Checks and Balances
Gewaltenteilung vs. demokratische Legitimation? Trump und die Checks and Balances

US-Präsident Donald Trump hält eine Rede in der Großen Halle des Justizministeriums.
© picture alliance / ZUMAPRESS.com | Daniel Torok/White HouseMit dem Amtsantritt von Donald Trump am 20. Januar begann eine Entwicklung, die absehbar war: Viele der Entscheidungen und Maßnahmen der neuen Regierung sind Anlass für Klagen vor Bundesgerichten und damit verbundene Verfahren. Ebenso öffnet das schnelle, oft radikale und auf Disruption angelegte Vorgehen Trumps Konfliktfelder im Verhältnis zum Kongress, aber auch innerhalb der Administration. Dabei werden neben vielen Einzelproblemen grundlegende Fragen des US-Rechtssystems und der Gewaltenteilung aufgeworfen, die einer Lösung harren.
Die Rolle der (Bundes-)Gerichte
Wenn Handlungen der Bundesebene in den USA vor Gericht angegriffen werden, so geschieht das vor Bundesgerichten. Im Unterschied zu Deutschland und vielen anderen Ländern gibt es in den USA parallele Gerichtsbarkeiten. Ein Bundesrichter in Kalifornien oder Texas beispielsweise ist direkt vom Präsidenten ernannt und vom Senat bestätigt. Die nächsthöhere Ebene sind Bundes-Berufsgerichte (Appellate Courts), darüber steht dann der Oberste Gerichtshof, der Supreme Court.
Die Urteile von Bundesrichtern können sehr weitgehende Folgen haben: Immer wieder haben einzelne Bundesrichter die Umsetzung von Gesetzen und Einzelmaßnahmen der Bundesregierung für das gesamte Gebiet der USA zeitweilig gestoppt. Das geschah in stark zunehmendem Maße unter den Präsidenten Obama und Trump. Das „universal injunction“ (allgemeine einstweilige Verfügung) genannte Instrument ist schon länger Gegenstand kontroverser Debatten. Die Trump-Administration hat dieses Thema bereits vor den Obersten Gerichtshof gebracht – mit dem Argument, dass es eine Kompetenzüberschreitung einzelner Richter sei, wenn sie Entscheidungen treffen, die nicht nur für die Kläger in einem bestimmten Verfahren, sondern für das ganze Land unmittelbare Wirkung entfalten. Dagegen wird eingewandt, dass es gerade der Kern richterlichen Handelns sei, Schaden durch nicht rechtmäßiges staatliches Handeln abzuwenden, auch für Betroffene, die nicht unmittelbar geklagt haben. Es ist davon auszugehen, dass der Oberste Gerichtshof der USA in absehbarer Zeit in einer Entscheidung klären wird, inwieweit einzelne Gerichte Entscheidungen zu Regierungshandeln mit sehr breitem Wirkungsbereich treffen können.
Die Gegenstände der Rechtsstreite: Einwanderung, Staatsbürgerschaft, Bundesbehörden
Die Rechtsstreite haben vielfältige Gegenstände. Ein wichtiges Thema ist die Zuwanderungspolitik, insbesondere die Praxis bei Abschiebungen aus den USA. Hier beansprucht die Trump-Administration einen besonders breiten Handlungsspielraum. Sie zieht dafür mehrere Instrumente heran, u.a. den Alien Enemies Act von 1798. Dieses Gesetz wurde bisher nur angewendet, um in Kriegszeiten Staatsbürger feindlicher Staaten auszuweisen. Dabei handelte es sich stets um Kriege, in denen der Kongress anderen Staaten den Krieg erklärt hatte, zuletzt kam das Gesetz im Zweiten Weltkrieg zur Anwendung. Trump hat nun einseitig verschiedene kriminelle Organisationen durch Executive Order zu terroristischen Organisationen und Kriegsgegnern erklärt. Damit begründet er das Zurückgreifen auf das Gesetz. Es ist zweifelhaft, ob der Präsident in dieser Weise sozusagen selbst die Grundlagen seines Handelns schaffen kann. Die Entscheidung eines Bundesrichters, der Abschiebungen von Venezolanern nach El Salvador zeitweilig gestoppt hatte, um diese Rechtsfrage zu klären, wurde mit Argumenten, die rechtlicher Prüfung möglicherweise nicht standhalten, ignoriert.
Eine Frage, mit der sich die Trump-Administration direkt an den Obersten Gerichtshof gewandt hat, bezieht sich auf die sogenannte Birthright Citizenship, das Recht auf die Staatsbürgerschaft für jeden Menschen, der auf dem Territorium der USA geboren wurde, das im 14. Verfassungszusatz von 1866 kodifiziert ist. Trump versucht, durch Executive Order eine Interpretation durchzusetzen, die die Kinder von Menschen, die nicht über einen legalen permanenten Aufenthaltstitel in den USA verfügen, davon ausschließen. Klar ist, dass der Verfassungszusatz selbst nur sehr schwer modifiziert werden kann – nur durch einen neuen Verfassungszusatz, dessen Annahme – im Gegensatz zu Verfassungsänderungen in Deutschland - mit komplizierten und sehr zeitaufwändigen Verfahren verbunden ist und praktisch keine Aussicht auf Erfolg hätte. Es geht also um eine neue Interpretation, die derjenigen widerspricht, die über anderthalb Jahrhunderte gültig war. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich der Oberste Gerichtshof der Trump-Interpretation einfach anschließt, aber es ist absehbar, dass es eine neue, klarere und mit einigen Begrenzungen verbundene Interpretation geben wird.
Die großangelegten Entlassungen von Bundesbediensteten haben erwartungsgemäß ebenfalls zu vielen Gerichtsverfahren geführt. Neben den individuellen Fällen und Gruppenklagen, die u.a. erreicht haben, dass ca. 24000 entlassene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (wahrscheinlich vorläufig) wieder eingestellt werden mussten, geht es um grundsätzliche Fragen: Inwieweit kann eine einzelne Behörde, zudem eine, die allein durch Executive Order besteht, in die Personalangelegenheiten anderer Behörden eingreifen? Das betrifft das de facto von Elon Musk geführte Department of Government Efficiency, das tiefe Einschnitte in die Tätigkeit vieler Behörden vornimmt. Hier kommt es gleichzeitig zu Konflikten zu den – ebenfalls von Trump ernannten – Ministern und Behördenleitern, die ihre Autorität verteidigen.
Die weitergehende Frage, die nicht nur die Gerichte, sondern auch die dritte Säule der Gewaltenteilung, die Legislative, betrifft, lautet: Kann der Präsident die Arbeit von Behörden einschränken oder gar beenden, die vom Kongress, also vom Gesetzgeber geschaffen wurden, und in welchem Umfang und mit welcher Begründung kann er das? Kann er Mittel, die bereits vom Kongress für bestimmte Zwecke beschlossen und freigegeben wurden, einfach zurückhalten? Auch hier wird es einige Zeit dauern, bis sich ein klares Bild der neuen institutionellen Welt, des neuen Systems der Checks and Balances ergibt.
Recht vs. Mehrheitswille: Trumps anti-rechtsstaatliche Rhetorik
Präsident Trump richtet seinen rhetorischen Furor gegen alle und alles, was sich aus seiner Perspektive seiner Autorität entgegenstellt. Das betrifft auch Richter und insgesamt Vertreter der Judikative: Er bezeichnet sie als z.B. linke Irre, fordert gar ihre Amtsenthebung, wenn sie Entscheidungen treffen, die seinen Handlungsspielraum einschränken. Dabei agiert er – wie auch andere Präsidenten vor ihm – in einem Spannungsfeld, das im Denken der US-amerikanischen Verfassungsväter, aber auch in der Theorie des Rechtsstaates allgemein verankert ist. Es ist ausdrücklich und bewusst zum Schutz der individuellen Freiheit und als Abwehrmechanismus gegen Tyrannei gewollt und besteht zwischen der Exekutive, die politisch handelt, und der Judikative. Letztere ist ein Instrument der Bürgerinnen und Bürger, um staatliches Handeln überprüfen zu lassen und die eigenen Rechte zu verteidigen. Das heißt auch, dass demokratisch gewählten Akteuren Grenzen gesetzt werden.
Es gibt schon lange Debatten darüber, inwieweit (nicht gewählte, sondern ernannte) Richter Entscheidungen treffen können, die das Handeln des demokratischen Souveräns beschränken. Trump argumentiert, dass er für alles, was er tut, durch die Präsidentschaftswahlen ein breites Mandat des Volkes hat. Dagegen wird – aus einer Perspektive der individuellen Freiheit zu Recht – eingewandt, dass es gerade der Sinn der Checks and Balances, der Mechanismen der Gewaltenteilung sei, auch das Handeln demokratisch gewählter Akteure der Verfassung, den allgemeinen Regeln unterzuordnen. Dafür zeigt Trump, der sich selbst als Verteidiger der US-amerikanischen Tradition und Größe sieht, wenig Respekt.
Der Oberste Richter der USA, Chief Justice John Roberts, hat angesichts der Attacken des Präsidenten auf Richter und der Forderung nach ihrer Amtsenthebung öffentlich darauf hingewiesen, dass zur Überprüfung von Urteilen der Rechtsweg vorgesehen sei, und nicht der Weg der Amtsenthebung (Impeachment), der nur bei schweren persönlichen Verfehlungen gangbar ist, nicht aber bei inhaltlichen Zweifeln an Urteilen.
Es ist ebenfalls zu beobachten, dass im in beiden Kammern mehrheitlich republikanischen Kongress Stimmen aufkommen, die auf den Kompetenzen der Legislative beharren, insbesondere der Budgethoheit. Das gilt auch für einige Republikaner, die zwar die Ausrichtung der Trumpschen Politik teilen, aber ihre eigenen Kompetenzen verteidigen.
Jenseits der tagespolitischen Aufgeregtheit wird es weiterhin sehr interessant sein zu beobachten, wie sich die einzelnen Säulen des Systems der Gewaltenteilung positionieren und behaupten.