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Künstlerische Inkubation
Kunstausstellung „Bayt Al Fenn“ 2023

Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Kindheit in Marokko
Artistic incubation

Kunst ist eine schöne und eine wirkungsvolle Sprache. Das gilt auch oder sogar erst recht in Marokko. Das nordafrikanische Land ist ein Wirrwarr von Sprachen. Darija (marokkanisches Arabisch), klassisches Arabisch, Tamazigh (Berber), Französisch, Englisch und sogar Spanisch funktionieren bis zu einem gewissen Grad, aber keine einzige Sprache ist der Schlüssel zum Königreich. Wenn es eine solche universell gesprochene Sprache gäbe, könnte es die Kunst sein. Kunsthandwerk und Kunst sind seit Jahrhunderten Bestandteil der marokkanischen Kultur und werden auf der ganzen Welt geschätzt. Heute koexistieren in der marokkanischen Kunstszene traditionelle Disziplinen wie Malerei, Musik oder Architektur nebeneinander mit modernen Ausdrucksformen wie Rap, Graffiti oder Poetry Slam. Musikfestivals gibt es zuhauf, und die alten Medinas sind heute voll von modernen Wandmalereien.

Vor diesem Hintergrund betreibt die Friedrich-Naumann-Stiftung gemeinsam mit der marokkanischen Kulturstiftung Hiba seit drei Jahren das Programm „Bayt Al Fenn“ (Haus der Kunst). Es soll Diversität und Toleranz mit der Sprache der Kunst fördern und gleichzeitig aufstrebenden Künstlern die Chance geben, sich erstmals auf großer Bühne zu präsentieren.

Die dritte Ausgabe fand nun im Rahmen zweier Vernissagen in der marokkanischen Nationalbibliothek von Rabat und im American Arts Center Casablanca mit mehr als 500 Besucherinnen und Besuchern einen krönenden Abschluss. Die elf Künstlerinnen und Künstler hatten sich zuvor während einer 9-tägigen Residenz in einer Ecolodge bei Benslimane mit dem Thema „Kindheit“ auseinandergesetzt.

Kindheit ist eine universelle Erfahrung, die jeder Mensch durchläuft, die sich jedoch von Mensch zu Mensch, von Gesellschaft zu Gesellschaft und von Generation zu Generation unterscheidet. Sie prägt den Staatsbürger von morgen und dessen Verständnis von Freiheit und Verantwortung, Werten und Tabus. Was darf gedacht und gesagt werden? Was macht ein erfolgreiches Leben aus? Welche Rolle spielen dabei Herkunft, Geschlecht oder Religion? Nicht zuletzt regt das Thema Kindheit natürlich zur Fantasie an und diente den Künstlerinnen und Künstlern somit als geeignete Inspiration.

Bei der Verarbeitung ihrer Ideen bediente sich das Künstlerkollektiv verschiedener Techniken und Darbietungsformen, denn Bayt Al Fenn ist ungewöhnlicherweise eine multidisziplinäre Residenz.

Der Designer Mouad Ladraa hat eine Skulptur aus zwei menschlichen Silhouetten geschaffen, die den inneren Dialog zwischen dem unschuldigen Kind und dem konditionierten Erwachsenen symbolisieren. Die Haut der beiden Figuren besteht aus mehreren Schichten von Recycling-Materialien und ist eine Metapher für die von unserer Umwelt und unserem Konsumverhalten geprägte DNA.

COM-US

Zum Bühnenprogramm Bayt Al Fenns gehört der Poetry Slam von Badr Lachhab alias Pedro, der das Publikum an das Schicksal der Zehntausenden von Straßenkindern erinnert, denen es in Marokko an Aufmerksamkeit, Fürsorge und Bildung fehlt.

Mit noch jüngeren Kindern setzen sich die großformatigen, bestickten Babyfotos der bildenden Künstlerin Meriem Mihammou auseinander. Sie zeigen einen männlichen und einen weiblichen Säugling. Die Ankunft des Letzteren wird traditionell weniger groß gefeiert. Die Diskriminierung von Frauen, so die Botschaft, beginnt schon bei der Geburt.

dés la naissance

Der Street Art Künstler Mohammed Rochdi alias Rosh spricht auch über die Diskriminierung von Frauen. "I Want to Play" konfrontiert uns mit dem heiklen Thema der Verheiratung von Minderjährigen in Marokko. Mohammed Rochdi präsentiert drei kraftvolle Kreationen, die uns die Rechte vor Augen führen, die diese jungen Kinder durch frühe Heirat verlieren. Der Künstler erforscht insbesondere das Recht auf Spiel, das für die Entwicklung eines jeden Kindes unerlässlich ist.

i want to play

Um unerfüllte Wünsche geht es auch im animierten Kurzfilm von Kawtar Waddi. Dieser erzählt von ihrem jüngeren Selbst, das davon träumt, von Beruf Zeichnerin zu werden – ein Wunsch, für den die eigene Familie angesichts mangelnder Vorbilder und Erwerbsaussichten weder Verständnis noch Unterstützung aufzubringen bereit war.

kawtar

Dies sind nur fünf der insgesamt zehn Werke der diesjährigen Edition, die sowohl im Rahmen der beiden Ausstellungen in Rabat und Casablanca zu bewundern waren und fortan auch online unter www.baytalfenn.org gezeigt werden. Interessierte können Bayt Al Fenn auf Instagram und Facebook folgen, sich vergangene Ausgaben ansehen oder ein Thema für 2024 vorschlagen.