Nachruf
Jürgen Engert – Der Chronist der Deutschen Einheit
Ein Meister der klaren, knappen, kurzen Sätze - das war Jürgen Engert, der am 22. August 2021 im Alter von 85 Jahren verstarb. Das habe ich schnell gelernt, als ich Ende letzten Jahres mit ihm mitten in der Corona-Krise eine kleine dreiteilige Veranstaltungsreihe plante: die Vorstellung und Diskussion des neu erschienenen Buches „Gespaltene Nation! Einspruch!“ von Richard Schröder und mir. Er moderierte die drei Abende mit uns sowie Freya Klier, Karoline Preisler und schließlich Linda Teuteberg auf dem Podium.
Es ging um das Thema seines Lebens: die Deutsche Einheit. Jürgen Engert, der gebürtige Sachse und bekennende Preuße, war einer der großen journalistischen Begleiter des zunächst geteilten und dann vereinigten Deutschlands. Der Mann, dem in den fünfziger Jahren ein Studium in der DDR verweigert wurde und der deshalb in den Westen ging, wo er Geschichte, Germanistik und Philosophie studierte, zunächst an der Ludwig-Maximilians-Universität München und dann an der Freien Universität Berlin. Der Mann, der nach 19 Jahren Tätigkeit bei der Westberliner Boulevardzeitung „Der Abend“ 1980 zum Rundfunk wechselte und beim Sender Freies Berlin (SFB) schnell aufstieg: 1983 zum Leiter der Hauptabteilung Politik, 1987 zum Chefredakteur Fernsehen und nach der Deutschen Vereinigung zum Gründungsdirektor und Leiter des ARD-Hauptstadtstudios in Berlin - bis zu seiner Pensionierung 2001. Der Mann schließlich, den damals jeder Fernsehzuschauer kannte, in West und Ost.
Und zwar über alle Generationen. Mein Vater und meine Mutter, geboren in den zwanziger Jahren, kannten ihn genauso wie meine Schwester und ich, Kinder des Babybooms der fünfziger Jahre. Und unsere Tante, wohnhaft in Leipzig, Jahrgang 1928, kannte ihn natürlich auch. Er war eine Institution, ein klassischer Vertreter der großen Generation von Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, dessen Objektivität und Sachlichkeit von uns allen nie hinterfragt wurde. Es war die Zeit, als noch niemand in den Medien auf die Idee kam, sich als Aktivist für eine vermeintlich gute Sache zu verstehen. Was zählte, war allein die saubere Berichterstattung, die präzise Analyse und der kluge Kommentator. All dies lieferte Jürgen Engert. Ihn schätzten alle. Ihm vertraute man instinktiv.
Persönlich lernte ich Jürgen Engert erst im Kuratorium der Deutschen Gesellschaft e. V. kennen. Und da bestätigte sich mein Eindruck früherer Fernsehzeiten, dass die Deutsche Einheit für ihn eine Sache von Herz und Verstand war: höchstes inneres Engagement bei ungetrübt objektivem Urteil. So war es auch in „seinem“ Nachrichtenmagazin Kontraste gewesen, das er von 1984 bis 1998 moderierte. Ein Magazin des SFB, das - anders als die „westdeutschen“ Magazine Panorama, Monitor und Report - einen besonderen Schwerpunkt auf Ostdeutschland und Mittel- und Osteuropa legte. Und dies genau in jener historischen Phase, in der die Risse im System des Sowjetsozialismus immer deutlicher wurden, die Mauer und der Eiserne Vorhang schließlich fielen und dann die schwierige Transformation zu Marktwirtschaft und Demokratie einsetzte. Da war Jürgen Engert in seinem Element: der Sachse und Preuße sowie Kenner und Bürger Berlins, in dessen Analyse und Urteil sich West- wie Ostdeutsche wiederfanden.
So war es denn auch im vergangenen Jahr bei der kleinen Veranstaltungsreihe, die er in Potsdam moderierte und die digital nachzuhören ist. Auf liebenswerte Weise „verhörte“ der 84-Jährige uns Autoren zu den Thesen unseres Buches und die Zeitzeugen über ihre persönlichen Erfahrungen. Natürlich ohne Stichworte oder Leitfaden, ohne Kugelschreiber und Papier, ohne Notizen und Spickzettel, aber mit glasklarer Gedankenführung, in souveräner Diktion und mit bereichernden Rückfragen.
Jürgen Engert: ein überzeugender Vertreter seines Berufsstandes und ein großer Patriot. Wir werden ihn vermissen.