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EU-Mercosur-Abkommen
Starkes Zeichen für den Freihandel aus Montevideo, aber noch zu früh für Champagnerkorken

Von links: Der argentinische Präsident Javier Milei, der uruguayische Präsident Luis Lacalle Pou, die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen, der brasilianische Präsident Luiz Inacio Lula da Silva und der paraguayische Präsident Santiago Pena posieren für ein Foto während des Mercosur-Gipfels in Montevideo, Uruguay,

Von links: Der argentinische Präsident Javier Milei, der uruguayische Präsident Luis Lacalle Pou, die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen, der brasilianische Präsident Luiz Inacio Lula da Silva und der paraguayische Präsident Santiago Pena posieren für ein Foto während des Mercosur-Gipfels in Montevideo, Uruguay.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Matilde Campodonico

Wer das erste Mal nach Montevideo reist, dem fällt die relative Überschaubarkeit und Besinnlichkeit der Hauptstadt Uruguays auf – gerade im Vergleich zu den hektischen Metropolen der beiden großen Nachbarn im Norden und Süden des Landes, Brasilien und Argentinien. Auch politisch ist Uruguay ein Hort der Stabilität und Demokratie und damit ein Vorbild weit über die Region hinaus. Dies wurde gerade wieder bei den Präsidentschaftswahlen Ende November deutlich, wo derzeit die Übergabe vom bisherigen innerhalb und außerhalb des Landes beliebten Staatsoberhaupt Luis Alberto Lacalle Pou, der nicht wieder antreten konnte, zu seinem Nachfolger Yamandú Orsi, der im kommenden März sein Amt antreten wird, geräuschlos und harmonisch verläuft.

Machtwechsel in einer stabilen Demokratie: Yamandú Orsi ist neuer Präsident Uruguays

Uruguays neuer Präsident Yamandu Orsi und seine Vizepräsidentin Carolina Cosse.

Am 24. November, wählten die knapp 3,5 Millionen Einwohner Uruguays im zweiten Wahlgang Yamandú Orsi zum Präsidenten des Landes. Uruguay, ein Leuchtturm demokratischer Stabilität in der Region, stellt angesichts der zunehmenden Polarisierung auf regionaler und globaler Ebene einen beeindruckenden Sonderfall dar.

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Auch wirtschaftlich steht Uruguay mit einem erwarteten BIP-Wachstum von rund 3% und einer Inflationsrate von rund 5% (wohlgemerkt auf Jahresbasis!) für dieses Jahr recht erfolgreich da, wesentlich getragen durch eine Wirtschaftspolitik, die auf Freihandel und ausländische Investitionen setzt.

Wir kennen dies aus der EU: Oft waren es die kleineren Mitgliedstaaten, von denen wichtige Impulse für die weitere regionale Integration ausgingen: Luxemburg, Belgien, Niederlande, gerade auch, indem sie ausgleichend wirkten zwischen den großen Nachbarn.

Uruguay nutzt Gunst der Stunde als Gastgeber

Uruguay als kleinstes Mitgliedsland des Mercosur nutzte nun genau diese Gunst der Stunde, für eine wichtigen, ja vielleicht den wichtigsten Meilenstein bei der Finalisierung des seit über 25 Jahren verhandelten EU-Mercosur-Abkommens. Uruguay ist nicht nur Sitz des Mercosur-Parlaments, sondern übt derzeit auch turnusmäßig die Präsidentschaft der Mercosur-Gruppe aus. So gelang es Präsident Luis Alberto Lacalle Pou aufgrund seines hohen Ansehens und Verhandlungsgeschicks die letzten noch offenen Punkte (insbesondere zu Umweltauflagen, Agrarquoten und Übergangsfristen) innerhalb des EU-Mercosur-Abkommens erfolgreich zu verhandeln. Er erwies sich hier als neutraler Broker zwischen den Präsidenten Brasiliens und Argentiniens, Lula da Silva und Javier Milei, deren persönliche Animosität zuletzt wieder beim G20-Gipfel Ende November in Rio de Janeiro unübersehbar war.

Zudem gelang es Luis Alberto Lacalle Pou und seinem Verhandlungsteam in den letzten Wochen und Monaten, geräuschlos und produktiv mit der EU-Delegation unter Leitung des erfahrenen Chefverhandlers Rupert Schlegelmilch die letzten Steine beim Abkommen soweit aus dem Weg zu räumen bzw. vorzuverhandeln, dass Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sich letztlich zur Reise nach Montevideo entschied. Dies war bis zuletzt offen, zum einen aufgrund der letzten noch zurückzulegenden Meter bei den Verhandlungen, zudem auch der Übergangszeit in der EU-Kommission, so haben die neuen Kommissare gerade erst ihre Arbeit aufgenommen, aber schließlich auch aufgrund der schwierigen innenpolitischen Situation in Frankreich nach dem letzte Woche mangels Rückhalt im Parlament erzwungenen Rücktritt von Ministerpräsident Michel Barnier.

Am Nikolaustag konnten Luis Alberto Lacalle Pou und Ursula von der Leyen in Montevideo dann schließlich den Durchbruch beim EU-Mercosur-Abkommen verkünden, eingerahmt von den Präsidenten Brasiliens, Argentiniens und Paraguays.

Größte Freihandelszone der Welt könnte entstehen

Mit dem EU-Mercosur-Abkommen wird die größte Freihandelszone der Welt geschaffen, mit 750 Millionen Einwohnern. Für über 90% der Waren und Dienstleistungen fallen in beiden Blöcken schrittweise die Zölle weg mit Milliardeneinsparungen und mehr Geschäftsmöglichkeiten für Unternehmen und Konsumenten – zum Teil allerdings mit langen Übergangsfristen von bis zu 18 Jahren. Die Europäische Kommission schätzt alleine die Kosteneinsparungen für europäische Exporteure auf 4 Milliarden Euro pro Jahr.

Die von der europäischen Agrarwirtschaft gegen das Abkommen vorgebrachte Kritik ist dabei weit übertrieben. Dies betrifft zum einen die Befürchtung von einem Berg neuer Fleischimporte und Weinseen nach Europa. So beträgt der Anteil südamerikanischer Importe am gesamten Fleischkonsum zum Beispiel in Österreich gerade einmal 3%. Mit dem Abkommen wird mit einem zusätzlichen Import nach Europa pro Kopf in Höhe von 125 Gramm gerechnet – ein kleines Steak pro Jahr. Zudem sind europäische Anbieter keinesfalls chancenlos gegen die südamerikanische Konkurrenz: Qualität und der zunehmende Trend zum Kauf regionaler, hochwertiger Erzeugnisse werden auch künftig ihren Markt finden. Auch die Befürchtungen, dass südamerikanische Fleischproduzenten die europäischen Umwelt- und Gesundheitsstandards nicht einhielten, sind unbegründet. Zum einen gelten entsprechende europäische Gesetze selbstverständlich auch für Importwaren. Zum anderen ist erstaunlich, dass europäische Touristen mit Begeisterung und völlig bedenkenlos in argentinischen Steakhäusern und brasilianischen Rodizios Fleischspezialitäten und dazu ein Glas Malbec (oder Tannat in Uruguay) genießen und dann genau vor diesen Importen nach Europa geschützt werden müssten. Dies erinnert an die Chlorhühnchen-Saga, an der im letzten Jahrzehnt das TTIP-Abkommen mit den USA gescheitert ist mit fatalen Folgen für die europäische Wirtschaft gerade auch im Hinblick auf die Wiederwahl Trumps. Ein solches Debakel darf sich nicht noch einmal wiederholen.

Angesichts der medienwirksamen Bilder vehementer Proteste von Landwirten in Paris und Brüssel gegen das EU-Mercosur-Abkommen ist es zwar naheliegend, aber verkürzt, ausschließlich dessen Auswirkungen auf einen Sektor zu diskutieren. Selbst in Frankreich trägt die Landwirtschaft gerade einmal noch 2% zum BIP bei, also weit unter der gefühlten Bedeutung für die nationale Kultur und Identität Frankreichs.

(Überschaubar) mehr Wettbewerb in der Landwirtschaft stehen erhebliche Chancen für die europäische Industrie durch das Abkommen gegenüber. Dies gilt insbesondere auch bei dem für Brasilien, aber auch die anderen Mercosur-Länder, wichtigen Thema der „grünen Reindustrialisierung“. Aufgrund des großen Potenzials für Wasserstoff und erneuerbare Energien bieten sich in Brasilien gerade bei energieintensiven Industrien hervorragende Voraussetzungen für Investitionen und Produktion. Hinzu kommt die Verfügbarkeit von seltenen Erden, wie Lithium, und Kupfer, beides wichtige Rohstoffe für alternative Antriebstechnologien bei der Energiewende. Hier bieten sich nicht nur der deutschen, sondern übrigens auch der französischen Industrie, mit ihrer traditionellen Stärke in der Energiewirtschaft, neue Absatz- und Investitionsmöglichkeiten in den Mercosur-Ländern.

Nächste Schritte entscheidend

Das EU-Mercosur-Abkommen ist nun zwar final ausverhandelt. Damit es in Kraft treten kann, sind jedoch in beiden Regionalverbünden noch entscheidende Etappen zu bewältigen. In den Mercosur-Ländern müssen jeweils die nationalen Parlamente zustimmen. Weder Lula noch Milei verfügen in den Parlamenten ihrer Länder über eigene Mehrheiten, sind also auf Mehrheiten angewiesen, zum Teil mit Gruppierungen, die weniger freihandelsorientiert eingestellt sind. Im Vergleich dazu dürfte der anstehende politische Wechsel in Uruguay kein größeres Hindernis darstellen, zumal sich das politische Establishment – wie auch in Paraguay – jahrelang stark für das Abkommen eingesetzt hat.

In der EU müssen das Europäische Parlament und der Europäische Rat den handelspolitischen Teilen zustimmen. Für die – zusätzlichen – politischen Teile wäre sogar eine Einstimmigkeit im Rat und eine Ratifizierung durch die nationalen Parlamente erforderlich, was als aussichtslos gilt. Im Parlament verfügen die proeuropäischen Abgeordneten zwar über eine Mehrheit. Aufgrund der Ablehnung durch die „Renaissance“-Partei von Präsident Macron und der kritischen Haltung der europäischen Grünen gilt es aber auch hier, Überzeugungsarbeit zu leisten. Noch mehr gilt dies für den Europäischen Rat, wo bereits vier Länder eine Sperrminorität bilden könnten, soweit sie mindestens 35% der EU-Bevölkerung ausmachen. Frankreichs Präsident Macron hat das Abkommen in einer ersten scharfen Reaktion nach dem Gipfel in Montevideo bereits als „inakzeptabel“ abgelehnt. Auch von Polen wird derzeit eine Ablehnung erwartet. Österreich und die Niederlande haben sich ebenfalls kritisch geäußert. Eine Schlüsselrolle könnte die Positionierung von Italien spielen.

Es bleibt zu hoffen, dass die Befürworter des Abkommens sich in den nächsten Monaten auf nationaler und internationaler Ebene nachdrücklich für einen erfolgreichen Abschluss einsetzen. Dies gilt insbesondere für Europa, das Lateinamerika und allen voran die Mercosur-Länder als Chance für wichtige politische Verbündete mit einem gemeinsamen westlich-orientierten, liberalen Werteverständnisses und wirtschaftlich für eine stärkere Diversifizierung der Beschaffungs- und Absatzmärkte sehen sollte.

Chance nicht verpassen

Dabei benötigen Deutschland und Europa Lateinamerika im Zeitalter eines – durch die Wiederwahl Trumps noch verschärften geopolitischen und -ökonomischen Systemwettbewerbs – mehr als dies umgekehrt der Fall ist. Alle vier Mercosur-Länder haben längst ihre „Pläne B“ auf dem Schreibtisch, sollte das EU-Mercosur-Abkommen doch noch scheitern und denken in diesem Fall über eine Intensivierung ihrer Wirtschaftsbeziehungen zu China nach. Brasilien als BRICS-Gründungsstaat und -Präsident in 2025 ohnehin. Aber dies gilt selbst für den sonst den Sozialismus in aller Welt bekämpfenden argentinischen Präsidenten Milei, der kürzlich China als „sehr interessanten Handelspartner“ bezeichnete und Anfang des kommenden Jahres zu Präsident Xi nach China reisen wird.

Als Ursula von der Leyen längst im Glücksgefühl des fertig ausgehandelten Abkommens im Gepäck auf dem Heimweg nach Europa war, kündigte Milei in Montevideo zudem an, wovon er wirklich träumt: von einem Freihandelsvertrag Argentiniens mit den USA – MAGA im Quadrat sozusagen. So forderte er Mercosur auf, ihn endlich aus dem „Gefängnis“ zu entlassen, dass Freihandelsabkommen nur auf Mercosur-Ebene verhandelt werden dürften.

Umso wichtiger ist nun, dass die EU bei der Chance zur Schaffung der größten Freihandelszone der Welt nicht wieder an sich selbst scheitert.

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Florian von Hennet
Florian von Hennet
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