Josef Ertl
Josef Ertl: Die liberale Stimme der Bauern

Landwirtschaftsminister Josef Ertl (FDP) am Rednerpult.
© picture alliance / dpa | -Vom nachgeborenen Sohn eines Viehbauern zum Rekordminister im Bund: Auch solche Karrieren gibt es im Liberalismus, wie das Beispiel Josef Ertl (1925-2000) lehrt. Der vor 100 Jahren geborene und vor einem knappen Vierteljahrhundert verstorbene Oberbayer, in Habitus und Sprache stark heimatverbunden und volkstümlich, entsprach äußerlich wenig dem landläufigen Bild eines Liberalen heutzutage.
Dass er einmal in Bonn und Brüssel ein sehr einflussreicher Sachverwalter bäuerlicher Interessen auf liberaler Grundlage sein würde, war Josef Ertl auch keineswegs in die Wiege gelegt, als er am 8. März 1925 nahe München zur Welt kam. Obwohl als Drittgeborener nicht erbberechtigt, wurde er schon früh in die Hofarbeit eingespannt, fand aber beim Segelfliegen ein Stück Freiheit, mit der Folge, dass er zu Kriegsende noch als Bomberpilot ausgebildet wurde.
Von der Landwirtschaft zur FDP
Eine erste Wende nahm sein Leben durch ein Landwirtschaftsstudium an der TU München, gut vorbereitet durch eine Landwirtschaftslehre. Dabei kam Josef Ertl erstmals mit der „großen Politik“ in Berührung, mit Thomas Dehler, der sein großes Vorbild wurde, und Wilhelm Niklas, dem ersten Bundeslandwirtschaftsminister und Ertls baldigem Schwiegervater. Politisch ausschlaggebend wurde aber Dehler, denn Ertl schloss sich 1951, schon Referent im bayerischen Landwirtschaftsministerium, der FDP an.

Autogrammkarte von Josef Ertl, 1980.
© Fotosammlung, F1-456Dies war einer Karriere im CSU-geprägten Ministerium nicht förderlich, obwohl Ertl großes Geschick beim Aufbau eines Beratungsservice für die Landjungend bewies. Deshalb wechselte er Ende der 1950er Jahre ins voralpenländliche Miesbach, um dort die Landwirtschaftsschule und zugleich das Landwirtschaftsamt zu leiten. In dieser Idylle wäre Ertl am liebsten geblieben, im besten Fall als Landrat, aber die Wahl in den Bundestag 1961 brachte eine erneute Wende in seinen Lebensweg. Durchaus selbstbewusst stieg Ertl trotz erheblicher Konkurrenz zum führenden Landwirtschaftspolitiker der FDP auf, der vor allem an der Agrarpolitik der damaligen EWG kein gutes Haar ließ, weil er sie auf Kosten der deutschen Bauern gehen sah. Diese europaskeptische Position paarte sich bei Ertl mit national-liberalen Überzeugungen im Sinne Dehlers, die an der Einheit der Nation festhielten und für eine harte Haltung gegenüber dem Ostblock eintraten. So gesehen war Ertl sicherlich kein Vorreiter einer Öffnung der FDP nach links.

FDP-Landesparteitag Bayern, 4. April 1981 in Nürnberg.
© ADL, Bestand Josef Ertl, N51-3Ertls prägende Jahre als Landwirtschaftsminister
Und dennoch betraute man ihn, nicht zuletzt aus strategischen Erwägungen, in der ersten sozial-liberalen Koalition mit dem Amt des Landwirtschaftsministers. Diese erneute, unerwartete Lebenswende sollte sich in jeder Hinsicht als Glücksgriff erweisen. Denn Ertl konnte seine langjährigen Erfahrungen mit der bäuerlichen Lebenswelt in die Kabinettspolitik einbringen und versuchte, auf liberaler Basis die Situation der Bauern und der Landbevölkerung insgesamt zu verbessern, deren Lebensstandard den Anschluss an den vor allem von der Industrie hervorgebrachten Wohlstand verloren hatte. Diese Zielsetzung passte gut in die sozial-liberale Reformpolitik, zumindest so lange das Wirtschaftswunder noch andauerte. Ertls Erfolge dabei verschafften der SPD-FDP-Regierung auch Rückhalt bei nicht-städtischen Wählern, der Landwirtschaftsminister Ertl wurde zu einer ihrer tragenden Säulen und konnte sich deshalb insgesamt mehr als 13 Jahre in seinem durchaus schwierigen Amt halten, bis heute ein unerreichter Rekord.
Ertl seinerseits fand Gefallen an der Aufgabe, auch weil er sich als überaus lernfähig erwies. Denn er wandelte sich zum überzeugten Europäer, der die Brüsseler Spielregeln nicht nur akzeptierte und für die heimischen Bauern zu nutzen suchte, wie viele Landwirtschaftsminister vor und neben ihm. Ertl erkannte schnell, im Einklang mit seinem Parteivorsitzenden Hans-Dietrich Genscher, dass die Zukunft nur in einem Mehr an europäischen Gemeinsamkeiten und einem Ausbau der EWG über den (land-)wirtschaftlichen Kern hinaus liegen konnte. Die großen Fortschritte hier, die allerdings erst nach seiner Amtszeit erreicht wurden, hat er ebenso begrüßt wie die deutsche Einheit.

Broschüre: Landwirtschaft – eine gesellschaftspolitische Aufgabe.
© ADL, Bibliothek, D1-157Seinen Amtsverzicht bewirkten nicht Amtsmüdigkeit oder eine fehlerhafte Amtsführung, sondern die Folgen des Koalitionswechsels von 1982: Eine kurzzeitig geschwächte FDP konnte die Ansprüche der CDU auf Ertls Ministerium, das sie als ihre ureigenste Domäne ansah, nicht mehr abwehren; gewissermaßen „opferte“ sich dieser, damit Hans-Dietrich Genscher seine erfolgreiche Außenpolitik fortsetzen konnte. Die Übernahme führender Ehrenämter im Sport – Ertl war passionierter Ski-Fahrer – und im Agrarwesen zeigen, dass Ertls Popularität auch nach 1983 ungebrochen war.
Sein Lebensende war in gewisser Weise tragisch, aber irgendwie zugleich auch „typisch“: Erst erlitt der ausgewiesene Viehzüchter und nunmehrige Besitzer eines bayerischen Traditionshofes einen schweren Arbeitsunfall, der ihn an den Rollstuhl fesselte. Wenige Jahre später kam er bei einem weiteren Unfall ums Leben. Die Bundesrepublik Deutschland ehrte ihn anschließend mit einem der ersten Staatsakte am neuen Sitz von Parlament und Regierung in Berlin.