Jordan Elections
Jordaniens Wahlen 2024: Ein Wendepunkt mit anhaltenden Herausforderungen
Die jordanischen Parlamentswahlen vom 10. Oktober markierten einen wichtigen Moment in der politischen Entwicklung des Landes, welches traditionell als Stabilitätsanker im Nahen Osten gilt.
Vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten und zunehmender geopolitischer Spannungen, insbesondere im Schatten des Gaza-Konflikts, hatte sich die jordanische Politik im Zuge einer Reformagenda intensiv mit Fragen der Repräsentation, Wählerbeteiligung und Wahlintegrität befasst und einen Prozess in Gang gesetzt, der auf eine Aufwertung der Rolle politischer Parteien abzielt.
Diesen Prozess wusste vor allem die Islamic Action Front (IAF), politischer Arm der Muslimbruderschaft, für sich zu nutzen. Ihr Erfolg an den Urnen ließ vielerorts Erinnerungen an die Wahlen des Jahres 1989 aufkommen. Jörg Dehnert und Isabel Kreifels über Wahlen in einem Land zwischen Wandel und Kontinuität.
Politische Reformen und Parteibeteiligung
Ein zentrales Merkmal der Wahlen 2024 war die Einführung von Reformen, die darauf abzielten, das politische System von stammesdominierten Strukturen hin zu einem parteizentrierten System zu verschieben. Diese Reform, Teil eines umfassenderen Demokratisierungsprozesses, sollte die Beteiligung politischer Parteien fördern. Jordaniens größte Oppositionspartei, die Islamic Action Front (IAF) und politischer Arm der Muslimbruderschaft, nutzte diese Veränderungen und sicherte sich 31 Sitze – ein historischer Erfolg, der wohl die für die Haltung der Partei zum Konflikt in Gaza gewonnene Unterstützung widerspiegelt. Die eigentliche Stärke der IAF zeigt sich noch deutlicher bei den Zweitstimmen, die für Parteilisten oder Parteibündnisse abgegeben wurden. Hier fallen von 38 Sitzen, die für Parteien reserviert sind, 17 auf die IAF. Dieses Resultat unterstreicht eindrucksvoll die derzeitige organisatorische und ideologisch-programmatische Überlegenheit der Islamisten gegenüber allen anderen Parteien und Parteibündnissen. Die Mehrheit der Sitze hat die IAF jedoch verfehlt, selbst zusammen mit Vertretern ähnlich gesinnter Parteien kann sie keine Mehrheit bilden.
Obwohl die Reformen die Beteiligung politischer Parteien förderten, bleibt die politische Landschaft Jordaniens weitgehend von tribalen Loyalitäten und regierungsnahen Fraktionen dominiert. Nichtsdestotrotz ist es dem jordanischen Staat durch die Reformen gelungen, eine stärkere Partizipation und Sichtbarkeit verschiedener Parteien zu fördern. Knapp 75% der Gewählten haben eine Parteizugehörigkeit.
Jordaniens Engagement für stärkere Inklusivität zeigte sich auch - eine etablierte Tradition fortführend - in reservierten Parlamentssitzen für Christen, ethnischen Minderheiten und Frauen. Das Quotensystem sicherte bedeutende Erfolge für weibliche und Minderheitenkandidaten, wobei einige Frauen, wie Ruwa Al-Zboun, besonders erfolgreich waren. Auch christliche Kandidaten profitierten von den reservierten Sitzen und blieben in Regionen wie Ajloun und Balqa vertreten. Insgesamt sind doppelt so viele Frauen wie in der vorherigen Legislatur vertreten, davon sechs Gewählte und 18 durch die Quote gesicherte, was einen weiteren Erfolg vieler Reformanstöße im Land zeigt.
Trotz des Fortschritts wirft das Quotensystem Fragen über das Ausmaß der gesellschaftlichen Integration dieser Kandidaten auf, da viele stark auf die Unterstützung ihrer Gemeinschaft angewiesen sind und nur begrenzten Rückhalt in der breiteren Bevölkerung haben. Dies schränkt ihre potentielle Wirkung auf die nationale Politik ein und zeigt, dass neben Inklusivitätsmaßnahmen bei zukünftigen Wahlen ein größerer Fokus auf Parteiprogrammen liegen muss, um die Wählerlandschaft zu überzeugen.
Wählerbeteiligung und Engagement
Zwar meldete die unabhängige Wahlkommission (IEC) mit 32% eine ähnlich hohe Wahlbeteiligung wie in den Vorjahren, wobei unter jungen Wählerinnen und Wählern (unter 35 Jahren) erfreulicherweise eine deutlich höhere Wahlpartizipation (43%) verzeichnet wurde.
Jordanien hat eine sehr junge Bevölkerung, 53% sind jünger als 25Jahre. Die im Altersvergleich überdurchschnittliche hohe Wahlbeteiligung der jüngeren Wahlberechtigten zeigt, dass die Demokratisierungsinitiative des Königs zu greifen scheint und verspricht hinsichtlich des Demokratisierungsprozesses für Jordanien einigen Optimismus. Allerdings müssten dann mehr Repräsentanten dieser Altersgruppe auch im Parlament bzw. unter den Kandidaten vertreten sein. In den städtischen Gebieten wie Amman war die Wahlbeteiligung wie auch in Vorwahljahren mit rund 20% niedrig, so dass die Realisierung der Vision des Königs, eine Westminster-ähnliche parlamentarische Demokratie zu etablieren, sicherlich künftig noch mit viel politischer Reform- und auch Bildungsarbeit verbunden sein wird.
Die IAF erhob zwischenzeitlich Vorwürfe, dass Sicherheitskräfte in den Wahlprozess eingegriffen und ihnen zugehörige Unterstützer sowie Kandidaten eingeschüchtert hätten. Allerdings wurden solche Vorwürfe nicht explizit von unabhängigen Wahlbeobachtern bestätigt.
Dominanz der Regierung und Erfolge der Opposition
Die Wahlen 2024 repräsentieren gleichzeitig Fortschritt sowie Kontinuität für Jordaniens politische Sphäre.
Trotz der bemerkenswerten Erfolge der IAF spielen stammesbasierte und regierungsnahe Fraktionen weiterhin eine starke Rolle bei Wahlen. Dies spiegelt einerseits den anhaltenden Einfluss traditioneller politischer Strukturen in Jordanien wider, insbesondere in ländlichen Gebieten, wo die Loyalität zur Monarchie und zu den Stämmen stark bleibt. Anderseits deutet dies darauf hin, dass die islamistischen Solidaritäts-Chöre nicht die Mehrheit des Landes von ihren Inhalten überzeugen konnten.
Die Reformen, die auf eine stärkere Beteiligung politischer Parteien und eine verbesserte Inklusivität von Frauen und Minderheiten abzielten, sind durchaus als positiv zu werten und zeigten bereits erste Früchte. Auch eine stärkere Wandlung hin vom Personenbezogenen System hin zu einer stärkeren Parteilandschaft mit Parteistrukturen weisen auf Erfolge im von König Abdullah II. angestoßenen Demokratisierungsprozess hin.
Für die Zukunft sind weitere Reformen erforderlich, um das parteizentrierte System weiter zu stärken und die Wahlintegrität auszubauen. Eine verstärkte Wählerbeteiligung, insbesondere durch politische Bildung und den Aufbau von Vertrauen in das Wahlsystem, wird unumgänglich sein, um Jordaniens Weg zu einer repräsentativeren Demokratie stärker zu ebnen.