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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Landtagswahlen
Schlaffer Staat

Die Politik muss Probleme lösen. Tut sie es nicht, werden die Menschen renitent, und zwar überall, aber im Osten schneller als im Westen.
Wahlbrief

picture alliance / SVEN SIMON | Frank Hoermann / SVEN SIMON

Die Leute haben die Schnauze voll.“. Mit dieser rustikalen Formulierung beschrieb Christian Lindner am Montag nach den Wahlen in Sachsen und Thüringen die Stimmung der Menschen. Er bezog sein drastisches Bild auf die Frustration mit der Asylpolitik. Die Leute wollen keine Erklärungen mehr hören, warum und wieso der Staat keine Kontrolle über die Zuwanderung hat und wer daran Schuld ist, sei es nun die Rechtslage, die Abschiebungen oder Grenzkontrollen verbietet, seien es die Bundesländer mit ihren elenden Vollzugsdefiziten. 

Christian Lindner hat Recht: Die Menschen können die vielen Ausreden nicht mehr hören. Und sie setzen die „etablierten Parteien“ der gemäßigten Mitte – von CDU und CSU über FDP, SPD bis zu den Grünen – durch die Unterstützung extremer Parteien mächtig unter Druck. Nicht nur der Erfolg der rechtspopulistischen AfD, sondern auch neuerdings des von links nach rechts gewendeten BSW mit dem Polit-Star Sahra Wagenknecht erklärt sich zum großen Teil aus dieser Frustration. Echte militante Feindschaft gegen die Demokratie spielt bei den meisten Wählerinnen und Wählern nur eine untergeordnete Rolle. Eher eine gewisse fast zynische Gleichgültigkeit – nach dem Motto: Es ist mir egal, wer die Politik macht, aber sie muss die Probleme lösen.

Was sind die Probleme? Zwei davon stehen in Deutschland seit einiger Zeit obenan: die Kontrolle der Grenzen und die Krise der Wirtschaft. Seit Angela Merkel 2015 mit dem naiven Motto „Wir schaffen das“ die Grenzen öffnete, hat Deutschland den Zustrom illegaler Einwanderer nicht im Griff. Der Staat wirkt schlaff, er schafft es einfach nicht, das Problem einzudämmen und zu beherrschen. Das Bemerkenswerte: Unser hochzivilisiertes Nachbarland Dänemark, eine demokratische Musternation, schafft es. Warum dann nicht wir, fragen die Menschen? Warum machen wir in Deutschland nicht exakt das Gleiche wie die Dänen – mit besseren Grenzkontrollen, besserer Abschiebung und auch besserer Integration jener Flüchtlinge, die bleiben dürfen? Ergebnis übrigens: In Dänemark wurde der Rechtspopulismus zurückgedrängt. Geht doch.

Allerdings ging es in Dänemark nur durch eine pragmatische Handhabung des Asylrechts, die im Ergebnis darauf hinausläuft, das traditionelle Individualrecht auf Asyl nicht abzuschaffen, aber doch stark einzuschränken. Dagegen wehren sich noch immer die Grünen, aber bei der derzeitigen Problemlage fällt es schwer zu glauben, dass ein Rückgewinn der Kontrolle anders möglich sein soll. Die kommunalen Spitzenverbände haben längst Alarm geschlagen: Die Zahlen der Zugewanderten sind einfach zu gewaltig. Man wird schnell handeln müssen – Bund, Länder und Gemeinden zusammen, und damit auch alle Parteien der demokratischen Mitte, die in Deutschland regieren, wo im Einzelnen auch immer.

Neben die Kontrolle der Zuwanderung tritt im Bewusstsein der Menschen ein zweites Grundproblem: die Lage der Wirtschaft. Deutschland schrumpft oder stagniert, andere Nationen in Europa wachsen. Täglich kommen Meldungen zu Unternehmenskrisen, regelmäßig auch Ankündigungen des Abbaus von Beschäftigten in der deutschen Industrie. Oft ist dies verbunden mit besonders schlechten Standortbedingungen, die Deutschland selbst geschaffen hat, vor allem die übermäßig schnelle und radikale Transformation in Richtung der Klimaneutralität. Die schweren Krisen bei Thyssen und VW sind symptomatisch dafür. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass die Menschen in der ganzen Breite der Wirtschaft ihre Arbeitsplätze bedroht sehen werden. Auch hier gilt: Der Staat ist schlaff. Er schafft es nicht, die Standortbedingungen wieder grundlegend zu verbessern.

Auch hier wird – nicht zu Unrecht – die dezidiert grüne Ausrichtung der Politik verantwortlich gemacht. Deshalb gelten die Grünen längst nicht mehr als Vordenker zukunftsfähiger Politik, sondern eher als Totengräber der deutschen Industrie. Vor allem im Osten Deutschlands sind sie dafür in weiten Teilen der Bevölkerung geradezu verhasst. Aber auch die anderen Parteien der gemäßigten Mitte werden für die schwachen Wirtschaftsergebnisse und die langsam zunehmende Bedrohung industrieller Arbeitsplätze in Haftung genommen. Ihnen wird vorgeworfen, dem fehlgeleiteten grünen Zeitgeist nicht genug entgegenzusetzen. Vor allem die FDP in der Ampel leidet darunter, auch wenn sie sich selbst ständig für eine Wachstumsoffensive stark macht.

Zu all dem kommt noch eine geradezu groteske Pointe: Dieser schlaffe Staat, der in den Augen der Menschen nichts leistet, schickt sich an, die Menschen mit allen denkbaren Vorschriften zu gängeln. Mit der Corona-Politik erreichte diese Regelungswut ihren Höhepunkt, aber auch danach ist der Eifer geblieben, mit dem die Politik in Brüssel und Berlin sich immer neue Vorschriften ausdenkt, vor allem im Namen der Klimapolitik und des Umweltschutzes. Auch in dieser Hinsicht sind die Grünen die inzwischen verhassten Vorreiter, und die anderen Parteien werden in die Mithaftung genommen, weil sie nichts dagegen unternehmen oder sich selbst noch am Gestalten der Bevormundung beteiligen. Es entsteht dann ein Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber einer willkürlichen Obrigkeit. Im Osten führt dieses Gefühl mit der Erfahrung von 40 Jahren Sozialismus sehr schnell in eigentlich unangemessene Vergleiche mit der DDR-Zeit und pauschalem Misstrauen gegenüber der Demokratie, der man eine solche Gängelung nicht zugetraut hat. Im Westen spielt sich alles – noch (?) – in moderateren Bahnen ab, aber auch da finden AfD und BSW beachtliche Resonanz.

Fazit: Der Staat muss zur Stärke zurückfinden. Wir brauchen schnellstmöglich eine Politik, die sich anschickt, die zentralen Probleme der Menschen anzugehen und zu lösen. Erst dann besteht eine Chance, aus der Falle des Rechtspopulismus herauszukommen. So wie seinerzeit Dänemark.                  

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Karl-Heinz Paqué ist Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Er hat 25 Jahre in Magdeburg gelebt und gearbeitet, als Hochschullehrer und zeitweise als Finanzminister Sachsen-Anhalts. Er kennt West und Ost.