die den Eindruck der Kohärenz vermitteln soll. Was die Instrumente betrifft, bleibt das Gesetz weitgehend stumm – außer dass allgemein von „CO2-Bepreisung“, „europäischer Abstimmung“ und einem „gut koordinierten Instrumentenmix“ die Rede ist.

Das sind alles Leerformeln. Sie werden nach der Bundestagswahl von der neuen Regierung zu füllen sein. Und dann wird es wirklich spannend. Denn es geht um eine Art Jahrhundertfrage: Wie lassen sich Ökonomie und Ökologie in Einklang bringen? Wie sind Wachstum und Wohlstand vereinbar mit Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung?

Konzeptionell liegt die Lösung auf der Hand – und ist vor allem im Bundestagswahlprogramm der Freien Demokraten auch so avisiert. Sie lautet: „Cap-and-Trade“. Man definiert zu jedem Zeitpunkt bis 2045 eine Maximalmenge an Treibhausgasen, die gesamtwirtschaftlich in jedem Jahr ausgestoßen werden darf, und man verkauft das Recht zum Ausstoß in einem Markt für Emissionsrechte, an dem sich ein einheitlicher Preis frei bildet. Dieser Preis geht in alle, wirklich alle Kostenrechnungen der Wirtschaft ein und sorgt für Anreize zur Emissionsminderung – sei es durch simples Einsparen oder durch Investitionen und Innovationen in emissionsmindernde Technologien, die sich nun verstärkt lohnen. Wichtig ist natürlich, dass alle Sektoren der Wirtschaft wo auch immer in der Wertschöpfungskette am Emissionshandel – direkt oder indirekt – teilhaben, allen voran die Energieerzeugung und die Industrie sowie die Gebäude- und Landwirtschaft und der Verkehr.

Soweit, so einfach und richtig. Es wäre überaus wichtig, wenn eine künftige Bundesregierung sich über dieses grundlegende Prinzip schnell einigen könnte. Klar ist allerdings: Damit geht die politische Kontroverse erst richtig los. Denn natürlich trifft ein solches Modell die Gesellschaft in sehr ungleicher Weise – je nachdem, wie stark der jeweilige Sektor und deren Beschäftigte sowie die Konsumenten der betroffenen Güter und Dienste in der Lage sind, ohne gewaltige Einbußen an Wettbewerbskraft bzw. Lebensqualität auf die neue Preisstruktur zu reagieren. Hier liegt zweifellos ein riesiges Konfliktpotenzial, geradezu ein Minenfeld des politischen Streits.

Dieser Streit ist allerdings unvermeidlich. Es gilt, einen umfassenden Mechanismus der Kompensation zu entwerfen, der möglichst die gesamte Bevölkerung in diesem Strukturwandel mitnimmt. In dieser Hinsicht darf man sich nichts vormachen: Das gesamte System der Besteuerung (und Subventionierung!) muss auf den Prüfstand – stets im Hinblick darauf, wie Härten vermieden werden können, ohne die Lenkungswirkung des Preises für CO2-Emissionen zu gefährden.

Viele der Ideen, die bisher eilfertig vorgelegt wurden, gehen in dieser Hinsicht in die falsche Richtung. Sie wollen zumeist in den Prozess der Preisbildung über längere Zeiträume eingreifen, um „zu hohe“ oder „zu niedrige“ CO2-Preise zu unterbinden, was die nötige Anpassung verhindern und verzerren wird. Die Erfahrung von Systemen fester Wechselkurse bei Währungen sind in dieser Hinsicht ein Menetekel: Haben sich einmal am Markt Erwartungen durchgesetzt, sind staatlich fixierte Preise mittel- und langfristig nicht zu halten. Jenseits eines sehr kurzfristigen Stabilisierungsfonds muss die Preisbildung weitgehend frei bleiben, eben weil der Pfad der Mengenanpassung nicht gefährdet oder gar aufgegeben werden darf.

Genau dies muss allen Beteiligten von vornherein klar sein. Dabei sind die bisherigen Erfahrungen mit dem europäischen Emissionshandel ETS („Emission Trading Scheme“) nur wenig aussagekräftig, weil das ETS nie gesamtwirtschaftlich konzipiert war und an einer Vielzahl von Konstruktionsmängeln litt. Es hatte nur wenig Pilotcharakter, da es fernab von einer wirklich harten gesamtwirtschaftlichen Verpflichtung zur Senkung der Emission von Treibhausgaben operierte.

Gerade wegen der Härte dieser Verpflichtung muss – bei allem klimapolitischen Ehrgeiz – das übergeordnete Ziel realistisch definiert sein. Dies ist es allerdings nur dann, wenn der technische Fortschritt in den nächsten zwei Jahrzehnten so viel an Innovationen mit sich bringt, dass der Kapitalbestand unserer Wirtschaft (und Gesellschaft!) Schritt für Schritt radikal erneuert werden kann. Das Klimaschutzgesetz 2021 hilft dabei – für sich genommen – keinen Schritt weiter. Entscheidend ist, dass die Investitions- und Innovationsbedingungen radikal verbessert werden, um mit neuen Technologien die Herausforderungen bewältigen zu können. Kommt es zu einer konsequenten und umfassenden CO2-Bepreisung durch Cap-and-Trade, so braucht man keine staatliche Lenkung der Forschungstätigkeit, sondern allein günstige steuerliche und regulative Rahmenbedingungen: großzügige Abschreibungsregeln für Forschung und Entwicklung, liberale Vorschriften für die Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Wissenschaft und privater Anwendung, verbesserte Bedingungen für die Gründer- und Start-up-Szene, eine höchst leistungsfähige digitale Infrastruktur sowie Berufsausbildungen und Studiengänge, die den Bedarf an ökologisch-technischen Fachpersonal decken.

Kurzum: Wir brauchen rundum eine Modernisierung unserer sozialen Marktwirtschaft, aber gerade nicht deren Schwächung oder gar Abschaffung durch planwirtschaftlichen Übereifer. Dies ist die große Aufgabe einer künftigen Bundesregierung, die das Klimaschutzgesetz 2021 umsetzt.