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Putsch
Myanmar: “Gewaltsame Auseinandersetzungen werden zunehmen”

Myanmar Proteste
picture alliance / AA | Stringer

 

Im Februar Putschte Myanmars Junta, seitdem hat sich die Lage in dem südostasiatischen Land kaum beruhigt. Für neue Eskalation könnte nun die Entscheidung der Militärkräfte sorgen, die National League for Democracy (NLD) von Aung San Suu Kyi zu verbieten. Schon jetzt sucht die von der NLD dominierten Schattenregierung den Schulterschluss mit den zahlreichen ethnischen Rebellengruppen des Landes. Derweil wird Aung San Suu Kyi vor Gericht zitiert. Myanmar-Experte Frederic Spohr rechnet damit, dass gewaltsame Auseinandersetzungen zunehmen werden – und nun auch in den Städten des burmesischen Kernlandes ausgetragen werden.

Der Chef der Wahlkommission Myanmars hat angedeutet, dass die National League for Democracy verboten werden soll. Was bedeutet das für das Land?

Es wäre eine Zäsur. Selbst unter der Militärdiktatur zwischen 1988 und 2010 wurde die NLD zwar drangsaliert und unterdrückt - wurde aber zumindest geduldet. Dass es zu einem Kompromiss zwischen Militär und NLD kommt, ist nach einem Verbot noch unwahrscheinlicher. Über ihre Anwälte hat die gestürzte Regierungschefin Aung San Suu Kyi bereits mitteilen lassen, dass ihre Partei weiter existieren werde. Sollte die NLD tatsächlich aufgelöst oder für illegal erklärt werden, würde sie wohl im Untergrund weiterarbeiten. Der Konflikt würde weiter eskalieren.

Mit welcher Begründung soll die Partei aufgelöst werden?

Das Militär wirft der NLD vor, bei der vergangenen Wahl betrogen zu haben, bei der sie einen beachtlichen Sieg errungen hatte. Unabhängige Beobachter gehen aber davon aus, dass der Wahlsieg der Partei im Großen und Ganzen repräsentativ war.

Aung San Suu Kyi, die von der Junta im Zuge des Putsches festgenommen worden war, ist am Montag erstmals persönlich vor Gericht erschienen.

Interessanterweise muss sich Aung San Suu Kyi in ihrem Verfahren nicht wegen Wahlbetrug verantworten. Die Junta hat eine Reihe von Anklage gegen sie erhoben: So soll sie zu Unruhen angestiftet haben und gegen ein Gesetz zum Schutz von Staatsgeheimnissen verstoßen haben. Außerdem wirft die Junta ihr die Missachtung von Coronavirus-Beschränkungen und den Besitz von nicht lizenzierten Walkie-Talkies vor.

Welches Ziel verfolgt die Junta?

Öffentlich hält die Junta weiterhin an dem Ziel fest, in den kommenden anderthalb Jahren Wahlen abzuhalten. Die vergangenen Wahlen haben gezeigt, dass die Proxypartei der Armee, die USDP, bei Wahlen nicht gegen die NLD bestehen kann – vor allem aufgrund der immensen Popularität von Aung San Suu Kyi. Durch den Putsch will man sich dieser Konkurrenz offenbar entledigen. Die Spielregeln sollen so verändert werden, dass man sich durch Wahlen später legitimieren lassen kann.

Geht der Plan auf?

Der Widerstand ist enorm. Noch immer finden täglich in Dutzenden Städten Demonstrationen gegen das Militär statt. Auch der zivile Ungehorsam setzt die Junta unter Druck. Beispiel Bildungssystem: Die Junta hat 125.000 Lehrer suspendiert, weil sie sich der Bewegung angeschlossen hatten. Das ist fast ein Drittel aller Lehrer des Landes. Am 1. Juni sollen die Schulen wieder öffnen, aber es ist unklar, wie viele Schüler und Lehrer in den Schulen auftauchen werden.

Der Widerstand gegen den Putsch ist nicht mehr nur friedlich.

Die von der NLD dominierte Schattenregierung hat mittlerweile zum bewaffneten Kampf aufgerufen und eine “People’s Defence Force” initiiert – also ein Art Gegenarmee. Es haben sich bereits zahlreiche lokale Zellen solcher „People’s Defence Forces” gegründet. An einigen Orten kam es zu direkten Schlagabtauschen mit der Armee. Vorwiegend scheint die People’s Defence Force auf eine Guerillataktik zu setzen.

Wie operiert diese Armee und wie schlagkräftig ist sie?

Es ist unklar, wie eng die einzelnen Zellen miteinander kooperieren und wieviele Personen sich ihnen angeschlossen haben. Mit improvisierten Sprengsätzen greifen sie Armeeposten, Polizeistationen und andere staatliche Einrichtungen an. Zivilisten sind zwar nicht per se Ziel. Opfer unter ihnen werden aber von einigen der neu formierten Guerilla-Gruppen als Kollateralschäden in Kauf genommen. Es besteht die Gefahr, dass der Rückhalt der Bevölkerung so verloren geht und die Junta-Gegner als Terroristen geächtet werden.

Viele Junta-Gegner setzen auf die Unterstützung der zahlreichen bewaffneten ethnischen Minderheiten der Armee.

Laut der Gegenregierung soll die People’s Defence Force der Vorläufer einer “Federal Army” werden – also einer Armee, welche eine Allianz der zahlreichen bewaffneten ethnischen Organisationen im Land miteinschließt. Im Land sind rund zwei Dutzend dieser Rebellengruppen aktiv. Einige von ihnen sind aber untereinander verfeindet oder sogar mit der Armee verbündet. Manche haben nur wenige Hundert Kämpfer, andere mehr als Zehntausend.

Gibt es denn schon Verbindungen zwischen der Schattenregierung und den bewaffneten ethnischen Minderheiten?

In der Schattenregierung finden sich Vertreter von Parteien der ethnischen Minderheiten. Einige der bewaffneten Organisationen haben angekündigt, die Einheitsregierung zu unterstützen. Sie dienen zumindest als Rückzugsraum und trainieren wohl auch Regime-Gegner, die gegen die Junta kämpfen wollen. Das dürfte beispielsweise für Kachin Independence Army (KIA) und die Karen National Liberation Army (KNLA) gelten. Zuletzt haben sich auch die Gefechte zwischen diesen Rebellen und Truppen des Regimes intensiviert.

Wie gefährlich wäre eine solche “Federal Army” für das Regime?

Myanmars Streitkräfte sind deutlich besser ausgerüstet. Zudem dienen rund 400.000 Mann in der Armee – selbst eine gemeinsame Rebellenarmee hätte nur mehrere Zehntausend Kämpfer. Militärexperten gehen dennoch davon aus, dass ein Konflikt an mehreren Fronten, unter anderem in den Städten des burmesischen Kernlandes, die Armee zumindest unter Druck setzen könnten. Bisher waren die Streitkräfte noch nie in einer solchen Situation.

 

 

Frederic Spohr ist Projekteiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit für Thailand und Myanmar mit Sitz in Bangkok.