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Südkorea
Amtsenthebung im Sinne der Demokratie

Der abgesetzte südkoreanische Präsident Yoon Suk-yeol begrüßt seine Anhänger, nachdem er aus einer Haftanstalt in Uiwang, Südkorea, herausgekommen ist, Samstag, 8. März 2025.

Der abgesetzte südkoreanische Präsident Yoon Suk-yeol begrüßt seine Anhänger, nachdem er aus einer Haftanstalt in Uiwang, Südkorea, herausgekommen ist, Samstag, 8. März 2025.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Uncredited

Das südkoreanische Verfassungsgericht hat den suspendierten Präsidenten Yoon Suk-yeol endgültig seines Amtes enthoben. Richterinnen und Richter bestätigten einstimmig die Amtsenthebung durch das Parlament. Nun müssen innerhalb der nächsten 60 Tage Neuwahlen stattfinden.

Das Verfahren dauerte länger als erwartet. Beobachter vermuteten tiefgehende Uneinigkeiten unter den Richterinnen und Richtern. Das klare Urteil widerlegte diese Spekulationen. Offenbar strebte das Gericht ein juristisch wasserdichtes, unmissverständliches Urteil an. Die juristische Klarheit könnte zu Mäßigung in einer zunehmend polarisierten politischen Landschaft beitragen. In den vergangenen Monaten hatten sich regelmäßig Zehntausende Demonstranten der beiden politischen Lager in der Hauptstadt Seoul versammelt. Die eine Seite forderte Amtsenthebung, die andere Seite Yoons Rückkehr ins Präsidentenamt. Das Urteil ist eine klare Niederlage für Yoon und seine Unterstützer.

Extreme Polarisierung

Der Vorsitzende Verfassungsrichter Moon Hyung-bae erklärte, Yoons Ausrufung des Kriegsrechts sei verfassungswidrig gewesen, da keine ernsthafte nationale Krise vorgelegen habe. Yoon habe die Rechte der Abgeordneten missachtet und seine Pflichten als Oberbefehlshaber der Streitkräfte verletzt. Dies sei ein „schwerer Vertrauensbruch gegenüber dem Volk“.

In der Nacht zum 4. Dezember hatte Ex-Präsident Yoon überraschend das Kriegsrecht ausgerufen. Yoon behauptete, das Land vor nordkoreanischen und „anti-staatlichen“ Gruppen schützen zu müssen. Er ließ das Parlament durch eine Spezialeinheit abriegeln. Unverzüglich protestierten tausende Menschen auf den Straßen. Abgeordnete – auch einige aus Yoons eigener konservativer People Power Party (PPP) – verschafften sich trotz des militärischen Widerstands Zutritt zum Parlament. Sie hoben per Beschluss das Kriegsrecht wieder auf. Diese entschlossene Reaktion von Zivilgesellschaft und Parlament zeigt, wie tief demokratische Werte in Südkorea knapp 40 Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur verankert sind.

Das Urteil des Verfassungsgerichts belegt, dass die Institutionen Südkoreas trotz der angespannten Lage widerstandsfähig sind. Der Rechtsstaat hatte in den vergangenen Wochen erheblich unter Druck gestanden. Yoon erhob unbelegte Anschuldigungen gegen die Wahlkommission und ließ sich von seiner bewaffneten Präsidialgarde gegen eine Verhaftung schützen. Es folgte ein politisches und institutionelles Chaos.

Der schwedische Think Tank Varieties of Democracy Institute stufte Südkorea deshalb von einer liberalen Demokratie zu einer Wahldemokratie herab. Während Wahldemokratien freie Wahlen gewährleisten, schützen liberale Demokratien zusätzlich bürgerliche Freiheiten und kontrollieren die Exekutive durch unabhängige Institutionen. Der Demokratie-Index der Economist Intelligence Unit verzeichnete einen Absturz von Platz 22 auf Rang 32. Beide Herabstufungen müssen nun überdacht werden.

Gefährliche Verschwörungstheorien

Angesichts Yoons radikalen Vorgehens und seinen Verschwörungstheorien distanzierten sich sogar konservative Leitmedien. Extremistische YouTube-Kanäle und evangelikale Prediger verbreiteten seine Thesen dagegen weiter. Dadurch mobilisierte Yoon eine erzkonservative Basis, von der eine kleine Minderheit zur Gewalt griff. Im Januar zerstörten seine Anhänger aus Wut über die Justiz ein Gerichtsgebäude in Seoul.

Im Vorfeld des Verfassungsgerichtsurteils hatten radikale Unterstützer Yoons zum Kampf aufgerufen, sollte das Urteil zu Ungunsten Yoons ausfallen. So drohte evangelikale Pastor Jeon Kwang-hoon: „Und wenn das Verfassungsgericht versucht, etwas falsch zu machen? Im Namen des Widerstandsrechts des Volkes werde ich es mit einem Schwerthieb wegblasen.“

Ausschreitungen nach dem Urteil des Verfassungsgerichts blieben bislang aus. Der Richterspruch beendet das Drama um das Kriegsrecht allerdings noch nicht. Parallel läuft ein Strafverfahren gegen Yoon wegen Hochverrats. Dieser Gerichtsprozess beginnt am 14. April und dürfte den Wahlkampf beeinflussen.

Erbitterter Streit zwischen den Parteien

Von großer Bedeutung wird sein, wie sich Yoons Partei nun positioniert. Die konservative PPP stammt aus elitären Machtstrukturen der Diktatur. Viele ihrer Führungsfiguren pflegten Verbindungen zu früheren Militärregimen. Die progressive Democratic Party Korea (DPK) hingegen hat ihre Wurzeln in den pro-demokratischen Bewegungen der 1980er Jahre und gründet sich auf die damaligen Studenten- und Bürgerrechtsbewegungen.

Die Gräben zwischen den beiden politischen Lagern sind tief, bedingungslose Loyalität wird erwartet. Diese unbedingte, parteiinterne Geschlossenheit nutzte Yoon in den vergangenen Monaten, um seine Partei hinter sich zu versammeln. Die deutliche Niederlage vor dem Verfassungsgericht dürfte es den Konservativen indessen erleichtern, sich von Yoon zu distanzieren und mit einem gemäßigten Kandidaten in die Präsidentschaftswahl zu gehen. Die Partei erklärte bereits, das Urteil zu akzeptieren.

Notwendiger Wandel auf beiden Seiten

Auch die Democratic Party Korea muss sich hinterfragen. Mit ihrer Parlamentsmehrheit nutzte sie ihre Macht bis an die Grenzen aus und zeigte wenig Interesse an Kompromissen. Während Yoons Amtszeit initiierte die DPK rund 30 Amtsenthebungsverfahren – allesamt erfolglos. Diese konfrontative Haltung trug zur Eskalation bei, die schließlich in Yoons Kriegsrecht gipfelte. Auch das Verfassungsgericht kritisierte die rigorose Politik der Opposition. Es sei Aufgabe des Parlaments, „mit Dialog und Kompromissen zu Beschlüssen“ zu gelangen, hieß es in der Verkündung.

Bei der bevorstehenden Wahl wird die DPK voraussichtlich mit Parteichef Lee Jae-myung antreten. In den vergangenen Wochen bemühte er sich mit wirtschaftlichen und außenpolitischen Themen um moderate Wählerinnen und Wähler. Ein Wahlkampf, der auf die politische Mitte abzielt, könnte zur Abkühlung des aufgeheizten Klimas beitragen.

Auch eine jüngste historische Entscheidung des Parlaments gibt Grund zur Hoffnung: Im März verabschiedete die Abgeordneten fraktionsübergreifend eine umfassende Rentenreform. Es ist die erste seit 18 Jahren. Diese seltene Einigkeit angesichts des dringenden Problems der leeren Rentenkasse und der raschen Alterung der Gesellschaft zeigt, dass pragmatische Lösungen in Südkorea immer noch möglich sind.

Frederic Spohr leitet das Korea-Büro der Friedrich Nauman Stiftung für die Freiheit in Seoul.

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Florian von Hennet
Florian von Hennet
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