Rumänien
Polit-Schock in Rumänien: Verfassungsgericht annulliert Präsidentschaftswahlen
Polit-Schock in Rumänien: Verfassungsgericht annulliert Präsidentschaftswahlen
Am 8. Dezember hätte in Rumänien die Stichwahl zwischen dem nationalistischen und rechtsextremen, unabhängigen Kandidaten Călin Georgescu und der bürgerlich-liberalen Kandidatin Elena Lasconi um das Präsidentenamt stattfinden sollen. Das Verfassungsgericht hat jedoch am Freitag vor dem Urnengang entschieden, die Präsidentschaftswahl den ersten Wahlgang vor zwei Wochen zu annullieren und zu wiederholen. Als Begründung wurde angeführt, dass es klare Anzeichen für eine Einmischung Russlands in den Wahlprozess gebegeben habe. Zudem seien Unregelmäßigkeiten bei der Wahlkampffinanzierung festgestellt worden. Auch sei es zu einer Manipulation der Wählerinnen und Wähler über die chinesische Plattform TikTok zugunsten des Kandidaten Georgescu gekommen. Die rechtsextremen Parteien hatten zu Protesten aufgerufen, jedoch blieb eine entsprechende Reaktion der Bevölkerung aus.
Präsident Iohannis bleibt bis auf Weiteres im Amt.
Gemäß dem Beschluss des Verfassungsgerichts muss nun wegen der Beeinträchtigung der ersten Wahlrunde der gesamte Wahlprozess neu angesetzt werden. Dies bedeutet, dass die notwendigen Unterschriften erneut eingesammelt, neue Kandidaturen eingereicht und ein einmonatiger Wahlkampf bis zu den Neuwahlen geführt werden muss, die frühestens im März oder April stattfinden können. In Übereinstimmung mit der Verfassung hat das Gericht beschlossen, dass der derzeitige Präsident Klaus Iohannis bis zur Wahl eines neuen Staatsoberhaupts im Amt bleibt. In einer Stellungnahme ließ er verlauten, dass nach der Bestätigung und Einberufung des neuen Parlaments Konsultationen mit den Parlamentsparteien und die Bildung einer neuen Regierung anvisiert werden. Des Weiteren bekundete der Staatschef, dass er nicht die Absicht habe, das Amt des Premierministers zu bekleiden, sondern lediglich sein Mandat erfüllen möchte. In seiner abschließenden Bemerkung bekräftigte er: "Rumänien ist stabil und solide. Dies entspricht dem Interesse der Wirtschaft, der Investoren sowie der Finanzmärkte. Rumänien wird auch weiterhin ein verlässlicher Partner innerhalb der EU und NATO sein. Ich möchte betonen, dass Rumänien ein sicherer und solider Verbündeter bleibt. Es ist von großer Bedeutung, dass wir alle dies wissen und berücksichtigen. Ich möchte betonen, dass Rumänien derzeit keine Schwierigkeiten durchläuft.” Die rumänische Börse hatte nach dem ersten Wahlgang tatsächlich deutliche Verluste verzeichnet. Der BET-Index verzeichnete einen Rückgang von 4,27 %.
Bei den rumänischen Parlamentswahlen, die eine Woche nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen stattgefunden haben, konnten die Sozialdemokraten (PSD) 22 %, die Konservativen (PNL) 18 %, die bürgerlichen Liberalen (USR) 12 % und der Ungarnverband (UDMR) 6 % der Stimmen auf sich vereinen. Die drei rechtsextremistischen Parteien erreichten zusammen einen Anteil von 32 Prozent. Nach einer ersten Phase der Analyse und Bewertung der Wahlergebnisse haben die demokratischen Parteien angekündigt, eine Regierung der nationalen Einheit bilden zu wollen.
Was bisher geschah
Die erste Runde der Präsidentschaftswahlen am 24. November führte zu einer Überraschung, da sich die Konservativen und die Sozialdemokraten erstmals seit 35 Jahren nicht für das Finale qualifizierten. Es gewann aufgrund der allgemeinen Unzufriedenheit mit der Regierungs-GroKo zwischen den Sozialdemokraten und den Konservativen der bisher wenig bekannte Nationalist und Faschist Călin Georgescu, gefolgt von einer weiteren Außenseiterin, Elena Lasconi (USR), die mit einem knappen Vorsprung von 3.700 Stimmen den in den Umfragen führenden Favoriten, den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Marcel Ciolacu, überholte. In der rumänischen Gerüchteküche wird die These aufgestellt, dass die Sozialdemokraten sich eigentlich ein Finale mit einem der rechtsextremen Kandidaten gewünscht und dafür auch Stimmen in diese Richtung gesteuert haben könnten, um in der Finalrunde dann alle demokratischen Stimmen zu kapitalisieren. In der Tat wurde die bemerkenswerte Zustimmung für Elena Lasconi, eine ehemalige TV-Persönlichkeit, die als Bürgermeisterin in der Kleinstadt Câmpulung-Muscel tätig war, in dieser Strategie möglicherweise unterschätzt. Sie selber sagte nach dem Gerichtsbeschluss: ”Heute ist der Moment, in dem der rumänische Staat die Demokratie mit Füßen getreten hat“.
Nach und nach wurden Informationen über den im Rampenlicht stehenden Georgescu bekannt, so über Verbindungen zu Netzwerken aus dem ehemaligen Geheimdienst Securitate sowie zu faschistischen und paramilitärischen Organisationen. Zudem wurde öffentlich, dass sein ausschließlich online geführter Wahlkampf undurchsichtig mit Millionen Euro finanziert wurde, obwohl er angegeben hatte, nichts investiert zu haben. Infolgedessen hat Präsident Iohannis den Obersten Sicherheitsrat einberufen und aufgrund des öffentlichen Drucks die Ergebnisse veröffentlicht. Darin wird unter anderem von einer Einmischung Russlands und anderer nichtstaatlicher Akteure in den Wahlprozess berichtet. Zudem wird auf illegale Wahlkampffinanzierung und eine eindeutige Favorisierung eines Kandidaten durch die chinesische Online-Plattform TikTok hingewiesen. Es gibt Hinweise darauf, dass während der letzten Wahlkampftage 25.000 Konten, die mit der russischen Publikation Sputnik in Verbindung stehen, aktiviert wurden. Während der Wahlen wurden 85.000 Cyberattacken durch den Kommunikationsdienst abgewehrt. In der Folge wurde der hybride Angriff Russlands von mehreren internationalen Partnern verurteilt.
Fortgang und Prognosen
Mittlerweile sind Verhaftungen von Anführern paramilitärischer, faschistischer Gruppen in der Umgebung von Georgescu erfolgt. Es sind bereits drei Strafermittlungen im Gange, die sich mit den Vorwürfen der illegalen Wahlkampffinanzierung und Geldwäsche befassen. Ein Neuantritt von Georgescu bei den Neuwahlen im Frühjahr erscheint wenig wahrscheinlich, da das Verfassungsgericht der rechtsextremistischen Parteivorsitzenden von SOS Rumänien, Diana Șoșoacă, in einem ähnlich kontroversen Beschluss den Antritt verwehrt hatte. Der Vorsitzende der rechtsextremistischen AUR-Partei George Simion bekundet, dass er Georgescu bis zum Vorliegen weiterer Beweise zu seinen Russland-Kontakten unterstützen wird. Gleichzeitig hegt er jedoch den Wunsch, selbst die Kandidatur zu übernehmen, um die Stimmen der zahlreichen Protestwähler für sich zu gewinnen.
Die bürgerlich-liberale Kandidatin bekundete zwar ihr Interesse, erneut anzutreten. Doch es ist fraglich, ob sie erneut Unterstützung von außerhalb der eigenen Partei, der USR, erhalten wird. In einem Statement von zivilgesellschaftlichen Akteuren wird als gemeinsamer Kandidat der Konservativen und der Liberalen der parteipolitisch unabhängige Oberbürgermeister von Bukarest, Nicușor Dan, vorgeschlagen, der unlängst bei den Kommunalwahlen in seinem Amt bestätigt wurde.
Es besteht jedoch weiterhin ein Mangel an Vertrauen der Bevölkerung in die eigenen Institutionen, das Rechtssystem und die etablierten politischen Parteien. Dies wirft die Frage auf, wie die demokratischen Lücken, die im Land offenbar geworden sind, am besten geschlossen werden können. Russland könnte die Situation weiterhin zu seinen Gunsten nutzen, um Unsicherheit und Unzufriedenheit zu schüren. Die Reformunfähigkeit des Staatsapparats und der beiden als korrupt geltenden Großparteien könnten die Lage bis zu den neuen Wahlen zusätzlich anspannen. Die Wut der Protestwähler bleibt weiterhin hoch, so dass weitere Überraschungen in Rumänien nicht ausgeschlossen werden können.